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Full text of "Das Heldenmädchen aus der Vendée : ein Roman"

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Das 
Heldenmaͤdchen 


aus der Vendee. 


Ein Roman 


— 
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RE: von jet 
Caroline Baronin de la 9. 
geb. von Brieſt. 


3 


Erſter Theil. 
Mit einem Kupfer. 


Leipzig, bei Gerhard Fleiſcher dem Jüng. 
18 1 6. 


* 2 
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4 
69 
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? Fein, 


Vorwort. 


Die Wahrheit bleibt das 1 Keine 
Dichtung erſchwingt Größeres, als uns der 
tiefſinnige Ernſt der Geſchichte offenbart. 

Das fuͤhlte man von je, und ließ zu aller 
Zeit die Phantaſie beſtimmt oder un be⸗ 
ſtimmt in dieſen einzigen wahrhaften Le⸗ 
bensquell zuruͤcktauchen. | | 

Wäre es dem Menſchen gegeben, das Das 
ſeyn mit dem Blitz des Erkennens in allen 
Theilen, Miſthungen und Verzweigungen be⸗ 
gleitend zu durchdringen; ſo haͤtten wir weder 
Vergangenheit noch Zukunft, ſondern einzig 
Allgegenwart. Die haben wir nicht, wie 
ſehr auch unſer ganzes Weſen danach ringt. 
Das Leben bleibt uns verborgen. Nur Re⸗ 
ſultate des Geſchehenen und Werdenden reihen 

A 2 


1 


ſich einzeln, oft unverſtaͤndlich aneinander. 
Der Tod zerriß die vermittelnden Faͤden der 
Erſcheinungen. Truͤbe genug ſehen uns zu 
Zeiten die Hieroglyphen an. Verzweifelnd 
rufen wir alsdann die Phantaſie zu Hülfe, die 
mit ihrem beweglichen Othem die Lebensſeele 
anhaucht, und in dem magiſchen Duft der 
Ahndung Geweſenes zuruͤckſpiegelt. So ent⸗ 
ſtehen uns Geſtalt, Farbe, Entwickelung, Zu⸗ 
ſammenhang, ja die Reproduction eines ge⸗ 
ſchichtlichen Lebens aus der Hiſtorie der Welt. 
Durch dieſe zuruͤckrufende Magie der Ein⸗ 
bildungskraft iſt gegenwaͤrtiges kleines Werk 
erwachſen, das in allen aͤußern Umriſſen 
ſtreng hiſtoriſch ſeine organiſche Verknuͤ⸗ 
pfung gleichwohl einzig offenbarenden Traͤu⸗ 
men verdankt. 

Lange, ehe das Werk der Frau von La⸗ 
toche Jaquelin erſchien, und mir einen Leit⸗ 
faden in die Hand gab, ward ich von den 
zwei gewaltigen Triebfedern der Revolutions⸗ 
Fampfe in Frankreich, den Au' ſchweifungen 
uͤberfliegenden Freiheitsgeiſtes, die die bin⸗ 
dende Treue des Glaubens, lebhaft angeſpro⸗ 


er 5 — 


chen. Durch Zeitſchriften, Annalen, Philo⸗ 
ſopheme und Raiſonnements, beide in ihren 
Reibungen folgend, lernte ich jene Helden der 
Zeit kennen, in welchen die ſtreitenden Prin⸗ 
zipien Perſoͤnlichkeit gewannen. Dieſe im 
Kampfe mit ſich und dem Geſchicke hinzuſtellen, 
das ſelbſt hoͤherer Nothwendigkeit folgend, ſie 
zu Werkzeugen des Martyrthums oder der 
anregenden Luͤge gebrauchte, ward meine 
Aufgabe. f 


Treu dem, was if, habe ich die unent⸗ 
worrenen Raͤthſel gemiſchter Menſchennatur 
unangetaſtet gelaſſen. Alle hiſtoriſchen Per⸗ 
ſonen ſteh'n in der eigenthuͤmlichen Farbe ihres 
Charakters da. Keine unweſentliche, darauf 
Bezug habende That ihres Lebens, iſt erdich⸗ 
tet. Die bewahrte Individualitaͤt gegenſeitig 
einander beſtimmender Menſchen und Ereig- 
niſſe, konnte allein die Phiſionomie jener gaͤh⸗ 
renden Criſis der Zeit, kenntlich herausheben. 
Ich habe ſie uͤberall geehrt, und nie abſichtlich 
die Zuͤge in einander gewiſcht. Sich hiervon 
zu überzeugen, verweiſe ich meine Leſer auf 
die Geſchichte der franzoͤſiſchen Revolution, 


— 6 — 


die uns äh genug ſteht, und zum Theil glü- 
hend in unſerer Erinnerung fortlebt, daher 
leicht Maaß und Urtheil an die Hand giebt. 

Wenn ich mich auf ſolche Weiſe aber der 
Strenge abwaͤgender Vergleichung unterwerfe, 
ſo weiß ich gleichwohl am beſten, wie wenig 
ich meine Aufgabe im Ganzen loͤſte. Iſt der 
innere Klang doch ſtets beſſer als das Wort, 
und der hell entſprungene Gedanke ein anderer, 
als ſein bleicher, duͤrftiger Wiederſchein auf 
dem Papier. 


Die Verfaſſerin. 


Erſtes Kapitel. 1 


Einſam und finſter ſah das alte Schloß Ton⸗ 
nayboutonne auf die wild vorüberrollende 
Charente. Die Zugbruͤcken waren aufgezo— 
gen, Thuͤr und Thore verriegelt, alle Lichter 
tief in die innern Gemaͤcher verborgen, kein ge— 
ſelliger Lebenshauch drang in die ſtumme Nacht. 
Ganz dumpf droͤhnten von St. Jean d' An— 
geli die Trommeln der Republikaner heruͤber. 
Truppenabtheilungen zogen ſchweigend am jen— 
feitigen Ufer entlaͤngſt. Die Hütten der Landbe— 
wohner ſchienen ausgeſtorben. Hinter ihren weit 
aufklaffenden Thuͤren zeigte der kalte, dunkle 
Heerd dem Vorüberziehenden die Trümmer gaſt— 
licher Lebensordnung. Die Jugend war Schaa⸗ 
renweiſe unter die Waffen getrieben; in Winkel 


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gebe ſeufzte das Alter und (hauen zuſam⸗ 
enn der Freiheitsbaum ſeine trockenen 

ig in der Nachtluft ſchuͤttelte. 

In einem obern Saal des Schloſſes, dicht am 
Kamin, ſaß der damalige Beſitzer deſſelben, der 
Herzog de la Tremouille, vor einem kleinen 
Tiſchgen, und ſchuͤrzte mit großer Behen⸗ 
digkeit Fiſchernetze, als habe er nie etwas an⸗ 
ders gethan. Er war von mittler, etwas hage⸗ 
rer Figur. Seine Bruſt ſchien gelitten zu ha⸗ 
ben, er huſtete oft und kurz, gleichwohl hatte 
das Auge den friſcheſten Glanz. 

Ueberall waren ſeine Geſichtszuͤge ſehr ſhön, 
wenn gleich etwas ſtark gezeichnet, was der Phi⸗ 
ſionomie bei zunehmendem Mangel an Haaren 
etwas Auffallendes gab. Im Munde trug er 
eine große Aehnlichkeit mit den Bildern Heinrich 
des Vierten. Das wohlwollende Laͤcheln und die 
ſchoͤnen Zähne und Lippen, wurden ganz beſon⸗ 
ders durch den blaͤulichen Glanz ſeines dunkeln 
Bartes gehoben, deſſen urfprüngliche Kraft die 


geſuchteſte Sorgfalt nicht zu unterdrücken vers 
mochte. 


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Der Herzog ruͤckte viel auf feit em S tuhle 
hin und her, ſchob und drehte an den Lichter: 
putzte fie weit öfter als noͤthig war, ku 3, 
die große innere Beweglichkeit auf be 
kleine Aeußerlichkeiten uͤbergehen. 

Etwas ſeitwaͤrts von ihm lehnte in einem 
hohen Seſſel die Marquiſe Robillard, aus 
dem Stamm der Rochefoucault, dem Hauſe 
Tonnayboutonne in ſeinen fruͤheſten Ver— 
zweigungen verbunden. Zu ihren Fuͤßen kauerten 
zwei kleine Moͤpſe, denen ſie von Zeit zu Zeit 
ein langes Scherpeband hinhielt, ſie neckend da⸗ 
nach haſchen ließ, und es ihnen dann wieder 
entzog. Ueber die Thiere hin fahe fie wohl vers 
ſtohlen auf den Herzog, zuckte ungeduldig mit 
den Schultern, und den Blick faſt herausfor⸗ 
dernd zum Himmel gehoben, wandte ſie ſich 
ganz und gar ab, und that, als lebe ſie nur fuͤr 
die Hunde. Voll Ehrfurcht fuͤr ihre Ahnen, 
von aufſtrebendem Geiſt, unfaͤhig ſich in der 

Wuͤſte zuſammengeſtuͤrzter Trümmer zu finden, 
fiel ihr die gelaſſene Ergebung des Herzogs ganz 
unertraͤglich, und das kochende Blut nicht mehr 


„ 

— 10 — 5° 

nd, ſagte fie mit einem Zwitterläs 
dem Scherze wie dem Hohne ange— 
hoͤrte n Wahrheit, Herr Herzog, Sie ſchuͤr— 
zen Ihre Schlingen ſo emſig in einander, als 
witterten Sie ſchon den Feind, gegen den Sie 
ſie aufzuſtellen gedenken! Nun, erwiederte Er 
mit raſchem Blick auf die Marquiſe, die Spuͤ⸗ 
rung waͤre eben nicht allzufein! Aber, ſetzte er 
mit anmuthiger Sorgloſigkeit hinzu, Sie wiſſen 
es wohl, ich werfe Niemanden Schlingen in den 
Weg, und komme vielleicht eben. deshalb gefahr⸗ 
los über die Anderen hinaus! Nein, das nicht, 
fiel die Marquiſe heftig ein, nein, das ganz und 
gar nicht. Sind Sie nicht etwa ſchon mitten in 
das Garn gelaufen? Haben Sie es vergeſſen, 
daß man rund um uns her die Waffen ergriffen 
hat? Daß Bourdeaur im Aufſtande iſt? 
Daß Lion droht? Calvados und Finis 
ſtere Viele Tauſende werben, und General 
Wimpfen Heute oder Morgen unter den Tho— 
ren von Palle ſeyn wird. Bald, Herr Herzog, 
bald wird es gelten, ſich zu entſcheiden! Was 
habe ich mit den Rebellen zu ſchaffen! erwiederte 


er kalt. Das Herz der Hydra, Frau Marguiß, 
iſt nur Eines, aber die tauſend Köpfe, machen 2 
jeder ein eigenes furchtbares Thier für ſich. 
Huͤten wir uns, mit ſolchen Gemeinſchaft zu 
machen, ihr Gift befleckt unausloͤſchlich. Das 
Recht, zu wollen und zu waͤhlen, unterbrach 
ſie ihn raſch, haben Sie verſcherzt. Man wird 
Sie zwingen, irgend einer Partie beizutreten. 

Der Herzog ſprang ungeduldig vom Stuhl 
auf, und lief, wie er es in ſolchen Stimmungen 
wohl pflegte, mit beiden Haͤnden krampfhaft in 
den Rocktaſchen umhergreifend, das Zimmer auf 
und nieder. 

Ja, ja, fuhr jene fort, es wird die Zeit 
kommen, die ich immer kommen ſahe, wo Sie 
es bitter bereuen werden, nicht nach dem Aus- 
lande gefluͤchtet zu ſeyn. Jetzt wird es Sie nicht 
ſchuͤtzen, den Decreten einer ſataniſchen Regie⸗ 
rung mit beiſpielloſer Ergebung, Folge geleiſtet 
zu haben. Die ſokratiſche Weisheit, mit der 
man ſeinen Koͤnig morden, das Vaterland zer⸗ 
fleiſchen, ſich ſelbſt mit tauſend Geißelhieben der 
Tyrannei, verwunden ließ, wird nicht laͤnger 


— 12 — 

reich ! Andere Stimmen werden laut; man 
ſechenſchaft fordern! 0 
Der Herzog war vor fie hingetreten, die 
Worte ſchienen unſchluͤſſig auf feinen Lippen zu 
ſchweben, nach kurzem Beſinnen, ſagte er, ſich 
von ihr wendend: ich habe mich noch niemals 
geweigert, Rechenſchaft abzulegen. Ich bin jes 
derzeit dazu fertig. a 

Gleichviel, fragte die Marquiſe, vor wel 
ches Tribunal man Sie fodert? Ich kenne nur 
Eines, das der Ehre und des Gewiſſens, rief 
der Herzog, mit ſehr gehobener Stimme, und 
einem Blick, deſſen Flammen die dreiſten Worte 
der Fragerin zuruͤckſchreckten. | 

Nach kurzem Schweigen, hub dieſe etwas 
leiſer und gewiſſermaaßen einlenkend an: Ich 
habe Sie nur warnen, nur auf das aufmerkfam 
machen wollen, was einmal entzuͤndet, wie ein 
fortlaufendes Erdfeuer, uͤberall faßt, und vers 
ſchlingend hinreißt. Wer ſich ein wenig umge⸗ 
ſehen, wer die politiſchen Bewegungen begleitet, 
ja, — wenn gleich verborgen, in das Dunkel 
der Provinz gebannt, nur mittelbar, dennoch 


— 13 — 
hineingegriffen hat, der wird mit einigem Recht 
einen Blick in die Zukunft haben durfen. Den 
haben Sie nicht, fiel der Herzog ein, den hat 
jetzt niemand, wie die Sachen ſteh'n, iſt nichts 
zu ſehen, nichts voraus zu wiſſen, nur zu glau⸗ 
ben und zu vertrauen. Und damit ſollten Sie 
es denn vor der Hand auch bewenden laſſen, | 
und Ihr Ohr keinem falichen Gerüchte leihen. — 
Falſche Geruͤchte! rief die Marquiſe heftig, habe 
ich denn etwa von jenem tollen Bauernkriege un— 
ſerer Nachbarn geredet. oder von andern Hirn— 
geſpinſten beſchraͤnkten Volkes? Iſt es denn etwa 
nicht wahr, daß Bourdeaur, Breſt, Caen, 
und die ganze Kuͤſte, in Verbindung ſteh'n? 
daß dieſe Staͤdte mit England gemeinſame Sache 
machen, und naͤchſtens eine Engliſche Flotte fans 
den wird? — Sit es nicht wahr, daß der Dar 
riſer Convent zittert? daß — — — Laſſen wir 
das auf ſich beruhen, unterbrach ſie der Herzog, 
ich bezweif'le keine Ihrer Nachrichten, doch, was 
ſoll uns das alles? Von Auslaͤndern und Rebel⸗ 
len iſt wenig Heil zu erwarten! Ein Tyrann 
ſtuͤrzt den Andern. Ganz anders iſt es mit un⸗ 


fern Nachbarn in der Vendee. Die Marquife 
5 chelte. Hier allein iſt Zuſammenhang, fuhr 
der Herzog fort, Lehnsherr und Unter- 
than! Dies Band ſchlingt ſich in einer 
Kette bis zum Throne fort. Davon 
wiſſen die Neuerer nichts, koͤnnen nichts wiſ⸗ 
ſen, und siegen es deshalb unangetaſtet. — 

Von Beiden unbeachtet, war indeß die junge 
Eliſabeth Rochefoucault aus einem anſtoßen⸗ 
den Nebenzimmer in den Saal getreten. Von 
fruͤhem Grame getroffen, ſchuͤchtern und wort⸗ 
arm, wie immer, ſaß fie fern von dem Ges 
ſpraͤche der Andern, in einem dunkeln Winkel 
der Fenſterwoͤlbung. Ihre Haͤnde lagen gefal n 
im Schooſe, die feuchten Augen begleiteten den 
Zug der Wolken. Jetzt, mit einemmale trat ſie 
ſchnell zu dem Tiſch des Herzogs. Das ſchoͤne 
bleiche Geſicht ſchien vollends zu Marmor er— 
ſtarrt, die Stimme verſagte ihr, leiſe und abge⸗ 
brochen fluͤſterte ſie dem Herzoge zu: Es ſprengt 
ein Mann auf weißem Pferde wild durch die 
Gartenhecken, mit einem Satz war er am 
Schloßgraben, er ſchwimmt hindurch, er iſt auf 


* 


der Terraſſe, dicht, ganz dicht unter dem Fenz 
ſter! Die Marquiſe ward bleich, doch ſagte ſie, 
bei weitem ruhiger als zuvor: Nun wird es den; 
noch wahr! fie jtürmen das Schloß, wir werden 
uns anſchicken muͤſſen zu ſterben. In Gottes 
Namen! Ich bin bereit! — Der Herzog ſeiner 
Seits, hatte zwei geladene Piſtolen zu; ſich ge⸗ 
ſteckt, und trat gelaſſen zum Fenſter. Einen ö 
Augenblick blieb alles ſtill und geſpannt, da rief 
eine bekannte Stimme: es lebe der Koͤnig! und 
ſofort ward es laut im Schloſſe; raſche Schritte 
ſtuͤrmten die Stiegen hinan, die Thuͤren flogen 
auf, der junge Prinz Talmont lag in des 
Herzogs, ſeines Vaters, Armen. He 

Wie aus dunklem Nachtgewolk, trat der 
hohe, ſchoͤne Mann plotzlich zwiſchen die Stau— 
nenden. Etwas wild, das Haar vom Winde 
aufseloͤſt, ſtand er einen Augenblick Athem ſchöͤ⸗ 
pfend, auf einem breiten engliſchen Saͤbel ge: 
ſtuͤtzt. Sein ſtolzer Flammenblick weiſſagte 
Kampf auf Leben und Tod; und als er mit 
der tiefen, dumpfrollenden Stimme ſagte: ich 
komme, wie auf Windesfluͤgeln! glaubte man, 


— 16 — 
das Rauſchen des heranſtuͤrmenden re, 
dee Er 

Der Herzog, in feinem Anſchauen Aeg 
a ihn, ohne weitere Frage. Die Mars 
quiſe indeß hatte ſeine Hand gefaßt und ſagte, 
mit ſchoͤnem begeiſterten Blick: Nicht wahr, 
mein Frankreich wird gerettet? Die weiße Fahne 
weht in den Küftenftädten? — Sie weht in un⸗ 
ſerer Hand, fiel der Prinz raſch ein, ihr keu⸗ 
ſcher Glanz zieht wie ein Lichtſtreif uͤber die 
blutige Bahn, die Richtung iſt gegeben, erwar⸗ 
ten wir das Weitere! ri 

Du kommſt aus der Vendeet fagte. u. der 
Herzog zuverſichtlich. Ja, mein Vater, entgeg⸗ 
nete jener, um fogleich dahin zuruͤckzukehren. 
Der Name Talmont ſoll nicht zuletzt in dieſem 
Kriege genannt werden. Das halbe Poitou hoͤrt 
auf dieſen Namen. An dreihundert Gemeinden 
ziehen mit mir. Vergeſſen durfte ich das alte 
Tonnayboutonne nicht. Mich duͤnkt, ich war es 
den Ahnen der Caſſagne und la Motte Fouqué, 
ſchuldig. Umſonſt find wir nicht ſeit fait zwei 
hundert Jahren mit dem Eigenthum der ver⸗ 


triebenen Stammverwandten beliehen, jetzt fol: 
len wir erſt das volle Recht darauf gewinnen. — 

Der Herzog druͤckte ſchweigend ſeine Hand. 
Beide ſahen wie durch einen Zug geleitet, zu 
den Bildern der ehemaligen Schloßherren hinauf. 
Die ernſten leutſeligen Zuͤge ſchienen freundlich 
aus den tief nachgedunkelten Geſichtern herab 
zu laͤcheln. Die Marquiſe kannte ſich nicht vor | 
Entzuͤcken. Sie fiel beiden Männern weinend 
um den Hals, und ſahe im Geiſte ſchon alles 
laͤngſt Getraͤumte ganz nahe, ganz unumjtößlich 
wahr werden. 

Du findeſt, hub der e zuerſt wieder 
an, alles bereit. Ich hatte auf die erſten Nach⸗ 
richten von dem Beitritt gekannter Maͤnner mei— 
ne Maasregeln genommen. Und Du zweifelft 
wohl nicht, mein Sohn, daß ich Dich begleiten 
werde? Ein wehmuͤthig freudiges Laͤcheln flog 
uͤber des Prinzen Geſicht! Sehr geruͤhrt um⸗ 
ſchlang er den Vater mit beiden Armen, und die 
Thraͤnen zurückdraͤngend, erwiederte er weit leiz 
ſer, als er ſonſt zu reden pflegte: die Ehre Yu 
dem Herzen keine Wahl. 

Ir Theil. B | 


— 18 — 

Aber wohin, fragte die Marquiſe ſich plöͤtz⸗ 
lich beſinnend, wohin geht denn Ihr Weg? Zu 
den Bauern, Frau Marquiſe, lachte der Her— 
zog mit gutmuͤthiger Schadenfreude, zu den 
Vauern da druͤben uͤber die Charente. Die ſchla⸗ 
gen anders zu, als Ihr General Wimpfen und 
die zaudernden Englaͤnder. Das ganze linke Ufer 
der Loire iſt inſurgirt. Parthenay und Saumuͤr, ſiel 
der Prinz ein, und viele andere Städte in den 
Haͤnden der Koͤniglichen. Wie mit Wunderkraft 
begabt ziehen die Führer unter Kugelregen, zwi⸗ 
ſchen tauſend blinkenden Schwerdtern unverſehrt 
in die feindlich beſetzten Staͤdte, und der rohe 
Haufe folgt ihnen wie eine leitſame Heerde 
überall nach. 

Frau von Robillard ſahe ihn ungewiß an. 
Dahin wollen auch Sie mein Prinz? fragte ſie 
nachdenklich. Ueberlaſſen Sie das Geſchaͤft dem 
Herzog. Mich duͤnkt Ihr Platz ſey anders wo. 
Sie paſſen nicht unter Hirten. In einer Ritter⸗ 
und Ehrengarde waͤren Sie beſſer zu Hauſe. 
Alle koͤniglich Geſinnte, entgegnete der Prinz 
raſch, find Ehrenritter, fie bilden ein Korps, fuͤh⸗ 


— 19 — 
ren gleiche Waffen und haben einen Zweck. \ 
Gleichviel ob Hirt, ob Soldat! 

Die Marquiſe ſchuͤttelte den Kopf. Das 
klingt wohl ſo, aber iſt doch nicht daſſelbe. Sie 
wollen noch etwas anders, als die einfache Nothz 
und Gegenwehr. Sie werden dies Volk zu tra⸗ 
gen glauben, und es wird Sie vun. Geben 
Sie Acht! g 

Der Prinz beachtete ihre Worte nur halb. 
Ueberraſcht lag ſein Auge auf der ſchoͤnen Eli— 
ſabeth, welche auf's Hoͤchſte erſchuͤttert, durch 
die neue unerwartete Lebensregung in ihrem 
Kreiſe, alle Schüchternheit vergeſſend mit hoch⸗ 
gluͤhenden Wangen und einem Blick, in dem 
eine ganz friſch entfaltete Seele lag, dicht vor 
ihm fand, und wie eine Blume den Balfam: 
hauch der Begeiſterung in ſich ſog. Kindlich aufz 
horchend hob ſich das kleine runde Geſichtchen 
zu ihm in die Hoͤhe. Lange, blonde Locken, 
nach damaliger Sitte von beiden Seiten geſchei— 
telt, ringelten ſich bis auf die Schultern nieder. 
Ein dichtes ſchwarzes Kleid ſchloß ſich in kleinen 
Falten eng an Bruſt und Arme und huͤllte die 

B 2 


— 90 — 


ganze herrliche Geſtalt ein. Nur die Haͤndchen 
waren unbedeckt, ſie lagen auf der Stuhllehne 
der Marquiſe, und zupften ſpielend an den Fran⸗ 
zen des Sammtpolſters. Als der Prinz um der 
Marquiſe doch etwas zu erwiedern, halb ernſt, 
halb ſcherzend ſagte: Sie moͤge ſich huͤten, den 
Geiſt des tapfern Landvolkes nicht mit allzuen⸗ 
gem Maasſtabe zu meſſen, die edelſte Begeiſte⸗ 
rung finde hier ihren Platz, ſelbſt die Seelen 
der Frauen entzuͤnden ſich an dieſem allgemeinen 
Heerde, und Mehrere haben es nicht verſchmaͤ⸗ 
het ſich den Reihen der Vendeer anzuſchließen, 
da flog in hoͤchſter Ueberraſchung, ein Ach! über 
Eliſabeths Lippen. Der erſte Laut, den der Prinz 
von ihr hoͤrte. Doch die eigene Stimme ſchien 
das zarte Kind zu erſchrecken, beſchaͤmt wandte 
ſie ſich um und verließ das Zim mer. nag 

Wer iſt die Dame? fragte der Prinz e 
zu ſeinem Vater gewendet. Ein verwaiſtes Kind, 
Deine Verwandte, die Schweſter des jungen 
Rocheſoucault der am 10. Auguſt die Zimmer 
des Königs mit feinem letzten Blutstropfen vers 
theidigte. Sie war im Kloſter St. Stephanie 


— 21 — 


zu Poitier, und fand als Vertriebene Schutz bei 
mir. Wo wird das ſchoͤne Maͤdchen, ſagte der 
Prinz nachdenklich, wo die Frau Marquiſe in 
dieſer wilden Kriegszeit ſichern Aufenthalt finden? 
Wir wollen dies, erwiederte der Herzog, wie 
noch viel Anderes in dieſer Nacht berathen. 
Jetzt laß uns noch eine heitere, vielleicht letzte 
Abendmahlzeit mitſammen in den alten Mauern 
genießen. Er faßte ſeinen Sohn unter den Arm, 
und war fuͤr den ganzen Abend in der ee 
ſten, ſorgenfreieſten Aae 


Zweites Kapitel. 
Di Morgen daͤmmerte kaum noch in einzel⸗ 
nen unklaren Lichtern herauf, als ſich ſchon das 
ganze Schloß voll leiſer Geſchaͤftigkeit regte. Die 
Pferde des Herzogs ſtanden im Hofe, er ſelbſt 
hatte noch mehrere Anordnungen zu treffen, die 
Marquiſe tauſenderlei zu erinnern. Eliſabeth 
ging mit einem Lichte in der Hand, daß Herz 
voll ungekannter Erwartungen, voll Unruhe und 
ſchůchterner Hoffnung durch die großen Gemäs 


— 22 — 


cher. Ihre Blicke redeten mit den Figuren auf 
der Houteliſſe Tapete. Was die ſagten? und 
was ſie hoͤrte? ſie wußte es ſelber nicht, ſie war 
ſo wenig gewohnt zu reden, und was Andere in 
dieſer Zeit wohl zu ſprechen pflegten, das drängte 
immer wie ſchwuͤle Gewitterluft ihr Herzblut 
zuruͤck. Aber hier auf den Wänden, da ging 
es wie in ihrer Seele zu, fo undeutlich und doch 
ſo lebendig, und heiß und wahr. Es waren 
große Schlachtenſtuͤcke, viel Pferde und Men⸗ 
ſchen verworren in einander gedraͤngt, die Mei⸗ 
ſten ganz fabelhaft und ſeltſam gekleidet, es moch⸗ 
ten wohl Sarazenen ſein. Doch zu meift vorn 
ſtuͤrmte ein Geſchwader mit Helmen und bunten 
Wappenſchilden heran. Ein Ritter auf großem 
weißen Pferde an ihrer Spitze hielt eine Fahne, 
worauf das rothe Kreuz zu ſehen war, hoch in 
beiden gefaltenen Händen, und den Kopf zurück 
gewandt nach ſeinem Reutertrupp, zog dieſen 
ſein brennend großes Auge wie ein Feuerſtrahl 
uͤber fallende Sarazenen, ihm nach in Sieg und 
Tod. Das Geſicht des Ritters war wie von 
dem Glanze, der uͤber ihm ſchwebenden Fahne 


EI 


erleuchtet und die halb geöffneten. ſehr brennen; 
den Lippen ſchienen Eliſabeth etwas ſagen zu 
wollen. Dieſe betrachtete das Bild eben noch 
recht achtſam, wobei ihr allerlei, loſe und fluͤch⸗ 
tig durch die Gedanken zog, als des Prinzen 
Stimme mit ihrem tiefen Metallklang ſie vom 
Kopf zur Sohle durchzuckte. Leiſe bebend wandte 
ſie ſich nach ihm um. Sein Blick lag noch auf 
der Tapete. Ja, ja, ſagte er, ſo zieht Einer 
Viele nach, und der Sieg iſt ſein! Eliſabeth war 
viel zu bloͤde, um etwas zu erwiedern, doch hob 
ſich die Spitze ihres Fingers wie von ſelbſt zu 
der Fahne auf. Der Prinz ſahe ſie ſchweigend 
an. Es ging eine tiefe Rührung durch ſeine 
Seele. Doch ſagte er nichts, ſondern blieb lange 
nachdenklich halb auf das Dild, halb in 18 hin⸗ 
einſehend, ſtehen. 

Eliſabeth war verlegen in guuer Rahe. Sie 
haͤtte ſich gern entfernt, doch hielt ſie noch im⸗ 
mer vom Prinzen unbeachtet, das Licht in der 
Hand, und da fie es dieſem nicht entziehen woll— 
te, ſo blieb ſie, wenn gleich in großen Unruhe 
vor ihm ſtehen. Eine leichte Bewegung ihres 


— 24 — y 
Armes, machte endlich ihrem Nachbar feine Ver⸗ 
geffenheit bemerklich. Beinahe erſchrocken faßte 
er mit beiden Haͤnden zugleich das Licht und ihre 
Hand. Vergeben Sie, rief er, in hoͤchſt anmu⸗ 
thigem Eifer ſein Verſehen gut zu machen, ſchon 
am Eingange des Krieges wird Sitte und Galan⸗ 
terie verletzt. Gewis, meine ſchoͤne junge Freundinn, 
es bekuͤm mert mich mehr, als Sie vielleicht den 
ken, Sie in dieſen wuͤſten Tagen dem rohen Le⸗ 
ben ſo nahe zu wiſſen. Werden Sie ſich durch 
dieſes ſcheinbar kleine Vergeſſen nicht abſchrecken 
laſſen, und den Schutz eines Verwandten anneh⸗ 
men, der ja ohnehin nur fuͤr die Ehre und Frei⸗ 
heit ſeines Stammes ſicht? Eliſabeth's Wangen 
uͤberzog ein leichter Purpurſtrahl, dann ward 
fie ganz bleich, Thraͤnen traten ihr in die Aue 
gen, der Prinz fuͤhlte ihre Hand in ber ſeinen 
zittern, und dieſe Bewegung den Vorſtellungen 
naher Gefahr zuſchreibend, ſetzte er eilig hinzu: 
För den Augenblick werden Sie ganz ſicher auf 
meinem Schloſſe Aspermont ſein. Mitten in der 
inſurgirten Provinz zwiſchen Laroche ſuͤr Jon und 
Chantonnay gelegen, deckt fie von einer Seite 


— 8 
die große Armee, von der andern eröffnet ihnen . 
Charette im bedrängten Augenblick den Weg nach 
der Kuͤſte zur Flucht und Rettung. Wir ſelbſt 
werden noch heute die Ehre haben, Sie und die 
Frau Marquiſe dahin zu geleiten. Elisabeth ſah 
plötzlich zu ihm auf. Mein Prinz, ſagte fie ernſt, 
Sie nannten mich ihre Verwandte, Sie werden 
nicht glauben, daß ich in dieſer Zeit an mich 
denke. Seyn Sie verſichert, ich kann nicht vergeſſe en, 
daß ich eine La Rocheſoucault bin, und die wiſſen 
zu ſterben, wenn die Freiheit bedroht iſt. Eltſabeth! 
rief der Prinz ſehr erſchuͤttert, wenn der Krieg 
Sie in ſeine blutige Windungen hinein zieht, 
wenn — o mein Gott! wer kann alle Faͤlle be⸗ 
rechnen — wenn Ihnen Gefahr droht, gönnen 
Sie Niemand als Ihrem Freunde die Wonne 
Sie zu retten. Ein Wort, ein Zeichen, Eliſa⸗ 
beth — hier, die Hälfte dieſes Ringes, er brach 
einen ſchmalen Goldreif in zwei Stücken — 
ſchicken Sie ihn mir, wo ich 5 fü, 10 fliege 
Sie zu befreien. 
Eliſabeth nahm das kleine Bundes zeichen in 
ſichtlicher Bewegung. Sie blickte einen Augen— 


— 26 — 


blick verlegen zu Boden, doch, wie . 
Ahndung durchblitzt, ſagte ſie mit leuchtenden Aus 
gen, der Tag kommt gewiß, wo ich Sie an Ihr 
Verſprechen erinnern werde. Und Sie geloben 
mir Vertrauen, unbedingtes Vertrauen? fragte 
der Prinz dringend. Die Ehre unſers Hauſes 
gehört dem Prinzen Talmont, fo wie mir an, er⸗ 
wiederte Eliſabeth, ja ich gelobe es feſt. 

In dieſem Augenblick hoͤrte man mehrere 
Jagdhoͤrner im Hofe. Die Saalthuͤren gingen 
auf, der Herzog trat reiſefertig herein. Um jeden 
Verdacht eines ernſten Unternehmens zu vermeis 
den, ſagte er laͤchelnd, habe ich unſerm Auszuge 
den Anſtrich einer Jagdpartie gegeben. Nun! 
eine Jagd iſt es ja auch, ſetzte er ernſt hinzu, 
eine Jagd zwiſchen Loͤwen und Tiger, eine wilde 
blutige Hetze. Wir haben weites Revier, mein 
Vater fiel der Prinz ein, das ganze Frankreich 
offnet uns feine Königliche Forſten, die Thron⸗ 
wächter find darinn zu Haus! 

Der Herzog maaß nachdenklich Vergangenheit 
und Gegenwart, und ging ſchweigend mit unterz 
geſchlagenen Armen im Zimmer auf und nieder. 


— 27 — 
Dann und wann trat er zum Fenſter, die vielen 
Reiſe-Anſtalten der Marquiſe betrachtend, die 
trotz ihrer Unruhe, ihrem Schieben und Draͤn⸗ 
gen zum ernſten Ziele ſich dennoch durch ein Heer 
von Kleinigkeiten anhalten und klemmen ließ. 
Sie konnte nun einmal von ihren Gewohnhei— 
ten nicht laſſen. Die Mopſe mußten in zwei 
kleinen Koͤrben im Wagen wie im Zimmer, den 
gewohnten Platz zu ihren Fuͤßen finden. Der 
große Papageien-Bauer, und ein ungeheurer 
Toilettenſpiegel den Ruͤckſitz einnehmen, ein Kifts 
chen mit engliſchem Salze und Eſſenzen zur 
Hand fein, ihr eig'ner Platz im Wagen mit ecki⸗ 
gen und runden Polſtern verſehen, kurz nichts 
von allem Gebraͤuchlichen und Gewoͤhnlichen 
vergeſſen werden. Der Herzog ſahe der Packe— 
rei mit wunderlich innerm Behagen zu. Wie 
wuͤrde, brach er endlich lachend aus, der Lebens⸗ 
apparat fliegen, wenn nur ein einziger vepubliz 
kaniſcher Plaͤnkler über den Weg ſprengte! Frau— 
en, fuhr er, ſich zu den Uebrigen wendend fort, 
waͤlzen im Geiſte Staaten um, ſtuͤtzen oder ſtuͤr⸗ 
zen Throne, bewaffnen ganze Voͤlker, moͤchten 


Krieg und Schlacht nur ſogleich vor der Thuͤre 


haben, und koͤnnen den Fuß nicht über die klein⸗ 
ſte Erdſcholle ſetzen, ohne den ganzen, langen 


Schweif lächerlicher Gewohnheiten hinter ſich 
drein zu NEN und fo das Weſpenneſt haͤus— 
licher Sorgen uͤber uns auszuſchuͤtten. Zeiten 
wie dieſe paſſen nicht fuͤr fie. Sie träumen viel 
davon, aber die Wirklichkeit hat ein eee 
Senat, fie erſchrecken davor. 

Elisabeth fahe ihn betroffen an. In ice 
Augenblick ſchoß ein Gedanke in ihrer Seele auf, 
der bis dahin ganz verborgen keimte. Auch jetzt 
war fie ſich feiner nur halb bewußt. Doch trat 
ernſtes Nachdenken an die Stelle jener fruͤhern, 
ſchuͤchternen Ergebung. Ihre Lippen, die ſich bei 
einem ihr ganz eig'nen Ausdruck des Zuhoͤrens 
und Vernehmens bis dahin leiſe öffneten, als 
athme fie die Worte des Redenden ein, ſchloſſen 
ſich jetzt, ihr Blick war ein anderer geworden, 
nicht mehr das Fremde ſpiegelte ſich in ihm, er 
trat ſichtlich aus ihrem innerſten, tiefſten Das 


u 


| 


feyn heraus, und als ſuche er eine beftätigende 
Autwort, fo fiel er auf den Prinzen nieder, den 


1 


28 

das ernſte Mädchen mit geheimer unſaͤglicher 
Wonne betrachtete. Was dawals in Beiden vor⸗ 
ging, fie ahndeten Es kaum, aber das Leben hat 
es mit furchtbarem Ernſte zur That gemacht. 

Jetzt endlich war die Marquiſe fertig. Mit 
ver weinten Augen, ungleich bebender Stimme 
rief fie die uebrigen ab. Ihr koſtete der Ab⸗ 
ſchied von dem Schloſſe unendlich viel. Sie 
traͤumte zwar unablaͤſſig von ſchnellem raſchem 
Fortbewegen, von Reiſen und veraͤndertem Wohn⸗ 
fiß, doch hatte fie das Schickſal in der heimath⸗ 
lichen Provinz, ja in dem Kreiſe von wenig 
Meilen, ſtets gefeſſelt gehalten, und nur ihr 
Geiſt überflog die Zwiſchenraͤume, und lebte in 
beweglicher Verbindung mit Hauptſtadt, Hof 
und allen gegenwirkenden Tribfedern der Zeit. 
Ihr Herz war ſo gepreßt, daß ſie ein paarmal 
bei dem Hinuntergehen der Treppen ſtill ſteh'n 
mußte, um Athem zu ſchoͤpfen. Der Herzog, 
welcher ihr den Arm gegeben hatte, ſagte ihr 
leiſe: faſſen Sie ſich, man haͤlt ſie bei dieſer Mine 
eher fuͤr eine Gejagte als Jaͤgerin. Wenn die 
Welt in Flammen iſt, muß man nicht hinter ſich 


fehen. Sie drückte ihm leiſe die Haud „konnte 
aber dennoch der Thraͤnen kaum Herr werden. 
Es fand ſich beim Einſteigen, daß vor dem 
vielen Gepaͤck Eliſabeth nur ein kleiner, der Kam⸗ 
merfrau der Marquiſe aber gar kein Platz blieb. 
Der Prinz fragte daher ſeine ſchoͤne Couſine 06 
ſie nicht vorziehe zu reiten? Eliſabeth wußte nicht 
wozu ſie ſich entſchließen ſolle. Sie ſahe den 
® Herzog an. Dieſer lächelte, und ſagte: mein 
Gott, die Kleine fuͤrchtet ſich aber. Laſſen Sie 
ſehen! rief Eliſabeth ſchnell, welch ein Pferd 
wollen Sie mir geben? Der Stallmeiſter des 
Herzogs fuͤhrte ihr einen wunderſchönen Iſabel⸗ 
len vor. Sie ſchwang ſich leicht von ihrem Vet; 
ter unterſtuͤtzt in die Buͤgel. Ihr langes ſchwar⸗ 
zes Kleid, und der kleine Caſtorhut mit vielen 
Federn gaben ihrer Geſtalt auf dem hohen Pferde 
etwas unbeſchreiblich Erhabenes; das ſtolze Thier 
trabte leicht mit ſeiner ſchoͤnen Buͤrde uͤber die 
Zugbruͤcke hin. Seht doch! ſagte der Herzog, 
die kleine Heilige wird zur fahrenden Ritterint 
Beide Maͤnner nahmen ſie ſofort in ihre 
Mitte. Der Prinz war mit vieler Aufmerkſam⸗ 


. 
keit bemuͤhet, ihr mehrere kleine Vortheile der 
Haltung und Fuͤhrung des Pferdes zu zeigen, 
und bewunderte bald genug die ch hrigkeit feis 
ner Schülerin. Eliſabeth hatte die anfängliche 
Furcht fo ſehr bekämpft, daß fie ſich der freier'n 
Beweglichkeit des Reitens wahrhaft freuen konn 
te, und nur im Stillen bejammerte, einer laͤngern 


Uebung durch die Abreiſe ihres ene ſo bald 


verluſtig zu gehen. u. 
Sie waren eine Zeitlang abwaͤrts von der 
geraden Straße, Waͤldern und Moraͤſten entlaͤngſt 
geritten, als ihnen mehrere Schaaren zuſammen— 
getretener Landleute begegneten, welche zu der 
Armee von Charette fließen. Feſte, tuͤchtige Ger 
ſtalten von ſtillem Anſtande und einfacher Miene. 
Faſt alle mit großen Stoͤcken, die wenigſtens mit 
Jagdflinten bewaffnet. Einige waren zu Pferde, 
ohne eben darum ausgezeichneter zu ſeyn. Ihre 
Kleidung wich im Ganzen nicht ſonderlich von eine 
ander ab. Die meiſten trugen Pantalons und 
lange Jacken von grober, brauner Leinewand:; 
auf einem Weſichen von weißem Linnen hatten 
fie ein großes ſchwar zes Kreuz gemalt. Am Saume 


— 92 — 
aber Reliquien oder die Gebeine n e Vaͤ⸗ 
ter, Weiber und Kinder wie Franzen aneinander 
gereihet. Der Roſenkranz, mehrmals um den 
Hals geſchlungen, reichte bis an den Guͤrtel hin⸗ 
unter. Viele von ihnen beteten ihn, feft vor ſich 
hinſehend, unter leiſem Gemurmel ab. Auf ih⸗ 
ren Geſichtern war weder Wildheit, noch irgend 
kuͤhne, vächende Erwartung zu leſen. Sie ſchie⸗ 

nen ruhig und ernſt das Nothwendige zu wollen. 
Als einige von ihnen den Prinzen erkannten, 
riefen fie, ihre Mutzen abziehend: Im Namen 
Jeſus Chriſtus es lebe der Konig! 
Unbeſchreiblich war der Eindruck, den dieſer 
Gruß, ſo wie der ganze Anblick jener ſtill ent— 
ſchloſſenen Märtyrer auf Eliſabeth machte. Sie 
betrachtete ſie mit einer Erhebung und einem Ver⸗ 
trauen auf die goͤttlich geleitete Menſchenkraft, wel 
che ihr die heiterſte Zuverſicht gaben. N 
Begeiſtert ſah fie auf den Prinzen, der ihren 
Blick verſtand, und dicht zu ihr gebeugt, ihre Hand 
druckend, leiſe fluͤſterte: der Blick, Eliſabeth, 
geht wie ein verheißender Stern aan auf siehe 
nen Bahnen voraus. 


Es hatten ſich ihm indeß viele der Voruͤber⸗ 
ziehenden genaͤhert. Sie gingen ſehr ehrerbietig 
mit entbloͤßtem Haupte neben feinem Pferde und 
baten mit treuherziger Zuverſicht, bei ihm bleiben 
und unter ſeinen Fahnen fechten zu duͤrfen. Der 
Prinz lud ſie alle ſehr bereitwillig zu ſich nach 
Schloß Aspermont, wo er uͤbernachten wollte, 
und verſprach, ſie ſchon am folgenden Morgen 
der ſiegreichen großen Armee nach Angers entge- 
gen zu fuͤhren. Er redete aͤuſſerſt herablaſſend 
und viel mit ihnen, gleichwohl bemerkte Elifaberh 
mit einiger Unruhe, daß der Herzog es beſſer 
verſtand in ihre Gedanken einzugehen, und ihnen 
auf alle Weiſe naͤher als ſein Sohn ſtand! Sie 
haͤtte es anders gewuͤnſcht, und fuͤhlte nicht ohne 
Betruͤbniß, daß die ſchwache Geſundheit des Her; 
zogs ihm nicht lange geſtatten wuͤrde das Heer 
zu begleiten. Doch mußte die ungewiſſe Zukunft 
auch in ihr bald vor der lebendigen Gegenwart 
zuruͤcktreten. Es geſellten ſich immer mehr Krie; 
gergemeinden zu ihnen. Ihre Reiſe glich von 
da ſchon einem Heereszuge, der noch unter dem 


ſanften Schutze des Friedens und der Freund⸗ 
Ir Typen. 


ſchaft, von dem kuͤhnen vo aneilenden Gedanken⸗ 
fluge des Prinzen beſeelt, den reinen Glanz groß 
ßer Unternehmung trug, und dem begeiſterten 
Maͤdchen in der Nähe ihres Helden alle Wonne 
gemeinſamer That und gemeinſamen Vollbrin⸗ 
gens lieh. * int 


So zogen fie in Schloß Aspermont ein, 
Der Wagen der Marguife war ihnen gefolgt, 
Er hielt ſetzt im Hofe, mitten unter dem wunder 
bar geſtalteten Kriegerhaufen. Frau von Robil⸗ 
lard ſtürzte ſich ſaſt aus dem Schlage, den guten 
verwunderten Leuten entgegen. In ihrer unbe⸗ 
zwinglicheu Lebhaftigkeit lief fie mehr als fie ging, 
faßte wen ſie erreichen konnte, und bat jeden 
mit ehraͤnenden Augen Paris zu befreien, und 
die Koͤnigin, die ihr ſtets, ohne ſie je geſehen zu 
haben, vor Augen ſchwebte, zu retten. Obgleich 
von allem, was ſie ſagte, nicht viel mehr als der 
Name der Koͤnigin von ihren Zuhörern verſtan— 
den ward, ſo reichte der doch vollkommen hin, | 
allgemeine Bewegung unter ihnen zu erregen, 
lauter Jubelruf antwortete der Marquiſe, und fie | 


— 35 — 
ging weinend und ee die Schloßtreppe 
ene 


Indeß war Eliſabeth i in ein Met getreten, 
deſſen hohe, offen ſtehende Glasthuͤren nach 
dem Garten hinaus gingen. Die Abendſonne 
warf eben ihren vollen goldenen Strahlenkranz 
auf die Schloßfenſter zuruͤck. Der ſchoͤne friſche 
Hafen zu Eliſabeths Füßen und die Blumen waͤnde 8 
zunaͤchſt den Terraſſen, waren wie von wogenden e 
Goldnetzen umzogen. Mein Gott! rief Eliſabeth, 
uͤberraſcht beide Arme ſinken laſſend, mein Gott, 
wie ſchoͤn! — Alles leuchtete und glaͤnzte rund 
um ſie her, da unten ging der Prinz ganz von 
Purpurlichtern umfloſſen. Er redete mit ſeiner 
ſchoͤnen, ſtolzen Miene zu dem Kaſtellan. Er 
ſchien ihm etwas in Bezug auf die Zuruͤckbleiben— 
den zu ſagen. Sein Blick flog zu Eliſabeth hin⸗ 
auf, und als er fie ſahe, lächelte er, und ſenkte 
winkend die Augenlieder, als wolle er ſagen: ich 
gruͤße Dich, mein ſchoͤner, holder Gaſt. 


Wunderbar ſtreifen im Menſchen die Graͤn— 
zen der Gefühle aneinander! Mitten in den voll⸗ 
C 2 


ſten Athemzuͤgen des Lebens zuckte Eliſa beth der 
Gedanke an den Tod durch alle Nerven. Es 
dunkelte ihr vor den Augen. Alles Blut trat ihr 
zum Herzen, und als ſie ſo bang und beklemmt 
um ſich ſehen und aufathmen wollte, war die 
Sonne hinunter geſunken, und weiße Nebelſtrei⸗ 
fen zogen über die Stelle, wo der Prinz geſtan⸗ 
den hatte. Abſchied! Abſchied! ſaͤuſelten Blu⸗ 
men und Straͤucher. Abſchied! rief es ſchneidend 
in Eliſabeths Seele. Sie druckte beide Hände 
vor die Augen, und ließ die heißen Thraͤnen un⸗ 
gehindert ſtroͤmen. 
Es war ganz dunkel geworden, als der 
Prinz, ſie überall ſuchend, ſorglich ihren Na⸗ 
men rief. Sie erſchrak, ihre Thraͤnen ſtock⸗ 
ten, doch war ſie außer Stand, ihm zu antwor⸗ 
ten. Jetzt rief er noch einmal und dringender als 
zuvor. Gott weiß, weshalb der Ton fo überaus 
ſchmerzlich an ihr Ohr ſchlug. Die uͤberreizten 
Sinne jagten wuͤſte Bilder an ihr voruͤber. So 
wird er vielleicht einft vergeblich — ſagte fie leiſe — 
ihr ſtarben die Worte auf der Lippe, und wie man 
ſich oft im Traume umſonſt anſtrengt, einen Laut 


— 37 — 
hervorzubringen, ſo klemmte ſich auch jetzt jeder 
Ton feſt in der Bruſt zuſammen. 

Eliſabeth ’ fagte der Prinz ihr endlich im 
Vorſaale begegnend, kannten Sie die Stimme 
Ihres Freundes nicht? Mein Gott! rief er, in 
ihr verweintes Auge ſehend, was iſt geſchehen? 
Was fehlt Ihnen? Vittend flehete fie, wieder 
ganz in ihre volle Kindlichkeit zuruͤcktretend, fra⸗ 
gen Sie nicht danach. Ich will mich auch bemuͤ⸗ 
hen, es zu vergeſſen. a 

Ihr liebes Auge ſahe ſo innig zu ihm auf, 
daß er nicht den Muth hatte, weiter in ſie zu 
dringen. Ueberall ſcheuete er mit Recht noch 
mehr an den Stuͤrmen ſeiner Seele zu ruͤhren. 
Er blieb einige Minuten, die Stirn gegen die 
flache Hand gedrückt, finſter und ſchweigend vor 
ihr ſteh'n. Dann aber, plotzlich auffahrend, griff 
er raſch nach ihrer Hand. Leben Sie wohl, Elis 
ſabeth! rief er mit all feiner brauſenden Heftig⸗ 
keit, die Minuten ſind gezaͤhlt, wir haben Eile, 
dieſe Nacht fuͤhrt uns noch weit von hier, in kur⸗ 
zem hoͤren Sie von uns, die Armee bricht auf 
nach Nantes, es muß unſer werden, vergeſſen 


— 88 — 


Sie mich nicht, denken Sie an — er wollte noch 
etwas ſagen, doch fie hörten des Herzogs Stim⸗ 
me, und unwillkuͤhrlich traten ſie auseinander. 

Meine kleine Nichte, ſagte dieſer im Hinein⸗ 
treten, ich laſſe Ihnen den ſchlanken Iſabellen 
zuruͤck, der doch nun wohl zu ſtolz ſeyn möchte, 
einen Andern zu tragen, ihn verlangt fortan nur 
nach goldenem Zügel und einer zarten, weißen 
Hand. Er kuͤßte hier mit angenehmer Galan⸗ 
terie die ihrige, und ſetzte laͤchelnd hinzu, wer 
weiß, iſt es Ihnen, meine ſchoͤne Freundin, nicht 
aufgehoben, uns wie eine zweite Johanne d' Are 
in den Streit zu fuͤhren, und dann traͤgt ſie mein 
Iſabell leicht zu uns heruͤber. — 

Eliſabeth konnte ſeine ſcherzende Anrede nicht 
eben ſo beantworten. Es war ihr zu ernſt, zu 
feierlich zu Muthe. Dankend verneigte ſie ſich, 
und eben weil ihr das Geſchenk des Pferdes übers 
aus theuer war, konnte ſie um keinen Preis ſpie⸗ 
lend darüber, hinfahren. Mit geſenktem Auge 
lispelte ſie: Immer verſtanden Sie es, mein 
Oheim, Troſt und Hoffnung in meine Wunden 
zu gießen. — 


— 39 — 
Des Prinzen Augen brannten noch einmal 
auf den ihrigen, dann brach alles unruhig auf. 
Im Hofe draͤngten ſich Pferde und Leute anein— 
ander. Die Lichter vom Perron herunter flak 
kerten ungleich, man erkannte niemand deutlich, 
nur die ſchwarzen Kreuze auf den linnenen We— 
ſten und die weißen Reliquien ſtachen ſchauerlich 
gegeneinander ab. | 
Still ſetzte ſich der Zug in M ER Er bog 
langſam in die dunkle Kaſtanien⸗Allce jenſeit der 
Schloßmauer hinein, von wo man ihn wie einen 
langen, ſchattigen Streif in die Weite verſchwin⸗ 
den ſah. Noch oft wehete der Prinz mit einem 
weißen Tuche gruͤßend zuruͤck, dann verſchwand 
auch das letzte, liebe Lebenszeichen. Eliſabeth ſah 
feſt und thraͤnenlos den Abwaͤrtsziehenden nach, 
doch als die Marquiſe nun laut weinend in das 
Schloß zuruͤckging, und der Kaſteltan die großen 
Eichenthuͤren zuſchlug, den ſchweren Metallriegel 
davorſchob, da rief etwas in ihr: Er kehrt nie⸗ 
mals wieder! und als habe fie Blei an den Fuͤ— 
ßen, ſchleppte fie ſich bleich und mn auf 10 
einſames Zimmer. 


Drittes Kapitel. * 

Die piöstiche Stile auf Schloß Aepermont bes 
klemmte alle Herzen. Eliſabeth wußte am wer 
nigſten, wo ſie mit der innern Angſt hin ſollte. 
Unwillkuͤhrlich trugen ſie ihre Schritte immer 
wieder auf die Stelle, von wo fie die Scheiden⸗ 
den ziehen ſahe, und weit, weit hin, folgten die⸗ 
fen Blick und Gedanken. Doch gerade dann bes 
fel ſie eine Unruhe, die weder Thraͤnen noch Ges 
bet beſchwichtigen konnten. Sie mußte hinaus 
aus dem engen Schloßbezirk, die hohen Kaſtanien 
entlaͤnge, vielleicht daß fie dem Boten des Here 
zogs begegnete, vielleicht daß dort eine Seele ath⸗ 
mete, die Troſt in dieſer Ungewiß heit zu geben 
wußte. W nere 
Der treue Iſabell trug ſie dann willig durch 
Feld und Wald, und ſchweigend folgte ein alter 


— 41 ä — 
Diener des Hauſes, der es nicht recht begriff, 
warum man die Kronraͤuber nicht ſchon laͤngſt zu 
Paaren getrieben, und die alte Ordnung wieder 
hergeſtellt habe. Er zweifelte keinen Augenblick, 
daß die leichte Arbeit bald vollbracht und der 
Herr Herzog in kurzem wieder hier ſeyn wuͤrde. 
So beſchraͤnkt der treue Glaube des armen Alten 
auch war, ſo thaten ſeine Aeußerungen Eliſabeth 
doch heimlich wohl, und gern ließ ſie ihm das 
täglich Geſagte immer wiederholen. 


So unter den Trugbildern geſchmeichelter 
Phantaſie gemaͤchlich forttrabend, uͤberraſchte fie 
einſt die hereinbrechende Dunkelheit. Die Sonne 
war laͤngſt untergegangen, dichte Dampfſaͤulen 
ſtiegen aus moorigem Wieſengrunde vor Eliſabeths 
Pferde auf, es zog wie eine weißliche Wolke um 
ſie her, man ſahe kaum die naͤchſten Schritte vor 
ſich. Jetzt zeigte ſich ein ſchmaler naͤher fuͤhren⸗ 
drr Fußpfad rechts uͤber eine kleine, mit Planken 
belegte Bruͤcke. Eliſabeth, durch die zunehmende 
Finſterniß doch etwas geaͤngſtet, wollte raſch dar— 
uͤber ſprengen; ſchon klangen die Bretter dumpf 


9 


— 42 — 
unter den ſtampfenden Pferdehufen zurück, als 
plotzlich unterhalb aus dem trocknen Graben ein 
Mann mit verwildertem Bart und Haaren, hei⸗ 
fer ſchreiend: rettet mich, rettet mich, ich ſterbe 
vor Hunger! in die Zuͤgel ihres Pferdes ſiel. 
Der Schreck hielt Eliſabeth wie gebannt, ſprach⸗ 
los auf einer Stelle. Erbarmen Sie ſich, rief 
der Ungluͤckliche aufs neue, wer Sie auch ſind, 
ich flehe zu der ſanften Seele einer Frau, retten 
Sie einen Külflofen, den das Mißlingen aller Les 
benshoffnungen in dieſe Suͤmpfe trieb. Er war 
bei dieſen Worten unwillkuͤhrlich in die Knie sc: 
ſunken. Krampfhaft faßten feine Haͤnde ihr 
Kleid. Ich kann nicht weiter, ſtammelte er, mei⸗ 
ne Füße bluten, die Kräfte verſagen mir, nur 
eine Nacht Obdach! nur um eine Mahlzeit flehe 
ich. Die Todesangſt verzerrte ſeine Zuͤge bis zum 
Ausdruck des Wahnſinns. — An allen Gliedern 
zitternd ſprang Eliſabeth vom Pferde. Ihre erſte 
Bewegung war, dem Fremden aufzuhelfen, dann 
winkte ſie den Reitknecht herbei, jenen auf den 
Iſabellen zu heben, und des Pferdes Zügel faß⸗ 
ſend, fuͤhrte ſie den ungekannten Gaſt ſchweigend 


— 3 — 


unter heimlich beklemmender Augſt aun en 
zum Schloſſe hinan. 


Tragen Sie Sorge fuͤr einen Kranken, ſagte 
fie dem Kaſtellan, indeß fie unter dem Thore ſtill 
hielt und ihren Pflegbefohlnen in ein unteres Zim⸗ 
mer führen ließ. Forſchen Sie nicht viel, wer er 
ſey, ſetzte fie eilig hinzu, es mag uns wenig from— 
men und thut zur Hauptſache nichts. Vor al⸗ 
lem bedarf er Speiſe und Ruhe, und beides ſchaf⸗ 
fen Sie ihm wohl. | 


Dieſes beſorgt, ging fie, die Marquiſe von 
dem Vorfalle zu unterrichten, da fie uͤber alle weis 
ter zu nehmenden Maaßregeln unſicher war, und 
ſichtlich zwiſchen Mitleid und mehr dunkel geahn— 
ten, als empfundenen Ruͤckſichten kaͤmpfte. Sie 
fand Frau von Nobillard ſehr erhitzt, ſehr bekuͤm— 
mert, alle Zeichen fehlgeſchlagener Erwartung in 
den unruhig arbeitenden Zügen. Neu angekom⸗ 
mene Briefe und öffentliche Blätter lagen zer⸗ 
ſtreut um fie her. Sie ſchob dieſe eilig zuſam— 
men, und erſchoͤpft in ihren Seſſel zuruͤcklehnend 
ſagte fies Arme Kleine, was ſuchſt Du bei mir? 


— 44 — x 
elisabeth fnhe zuaſtlich nuf die Papiere. Haben 
Sie Nachrichten? fragte fie leiſe. Wie ſollte ich 
nicht! erwiederte jene, meine Verbindungen laſſen 
mich nie arm daran. Doch was helfen ſie uns! 
Wir haben es nur mit Treuloſen und Unglück 
lichen zu thun! Eliſabeth ward todtenbleich, ſie 
mußte ſich ſetzen, und den Arm auf den Tiſch der 
Marquiſe geftügt, wiederholte 0 ie langſam: wur 
ſoſe? — * 

Frau von Robillard griff haſtig nach den eben 
erhaltenen Tages blaͤttern, breitete ſie vor Eliſa⸗ 
beth aus, und indem fie während des Redens hef— 
tig mit dem Zeigefinger auf die angefuͤhrten Stel⸗ 
len tippte, ſogte fie: Publiciſt und Moniteur zei⸗ 
gen genugſam, welch ein Anſehen alles gewinnt. 
Dieſer Pariſer Konvent laͤhmt wie das Meduſen⸗ 
haupt jeden aufgehobenen Arm! Zitternd und 

verſtoͤrt fallen gutgeſinnte Staͤdte wieder unter 
das Joch der Anarchie zuruͤck, ihre Obern ſind 
Memmen oder Inſtrumente der Gegenparthei, 
und das Volk — nun mein Gott! das iſt allent⸗ 
halben eine brech Maſſe, die man in jede Form 
knetet. Alles iſt von dieſer Seite verloren! und 


— 45 — 
was eine Diverfion gemacht, was die Zagenden 
electriſirt haben wuͤrde, die Einnahme von Nan⸗ 
tes, das iſt mißgluͤckt, wir ſind geſchlagen, und 
haben keine andere Hoffnungen, als mit dem letz⸗ 
ten Blutstropfen Frankreichs erlöjchender Ehre ein 
armes truͤbes Opfer zu bringen. 


Eliſabeth konnte nicht cis einziges Wort far 
gen. Die Heftig keit der Marquiſe mehr noch als 
die truͤben Nachrichten machten ſie ſtumm. Me⸗ 
chaniſch ſtreckte ſie ihre Hand nach einem Briefe | 
aus, den ihr jene hinhielt. Er war vom Her⸗ 
zoge, der Inhalt folgender: 2 


„Es befremde die edlen Damen auf Aſpermont 
„nicht, wenn Sie erfahren, daß ihre Vertheidi⸗ 
„ger den Plan auf Nantes aufgegeben und die 
„ufer der Loire fuͤr jetzt verlaſſen haben. Ein 
„erſter Unfall iſt eine Mahnung des Himmels zur 
„Vorſicht. Vielleicht, daß das ſtolze Blut des 
„Prinzen ihn zu allzukuͤhnem Flug verleitend den 
„Feind uͤberreizt und zur Ausdauer gezwungen 
„hat. Wenn indeß einerſeits der jugendlichen 
„Unerſchrockenheit das richtigere Maaß fehlte, fo 


— 46 — 

„habe ich doch auf andere Weiſe die Glorle mei⸗ 
„nes Hauſes in ihrem vollen Glanze aufflammen 
„ſehen. Der Prinz war herrlich im Gefecht! Er 
„fuͤhrte die Kavallerie und deckte unſern Rückzug. 
„Mehr als ein Pferd ward ihm erſchoſſen. Haͤr⸗ 
„ter traf es den edlen Cathélinnau, er iſt toͤdt⸗ 
„lich verwundet. Die ganze Armee trauert mit 
„Recht deswegen, doch bleiben uns noch andere, 
„nicht minder geachtete Fuͤhrer. Ueberall duͤrfen 
„wir bei keinem Mißgeſchick verweilen. Im 
„Sturme heben ſich die Schwingen nur um ſo 
„gewaltiger. Vergeſſen Sie das nicht. Gewoͤh⸗ 
„nen Sie ſich auſſerdem den Gang dieſes Krieges 
„nicht nach gewohnten Grundſaͤtzen der Taktik zu 
„ſchaͤtzen. Wir wollen nichts, als uns 

„behaupten. Können wit das, gi SORT 2 
„alles Andere finden.“ 

„Jetzt wenden wir uns nach Lugon im Ver⸗ 
„ein mit Charette. Sie werden bald von uns 
„hoͤren.“ % eee 

Nun, ſagte Eliſabeth, die leuchtenden Augen 
von dem Blatte aufhebend, was iſt denn auch 
ſo Großes geſchehen? was Heute verloren ward, 


* 
kann Morgen wieder genommen werden. Die 
Marquiſe ſtarrte ſie verwundert an, drauf die 
Schultern zuckend, warf fie ſich mit den Worz 
ten: Mein Gott! wie kurzſichtig! unwillig in die 
Sophakiſſen zuruͤck. Seh'n Sie denn nicht, rief 
ſie nach kurzem Beſinnen, ploͤtzlich wieder auffah— 
rend, ſeh'n Sie nicht, daß dieſe ehrgeitzigen, un⸗ 
ruhigen Gemuͤther, dieſe Paladine des Ruhmes, 
ſich aus dem ſchlichten Gange der Ereigniſſe hers 
ausheben, und fo das perfönliche Ritterthum vor 
der Welt behaupten, den Geiſt der Gemeinſchaft 
gleichwohl durchaus verwirren werden. Man 
muß den Einzelnen vergeſſen koͤnnen, wenn man 
ſich zu dem Gedanken des Vaterlandes erhebt. 
Ich weiß nicht, meine Tante, entgegnete Eliſa— 
beth ſchuͤchtern, wie das irgend jemand gelingen 
moͤchte. Ein jeder hat zuerſt ein geliebtes Haupt, 
an das ſchließen ſich ihm die übrigen Glieder an. 
Ohne ſolch ein Band der Liebe, wo wäre denn 
unſ re Heimath? und was den Ruhm betrift? — 
er iſt das goldene Ehrenkleid, was der himmli— 
ſche Vater ſeinen Kindern zeigt, wenn er ſie zu 
ſich rufen will. Goͤnnen wir es denen, die ſich 


hier in Blut und Wunden hüllen! — Ou ich 
weiß, tief die Marquiſe ſichtlich durch dies Bild 
erſchuͤttert, ich weiß, fie werden ſich alle, alle von 
den republikaniſchen Henkern ſchlachten laſſen! fie 
ſchwelgen ordentlich in der Vorſtellung ſolchen 
Opfertedes, ſie geitzen danach, und wenn jedes 
Andere darüber zu Grunde ginge! Sie hatte 
das letztere ſchluchzend, unter einem Strom von 
Thranen defiig herausgeſtoſſen. Elisabeth faßte 
ihre Hand, und fie ſanſt an ihre Lippen dr 
kend, ſagte ſie: es ſind ja Chriſten, meine Tan⸗ 
te, ſie werden nicht mehr thun, als ſie dürfen. 
Dier trat der Kaſtellan in das Zimmer, und 
fagte leiſe, zu Eliſabeth gebeugt: „Mein Fräulein 
der Kranke wuͤnſcht Sie zu ſprechen.“ Gott! ja, 
rief dieſe ſich beſinnend, meine Tante, es iſt ein 
Ungluͤcklicher hier im Schloſſe, den ich hilflos 
am Wege fand, und ihn ſo in dieſe Mauern 
führte. Wie? ſagte Frau von Robillard, indem 
fie von ihrem Sts aufſprang, ein Fremder? hier 
bei uns? Mein Gott wie unbeſonnen! Sie ſoll⸗ 
ten die Gallichteit in des Prinzen Namen nicht 
allzuweit ausdehnen, Sie werden dieſen wenig 


K | 

dadurch verbinden. Eliſabeth erzählte wie alles 
gekommen war, und die Marquiſe immer voraus 
eilend, ohne ſonderlich darauf zu achten, wieder⸗ 
holte mehreremale : ich muß ihn feldft ſehen und 
pruͤfen, ob wir ihn hier behalten duͤrfen. nis 
So kamen ſie an des Kranken ⸗Zimmer. Als 
der Kaſtellan die Thuͤren oͤffnete, richtete ſich ein 
jugendlich uͤberaus ſchoͤner Mann vom Lager in 
die Höher: Mit einer Hand das wilde Haar 
aus der Stirn ſtreichend, mit der andern den 
dürftig braunen Mantel uͤber halb entblößte 
Schultern ziehend, richtete er die dunkeln melan⸗ 
koliſchen Augen tiefſiunig auf die beiden eintre⸗ 
tenden Frauen. Buͤrgerinnen, ſagte er mit vol⸗ 
ler etwas ſpröder Stimme, ich will Ihr Ver⸗ 
trauen weder durch Verrath noch Heuchelei miß⸗ 
brauchen. Ich weiß, daß ich mich in Mitten ei⸗ 
ner aufruͤhreriſchen Provinz, unter dem Schutz 
gluͤhender Verfechter alter Irrthuͤmer befinde, 
ich weiß, daß augenblickliches Waffengluck Sie zu 
großen Erwartungen berechtigt, daß Sie ſtolz und 
kuͤhn Rache an dem Einzelnen nehmen koͤnnen, 
der ſich Ihnen freiwillig auslieferte; doch, welches 

Ir Theil, D 


— 


auch mein Loos ſey, ich verachten es die innere 
Wahrheit vor der Gewalt des Schickſals zu ver⸗ 
leugnen. Bürgerinnen, Sie bergen unter Ihe 
rem Dache ein ehemaliges Mitglied des Convent 's 
einen jener geflüchteten Girondiſten, welche der 
raſenden Anarchie in die Zuͤgel ſielen, und von 
ihr niedergerannt unter die Trümmer des Vater 
landes geſchleudert wurden. Mein Name iſt Bar⸗ 
barour, thun Sies mit mir wie Sie wollen, ſrit 
ich gegeſſen und geſchlafen habe, ſetzte er; finſter 
hinzu, mag ich nicht mehr leben, nau iſt der letzte 
Reiz des Daſeins hin. Er legte ſich mit dieſen 
Wortenrauf die Kiſſen zuruck, und den Blick am 
Buden geheftet, ſchien er es vergeſſen zu haben, 
daß noch guſſert ihm jemand im Zimmer ſe. 
Eliſabeth betrachtete die ſchoͤne, ſchauerliche 
Geſtalt mit entſetzlicher Bangigkeit. Widerwillig 
ſtel ihr Auge auf ſie, wie auf ein Geſpenſt zuruͤck, 
und tief aus ihrem Herzen ſchrie es herauf: der 
hat das Todesurtheil feines Koͤnigs umer zeichnet! 
ganz Frankreichs Blut klebt an dieſer Hand! 

Die Marquise etwas geſpannt, mehr gereitzt 
als entfremdet, konnte ſich nicht enthalten, auf 


Km * 4 


— BT se, 

dieſe lange Anrede, kurz und bitter zu erwiedern: 
Sie ſuchen nicht bei Frauen den Tod, Sie wiſſen 
ihn ohne Zweifel anders wo zu finden, deßhalb 
waren Sie des Schutzes ohne weitere Zuſage hier 
gewiß. Und gleich darauf durch ein linderes Ge; 
fuͤhl der Theilnahme beſchwichtigt, ſetzte ſie ſanft 
hinzu: möchte ſich jeder andere Zweifel eben ſo 
ſchnell in Ihnen loͤſen, und Sie ruhig ſeyn koͤn⸗ 
nen. Der Juͤngling ſahe ſie ſehr truͤbe an. Ich 
waͤre gluͤcklich, ſeufzte er, koͤnnte ſich noch ein 
Zweifel in mir regen, dann e Hoffnung 
ip auch noch Raum. 1. ı aun 

Die Marquiſe hatte ſich ihm va ummoiße, 
kuͤhrlich genähert. Die ſchwere Schickſalshand 
die auf dieſem Haupt zu laſten ſchien, zog ſie 
magneriſch an. Wie, ſagte fie, zwiſchen Stolz und 
Mitleid ſchwankend, duͤrfen Sie den Erfolgen 
miß trauen, die Sie ſelbſt vorbereiteten? — Was 
hat das Wohl der Republik mit der Schmach, 
dem Schmerz und Elend des Einzelnen zu thun? 
Seit wann zähle man Menſchenopfer für etwas? 

Jener richtete ſich duͤſter in die Hoͤhe. Die 
breite nervige Bruſt vorgebeugt, beide Arme auf 

D 2 


— 52 — 

eine vor ihm ſtehende Stuhllehne geſtemmt, ſagte 
er: Durfte es Brutus bereuen den Caͤſar erſchla⸗ 
gen zu haben, weil Octavian dennoch die Krone 
ſtahl? Soll die Ernte auf die Saat zuruͤckſchlie⸗ 
ßen laſſen, weil ein Geier die ausgeſtreueten Koͤr⸗ 
ner fraß? Doch trauern durfte Brutus uͤber den 
Geier und mit edlem Roͤmerzorn die kaum wieder⸗ 
gebornen Menſchenrechte welken ſehen. Muͤſſen 
Forum, Triumphbogen, verfallene Porticus und 
Bäder uns allein erinnern, wer unſere Stammvaͤr 
ter waren? ich für mein Theil habe noch nicht 
anders empfinden gelernt, wie jene Römer, und 
bin ſtolz darauf, ſchon vor der Revolution ein 
Republikaner geweſen zu ſey n. 

Eliſabeth war ſcheu bis zur Thuͤr zuruͤck ger 
treten, und ſuchte durch Blicke und Minen die 
Marquiſe zum Hinausgehen zu bewegen. Doch 
dieſe hatte bereits an des Kranken Lager Platz 
genommen, und indem ſie ihrer Nichte Aufforde⸗ 
rung kopfſchuͤttelnd ablehnte, ſagte fie zu dem 
jungen Barbarour gewendet: Was aber denken | 
Sie in dieſer troſtloſen Stimmung fuͤr ſich und 
das beaͤngſtete Vaterland zu thun? Unmoͤglich 


— 53 — 
können Sie den Gedanken an Rettung aufgeben. 
„Der gegenwartige Augenblick, erwiederte jener, 
erſtickt alles Gegenwirken. Das neue Licht iſt 
zur wilden Flamme aufgeſchoſſen, wir ſehen ſie 
in raſender Wuth fortlaufen, niemand kann ſie 
hemmen. Doch ſeyn Sie gewiß, ſie verzehrt ſich 
ſelbſt, und ſpaͤt oder fruͤh wird der gemaͤßigte 
Hauch der Wahrheit die zuſammengeſtuͤrzte Gluth 
wiederanfachen. Die Fackel der Aufklaͤrung hat 
nicht umſonſt gezuͤndet. Die Binde iſt von den 
Augen der Voͤlker herabgefallen 11 ſie leſen die 
Geſetztafeln der Natur, jedweder fuͤhlt, wie ſchwer 
> fein eigenes Recht in der allgemeinen Wagſchaale 
fällt, und wird dies Gewicht geltend machen. Jetzt 
freilich haben Tyrannen aus zerbrochenen Feſſeln 
neue Ketten geſchmiedet, das Entſetzen haͤlt die 
Kraͤftigſten gelaͤhmt, in den Städten, dem eigent⸗ 
lichen Heerde buͤrgerlicher Freiheit, hat die Anar⸗ 
chie ihre feilen Waͤchter aufgeſtellt, die Weisheit 
tritt ſcheu zuruͤck. Im Oſten ſehen wir Lyon 
noch kaͤmpfend unter den Waffen, doch es muß 
unterliegen. Und was von Caen, Breſt und Bour⸗ 
deaux zu erwarten iſt, das haben wir erfahren. 


— 54 — 
Wie, fragte die Marquiſe, find Sie 3 
wohl bis hieher gelangt? — tt” 
„Die Gefahren welche wir beſtanden Biber, 
erwiederte Barbaroux, find fo unzählige, daß die 
eine den Eindruck der andern verdraͤngt hat. 
Ich weiß in meiner Erinnerung nur Hauptmo⸗ 
mente aufzufinden. Als der Streit im Convente, 
fuhr er erzaͤhlend fort, der gemaͤßigten Parthei 
furchtbar wurde, trat ein Mitglied derſelben nach 
dem andern aus den beengten Kreiſen. Ein und 
zwanzig Deputirte fluͤchteten nach dem Departe⸗ 
ment Calvados. In Caen verſammelten ſich die Der 
partementaltruppen. General Wimpfen verhieß, 
ſie nach Paris zu fuͤhren. Wir ſtießen zu ihnen. 
Niedertraͤchtig unterhandelten die Adminiſtrato⸗ 
ren der Stadt mit dem Pariſer Convent. Heim⸗ 
lich waren ihre Traktate abgeſchloſſen, und wir 
verrathen. Wir geſellten uns zu den auseinan⸗ 
dergehenden Truppen. Zu Finijtere ſtieſſen uns 
auch dieſe aus. Wir fluͤchteten nach Breſt. 
Schuͤchtern und heimlich empfingen uns hier die 
Gutgeſinnten. Man verbarg uns in einer leer 
ſtehenden Scheune, bald mußten wir uns einzeln 


— 55 — 
am Strande verbergen uͤberall folgten uns 
Steckbriefe, wir waren keinen Augenblick unſers 
Lebens ſicher, ein Geiſtlicher hatte ſich der Schwie⸗ 
rigkeit unterzogen, uns ein Fahrzeug zu beſor⸗ 
gen, das uns insgeſammt nach Baurdeaur brin⸗ 
gen ſollte. Endlich war dieſes in Bereitſchaft, es 
lief aus dem Hafen von Breſt und nach wenig 
Tagen landeten wir in Bee d' Ambos. Doch 
was wir hier erfuhren, ſchlug uns tiefere Wun⸗ 
den, als alles bisher Erlittene. Das Departe⸗ 
ment der Gironde, auf deſſen Geſinnungen wir 
unſre Hoffnungen gebau't hatten, war ebenfalls 
freiwillig unter das Joch des Convent's zuruͤck 
getreten. Die dortigen Adminiſtratoren von un⸗ 
ſerer Flucht benachrichtigt, ſpuͤrten uns uberall 
nach, es war von der hoͤchſten Gefahr uns in 
Bourdeaur ſehen zu laſſen. Einige Streifzüge 
gaben uns nur niederſchlagende Beweiſe gaͤnzlich 
erſchlaften Muthes. Jeder Gedanke an Gegen— 
wehr war erſtorben, auf allen Seiten droheten 
die Donner des Conventes. Für uns gab es 
aufs neue nur Rettung in der Flucht. Wir trenn⸗ 
ten uns. Einige gingen dem Meere entlängft, 


— 56“ 

andere wandten fich tiefer in das Land, ich ge⸗ 
hoͤrte zu den Letzteren. Laſſen Sie mich von 
dem Ungemache ſchweigen, das ich erlitt, der Zu⸗ 
ſtand in welchem Sie Rn rend ſagt Ihnen 
genug davon.“ ar tos Sram 

Ein bitteres Laͤcheln flog N e halb⸗ 
geſchloſſenen Lippen. Der Juͤngling ſchwieg ei⸗ 
nen Augenblick, drauf, wie ſich beſinnend, ſagte 
er: wenn die freie That des Menſchen der Noth⸗ 
wendigkeit erliegt, wenn unertraͤgliche Feſſeln 
den Geiſt gefangen halten, und der eigentliche 
Tod ihn umſchattet, dann ſiegt jener Natur⸗In⸗ 
ſtinet noch auf Augenblicke, der nach ewigen Ge⸗ 
ſetzen die Creatur zum Leben zwingt. Er iſt es, 
der mich hieher brachte. Jetzt da er geſtillt iſt, 
begreife ich kaum wie es zugin g! 
0 Zweifeln Sie nicht, unterbrach ihn die Mar⸗ 
quiſe, eine hoͤhere Hand hat ſie geleitet. Es iſt 
nicht umſonſt, daß Sie ſich in der Gewalt der 
Königlichen befinden. ı Dieſer einzige Weg der 
Rettung ſollte Ihnen allein uͤbrig bleiben. Ueber⸗ 
ſehen Sie das nicht. Geben Sie nichts verlo⸗ 
sen, nehmen er e Faden einen FEN 


gen wieder auf, nur eher Sie ſich da an, we 
Sie Nuͤckhalt finden. Laſſen Sie keine Kraft 
unbenutzt, Ruhe iſt fuͤr uns der Tod, alle Pulſe 
des Lebens muͤſſen in Thaͤtigkeit bleiben, kein 
einziger darf ſtocken. Laſſen Sie uns gemein ſchaft⸗ | 
lich in das Innere der aufruͤhreriſchen Städte 
dringen, von hier aus allein iſt ein ann 
der Dinge moͤglich. | 
Der Unwille preßte Eliſabeth 99 1 einen tie⸗ 
Pi Seufzer aus. Der Fremde ſah aufmerkſam 
zu ihr hin. Die Marquiſe ſtand von ihrem 
Sitze auf, und jetzt noch eine Antwort vorbeu⸗ 
gend, wuͤnſchte fie dem Ermuͤdeten wohl zu ru— 
hen, mit der Zuſicherung morgen aufs neue von 
fich hoͤren zu laſſen. RE 
Im Hinausgehen fluͤſterte Sie leite, 4 zu Eli⸗ 
ſabeth gebeugt: Solche, mein Kind, ſind zwei 
ſchneidige Werkzeuge, ſie wurden in unſre Hand 
gelegt, uns bleibt es uͤberlaſſen, wie wir fie ber 
nutzen wollen, Eliſabeth ſchuͤttelte den Kopf, Got⸗ 
tes Wege, meine Tante, ſagte ſie, dünkt mich, 
‚find. viel einfacher, er legt uns keine Schlingen 
und giebt uns keine Raͤthſel. Vergiß nicht, ent⸗ 


er 

gegnete jene, was die Schrift uns zuruft: ſeid klug 
wie die Schlangen! — und ohne Falſch wie die 
Tauben, fiel Eliſabeth raſch ein. Doch Frau v. 
Robillarb hatte das Letztere nicht mehr gehoͤrt. Sie 
war ſchon mit einem Fuß in ihrem Zimmer, und ließ 
die Thuͤr zwiſchen ſich und ihrer Nichte zufallen. 
Dieſer lag, was ſie heute gehoͤrt und geſehen, 
wie ein Stein auf der Bruſt, und weinend fluch, 
tete ſie zu Gott, vor dem ſie die beaͤngſtete Seele 
im heißen Gebete ausſchuͤttete. 


Viertes Kapitel. 


E, war ſeitdem eine Weile alles in dumpfer Un⸗ 
gewißheit auf dem Schloſſe geblieben. Nur von 
weitem hoͤrte man von den Gefechten in der Ven⸗ 
dee. Undeutliche Gerüchte ſagten, daß während 
der Belagerung von Nantes, Veſtermann auf 
Parthenay marſchirt ſey, und Lescure und Laroche 
Yaquelin bei Chatillon geſchlagen habe. Man 
erzählte von der Feuersbrunſt von Cliſſon, Herrn 
von Lescure gehoͤrig, und gefiel ſich die Schreckens⸗ 


— 59 — 
bilder der Verheerung im graͤßlichſten Fichte hin⸗ 
zuſtellen. Bald darauf erfuhr man, Chatillon 
ſey wiedergenommen. Veſtermann habe ſich in 
der Nacht unbekleidet retten muͤſſen, die koͤnigli⸗ 
che Armee draͤnge ſiegreich vor. Weder vom 


Herzoge noch dem Prinzen waren gleichwohl 


Nachrichten eingelaufen, weshalb niemand ſeinen 
Gedanken eine ſichere Richtung zu geben wußte. 
Die Stimmungen der Marquiſe ganz beſonders 
wogten auf das Ungeſtuͤmſte hin und wieder. 
Bald ſahe ſie alle Himmel offen, Muth und 


Stolz ſchwollen übermaͤßig an, ihre Erwartun⸗ 


gen ſchienen alle erfüllt; bald wieder lag fie wei⸗ 
nend und betend am Boden, die Welt brach uͤber 
ihr zuſammen, nirgend ein Hoffnungsſtrahl, die 
nahe Todesangſt faßte ſie ſchon. Doch hoben 
ſolche Erſchuͤtterungen die Springfedern ihres bes 
weglichen Geiſtes nur um ſo elaſtiſcher. Ihre 
Blicke richteten ſich ſogleich wieder ſuchend umher, 
irgendwo mußte ein Ausweg ſeyn, geheime Bo— 
ten wurden ausgeſandt, Briefe, Bitten und Vers 
wuͤnſchungen nicht geſpaart, halbe Naͤchte auf 
den Knien erwartend am offenen Fenſter durch⸗ 


a 


8 60 — * 
wacht, kurz das Aeußerſte der Leidenſchaftlich⸗ 
keit erſchoͤpft, um dem rollenden Weltrade in die | 
Speichen zu greifen. 

| er RD ens 
Und mitten unter dieſen Stuͤrmen, fuchte 
und fand der düſtre Fremde noch immer Schutz 
bei den geaͤngſteten Frauen. Unſchluͤſſig und er⸗ 
ſchoͤpft, blieb er ziemlich gleichguͤltig an dem Orte 
wo er einmal war, ſo lange ihn nichts von da ver⸗ 
drängte. Seine Gegenwart drückte gerade Elir 
ſabeth in dieſer Zeit unbeſchreiblich. Sie ging 
dem verſtoͤrten, ſchroffen Manne gern aus dem 
Wege, der ſo entſchieden und doch ſo befangen 
mit Frauen redete. Fuͤr Frau von Robillard 
ward er indeß bald ein Gegenſtand leiſen Hohnes, 
bald ein Troſt und Hoffnungsanker in der Noth, 
je nachdem Muth oder Verzweiflung ihr arbei⸗ 
tendes Gemuͤth bewegten. Er ſelbſt aber verlor 
ſich in jeinen Abgrund tiefſinniger Betrachtun⸗ 
gen, die ihm alleſammt die Frage unbeantwortet 
ließen, warum die Sonne der Freiheit dem 
Menſchengeſchlechte immer nur vor Ye) 
feuchte? 1 


— 61 Er 
Schlaflos ging er die Naͤchte in feinem cyni⸗ 
ſchen Mantel gewickelt, mit offenem Halſe und 
verſtoͤrtem Haare die Schloßgallerie auf und nie⸗ 
der. Seine Seele ſchmachtete unter den Ban⸗ 
den des ſterblichen Leibes, und dem brennenden 
Durſte, den Lauf der Dinge aus jenen abſchwei⸗ 
fenden Bahnen wieder unter das Geſetz der Na⸗ 
turvernunft zuruͤck zu draͤngen. 

| Einf, in dunkler Gewitternacht, von Sturm 
und Donner majeſtaͤtiſch angeredet, regte der ges 
knickte Muth, wie in fruͤherer Zeit, ſeine Schwin⸗ 
gen. Der freiheitsgluͤhende Juͤngling dachte an 
ſeine fluͤchtenden Gefaͤhrten, an die verhafteten 
Deputirten in Paris und mehr noch an ein We⸗ 
fen, deſſen erſte Glorie wie ein Sternbild an 
dem dunkeln Himmels ſaume voruͤber zu ſchweben 
ſchien. Auch Du! Auch Du! riefſer, beide Haͤn⸗ 
de vor die Augen druͤ cken 

Sehr erſchuͤttert trat er zum Fenſter. Flam⸗ 

mend riß der Blitz das tiefblaue Gewoͤlk ausein⸗ 
ander, und gleich darauf, wie Metall auf Me 
tall, ſiel der Donner in kurzen, gellenden Saͤtzen 
nieder, ſernhin auf einer Anhöhe ſahe man es 


* ws 


Kopf in beide Arme geſtemmt vor feinem Schreib- 


— 
uͤber dem Wipfel einer hohen Buche in kleinen 
Flaͤmmchen tanzen, und dann ploͤtzlich ſtand der 
ganze majeſtaͤtiſche Baum in Feuer. Langſam 
ſenkte ſich ein Zweig nach dem andern, bis der 
glühende Stamm zur ſchwarzen man ver⸗ 
ſchweelte. 20 

Tiefſinnig wandte dc Barbarour eg "ech 
ſinken! ſagte er in ſich hinein, verſinken! ift das 
Geſetz des Weltbaues. Das Herrlichſte beugt 
das Haupt zur Erde, und Jahrhunderte vers 


ſchließt dieſe das anvertrauete Pfand, bis neue 


Erſchuͤtterungen es verjuͤngt heraufrufen! Ha. 
Menſch, wer biſt Du, daß Du Dich mit unter 
den Truͤmmern begraͤbſt? — Lange ſaß er den 


tiſch. Endlich ergriff er eine Feder. Einer von 
Euch Leidensgefaͤhrten, ſagte er, iſt denn doch 
wohl noch am Leben, und die geſchaͤftige Buͤr⸗ 
gerin Robillard, wird dieſen Zeilen wohl einen 
Weg nach Paris zu bahnen wiſſen. Er tauchte 
ein, und ſchrieb zum erſtenmale nach langer Zeit. 
„Der Bürger Barbarour an Vrifßt, den Uns 


erſchrockenen! Wenn Dein hoher Muth den 


* * 


* 


. 


— 63 — 


„Ketten der Eiferer trotzte, und Du ausharrteſt 
„bis Deine Stimme im Kerker verhallen mußte, 
„ſo denke nicht minder rein von Deinen Anhaͤn⸗ 
„gern, die Dich kaͤmpfend zu befreien gedachten. 
„O! weine, mein Cato, weine über Dein Vaters 
„land! Keine Hand regt ſich die zertretenen Men⸗ 
„ſchenrechte zu erheben!“ 5 { 
„Iſt es in der moraliſchen wie in der phiz 
„ſiſchen Welt? — Wendet ſich der Erdball dem. 
„Lichte gleich wie der Finſterniß zu? Muß es 
„Tag ſeyn um Nacht zu werden? Sollten Spar- 
„ta und Rom nur wie Blitze in der Dunkelheit 
„leuchten? — Und darf die Welt jetzt den Bru— 
„tus bewundern, und morgen dem Caͤſar huldi⸗ 
„gen? So giebt es nichts als Auf- und Ab, 
„waͤrtsſteigen, und Ein Nachtſchatten jagt den 
„Andern!“ — 11 
„Wenn die Freiheit nur ein Traum iſt, 
„warum mußte das Haupt jenes harmloſen Koͤ— 
„nigs fallen? Ich ſchaudere jetzt oft vor dem 
„Gedanken!“ 
8 „Aber nein! nein! die Vernunft ſchreyt laut 
„in meiner Bruſt dagegen. Rom ſteigt aus ver⸗ 


ah 
* 
vw 


— 4 —ͤ— 

„fuͤngter Erde herauf. Wir alle ſceungenö die 
„Fackel der Freiheit, es wird dennoch Tag! Wenn 
„die Natur nach ewigen Geſetzen gezwungen ih⸗ 
„ren Gang gehet, ſo zeichnet der moraliſche 
„Wille nach jenem Vorbilde die Bahnen hoͤhe⸗ 
„rer Lebensordnung, und ſchafft aus eigener 
„Kraft ein ewiges Seyn!!“h!! 

„Was hat auch die Freiheit mit den a 
„gern gemein, die ihren Namen mißbrauchen ! 
„Schimpf und Schande uͤber uns, daß dieſe Ty⸗ 
„ger herrſchen. Schweigt denn der neue Cicero, | 
„Victorin Vergniaur ganz? a iſt Condorcet 
„tod?“ N . 

„VBriſſot! noch eine W war uͤrge⸗ 
„tin Corday bei Ihnen? Hatten Sie her ein 
„Bild der roͤmiſchen Portia? O! ſchrumpft zu⸗ 
„ſammen ihr kleinlichen Ideale weiblicher Groͤße, 
„dieſe eine hat eine Seele, weit genug eine Welt 
„der Freiheit zu denken!“ — n kerne 

„Nach mir fragen Sie nicht. Ich bin nichts, 
„nichts mehr! Briſſot, darf das Thier im Men⸗ 
„ſchen fo grauſam den Herrn ſpielen! — Der 
„Dunger trieb mich unter den Schutz ariſtokra⸗ 


* 


— 65 — 

ytiſcher Weiber, in einen Zwinghof ehemaliger 
„Tirannei; die Mauern welche foͤderaliſtiſcher 
„Wahnſinn zwiſchen die freie Gemeinſchaft der 
„Menſchen zog, muͤſſen jetzt den Republikaner 
„bergen! Spalteten mir doch von je dieſe klein⸗ 
„lich folgen Schloßthuͤrme das kuͤhnanſtrebende 
„Buͤrgerherz! Und jetzt! Aerger wie Dein Ges 
‚„föngniß, Briſſot, zwaͤngen mich dieſe Wände 
„ein! Wo waren denn die ewigen Blitze, daß 
„bie Barbarei der Natur in ſoſchem Rieſenbaue 
„trotzen durfte? Wie gebieteriſch dieſe Felſen⸗ 
„maſſen auf den Haͤuptern der Menſchen laſten 1 
„Wider willig muß ich ihre finſtere Kuͤhnheit 
„anſtaunen! | 

„Und dieſelbe Finſterniß deckt noch mit 
„ſchwarzen Fluͤgeln die ganze umliegende Ge⸗ 
„gend. In fanatiſcher Dumpfheit ſchlingt ſich 
„das alte Vand der Herrſchaft und Knechtſchaft 
„unter dieſen Menſchen fort. So wie ihre 
„geaͤngſteten Seelen zu einem hoͤchſten 
„einigen Gotte flüchten, ſo verlangt 
„ihnen auch nach einem weltlichen 
„Herrſcher, wie na ch Träger und Ver⸗ 

Ir Theil. E 
* 


— 66 — 


„fechter der Geſetze. Die Schwankenden 
„brauchen überall einen Ruͤckhalt! Nicht ein 
„Funken eigner Selbſtſtaͤndigkeit regt ſich in ih⸗ 
„nen. Wie anders in den Staͤdten, wo das Licht 
„der Aufklärung ſchon den Schulknaben über. 
„feine Rechte belehrt, und die früh geweckte 
„Kraft ſich gegen ſclaviſche Diseiplin auflehnt! 
„Die Frauen hier ſind von ſeltſamer Farbe des 
„Characters! Die Eine, jung, ſchoͤn, bloͤde und 
„ſtolz, von unzugaͤnglichem Gemuͤthe und ſchwaͤr⸗ 
„meriſcher Begeiſterung, die Andere zu klug fuͤr 
„ihren Kreis, zu beſchraͤnkt fuͤr große Gedanken, 
„zwiſchen Gewohnheit und den Anregungen der 
„Zeit ſchwankend, unermuͤdlich im Wollen, und 
„brauchbar für Andere. Ich werde dieſe bahn— 
„machende Beweglichkeit benutzen, ſobald es Zeit 
„iſt, eingedenk der großen Vorſchrift der Vers 
„nunft, daß jedes Werkzeug da ſey bis 
„herem Zwecke zu dienen!“ — 

Zufrieden mit den entwickelten Vorſtellun⸗ 
gen, ruhiger durch ihre Mittheilung, und gleich⸗ 
ſam in dem aufs neue ausgeſpannten Syſteme, 
wie in einem Beſitzthum zu Hauſe, legte ſich 


* 


1 


— 67 — 

Barbarour ſtolzer wie ein König auf feine Kiffen 
nieder, und genoß die Herrſchaft ſeiner Ge— 
danken. | 

Indeß wachte in derſelben Nacht, in einem 
andern Flügel des Schloſſes, Eliſabeth von ban⸗ 
gen Schauern vor der Gewalt des Himmels 
durchzittert. Sie konnte niemals den Wetter⸗ 
ſtuͤrmen gleichgültig zuſehen. Donner und Blitz 
erfüllten fie ſtets mit Furcht und Vertrauen. Es 
ſchien ihr jede herannahende Gefahr ein Er— 
wecken der ſchlafenden Seele zu ſein. Und heute 
beſonders brauſten die Wolken mit ihren gluͤhen⸗ 
den Flammenzungen ſo drohend und wild herz 
auf. Wollten ſie dem zagenden Maͤdchen etwas 
ſagen? Sie horchte betrachtend auf! Im zuͤchti⸗ 
gen Nachtkleide, die blonden Locken unter einem 
leichten Haͤubchen verſteckt, knieete ſie vor einem 
Cruciſir, und bat den Himmel ihr Beſonnenheit 
und Ruhe zu geben, wenn ſeine Donner irgend 
ein nahendes Ungluͤck weiſſagten. Sie hatte die 
laͤnglich feinen Haͤnde zuſammengefalten gegen 
ein Tiſchchen geſtuͤtzt, auf welchem vor dem Ser 
ſusbilde ein Gefäß mit friſchen weißen Roſen 

E 2 


— — 63 — 


feinem fanften Balſam-Duft aushauchte. Die 


zarten Blattchen bewegten ſich von der Zugluft 
angeregt, es ging liſpelnd durch ſie hin, waͤhrend 


drauſſen Blitz und Schlag ſchmetternd niederſie⸗ 


len und der Sturm heulend an den zitternden 
Fenſtern voruͤberfuhr. Eliſabeth richtete ſich feſt 
in die Hoͤhe. Da druͤben brannte der herrliche 
Baum mit ſeinen weitausſtrebenden Zweigen, 
dumpf hallten die Schoklaͤnge des Donners zu⸗ 
ruck, in den Wipfeln der Kaſtanien rauſchte es 
wie Regenſtroͤme, und gleichwohl fiel kein Tro⸗ 


pfen nieder, der Wind peitſchte das Gewoͤlk pfeils 


ſchnell voruͤber. Eliſabeths Augen lagen auf dem 
brennenden Baum. Jetzt ſtuͤrzte ſeine flammende 
Krone in den ausgehoͤhlten Stamm, ein blutro⸗ 
ther Strahl ſtieg noch einmal aufwärts, dann 
praſſelten die Funken in Millionen Sternchen auss 
einander. Es iſt vorbei! ſagte Eliſabeth. Sie 
oͤffnete leiſe das Fenſter. In der Luft ſauſte und 
rollte es noch immer, der ganze Himmel ſchien 
eine Feuerdecke, ihr war das Herz unbefchreibs 


lich eng und voll! Sie ſahe wieder auf den 


Baum, Qualm und Rauch hüllten ihn in dichte 


88 — 


Wolken. Er iſt fo koͤniglich gefallen! fagte jie, 
und ſtroͤmend brachen bei dieſen Worten die Thraͤ⸗ 
nen aus ihren Augen. Laut ſchluchßend barg ſie 
das Geſicht in ihr Taſchentuch, ſie wußte nicht 
wie ihr war, noch was ſie dachte und empfand. 
Aber wie die langen Windſtoͤße fo voll und be⸗ 
bend an ihr Ohr ſchlugen, und ſie nicht unter⸗ 
ſchied, waren es Trompetenklaͤnge, oder jener nie 
vergeſſene Glockenton ſeiner Stimme, da druͤckte 
fie die Hand auf das geaͤngſtete Herz, und fle— 
hete laut, Gott! nimm die bange Taͤuſchung weg 
von mir! 

In dem Augenblick kniſterte es wie Glas⸗ 
ſpitzen gegen die Scheiben. Sie fuhr erſchrocken 
auf. Jetzt noch einmal! Es waren wohl Staub⸗ 
wirbel die gegen das Glas ſtreiften. Sie lauſchte 
mit zuruͤckgehaltenem Athem, da flog es zum 
drittenmal und ſtaͤrker, wie ein abſichtlich geſcheh⸗ 
ner Wurf zum offenen Fenſter hinein. Iſt es 
moͤglich! rief Eliſabeth beide Haͤnde zuſammen 
ſchlagend. Da unten wicherte und ſtampfte der 
Schimmel, das weiße Tuch des Prinzen wehete 
gruͤßend herauf; er ſelbſt lachte tief und ange⸗ 


— 70 — 
nehm über des erſchrockenen Maͤdchens Verwun⸗ 
derung. Guten Abend! meine liebe, ſchoͤne Freun 
dinn, ſagte er, fo leiſe wie es ihm möglich war. — 
Ich komme Sie im Fluge zu gruͤſſen, und mir 
fuͤr die nahen heißen Tage einen lebenden Blick 
aus Ihren hellen, begeiſterten Augen zu holen. 
Sie ſind nicht verwundet? lispelte Eliſabeth, 
während ihre weißen Arme den dunkeln Ephen 
vor dem Fenſter zuruͤckbogen. Verwundet? lachte 
der Prinz, weshalb auch! Ich habe einen guten 
Engel, Eliſabeth, der wacht uͤber mich. Und 
denn, fo meinen es die Kugeln der Republika⸗ 
ner nicht halb fo ſchlimm als fie ſelbſt, das Ger 
ſchuͤtz fällt meiſt alles in unſere Hände. Im übri⸗ 
gen verſteh'n wir andere auch unſer Handwerk! 
Die Klingen der Ad'lichen wiſſen ſich Platz zu 
machen. Eliſabeth hatte ſich weit zum Fenſter 
hinaus gebeugt. Der Wind fuhr oft ſchneidend 
zwiſchen ſie und dem Prinzen voruͤber, und trug 
viele von den lieben Worten mit ſich weg; ſie 
wollte ſo gern die fliehenden Silben erhaſchen, 
und bog das Köpfchen zu dem ſchoͤnen Redner 
hinunter. Oft leuchtete ihnen der Himmel mit 


— 71 — 
ſeinen glühenden Fackeln, beide ſahen dann ein⸗ 
ander ganz vom Licht umfloſſen, wie Einer des 
Andern Auge ſuchte und fand. Der Prinz den 
einen Arm auf den Sattel geſtuͤtzt, die Zuͤgel 
auf ſeines Pferdes Hals gelegt, ſaß etwas in 
den Buͤgeln gehoben, die andere Hand wie einen 
Blendſchiem vor die Augen haltend, und athmete 
die Engelstoͤne des ſchlanken ſchneeweißen Maͤd— 
chens ein, die jo leiſe und ſauft beweglich hinter 
ihrem Laubgitter herunter ſprach. 


Wie ließen Sie uns denn, ſagte ſie faſt ſchel⸗ 
tend, fo lange über ſich und den Lauf der Bege⸗ 
benheiten in Ungewißheit! Wir haben recht ban⸗ 
ge, bange Stunden verlebt. Und wie kommt es, 
daß ich Sie hier allein ſehe? Stoͤrt Sie mein 
Anblick, fragte er, der Stimme im raſchen Eifer 
ihren gewohnten vollen Klang laſſend, wuͤnſchten 
Sie es anders? Eliſabeth hob winkend die Hand 
in die Höhe, und den Finger auf die ſchoͤnen 
Lippen gedruckt, wandte ſie den Kopf nach den 
Fenſtern der Marquiſe, die etwas ſeitwaͤrts von 
den ihrigen, vom Schein der Nachtlampe ange— 


# 


— 72 — 


ſtrahlt, dem Prinzen die Nähe eines unberufenen 
Zeugen verriethen. Er war der Wendung ihres 
Kopfes gefolgt, und ebenfalls die Finger auf den 
Mund druͤckend, winkte er freundlich, daß er ſie 


verſtehe. Ich komme, ſagte er, immer mehr zu 


ihr hinauf gehoben, jetzt feſt in den Bügeln fies 


hend, ich komme aus dem Lager von Die, Der 


fruͤhere mißlungene Verſuch auf Lucon ſoll mit 
verſtaͤrkter Kraft wiederholt werden. Die Armee 


iſt verſammelt, morgen wird die Vereinigung mit 


Charette ſtatt finden. Ich habe mich auf wenige 
Stunden entfernt, um Ihnen das alles ſelbſt zu 
ſagen, und Sie zugleich vorzubereiten, Eliſabeth, 
daß Sie im Fall eines Ruͤckzuges hier nicht mehr 
laͤnger ſicher ſind. Der Angriff wird ſehr heftig 
ſeyn, der Widerſtand nicht minder, werden wir 
geſchlagen und verfolgt, bleiben die Republikaner 
Herr dieſer Gegend, fo fällt auch Schloß Asper⸗ 
mont in ihre Haͤnde, und Sie haben alles von 
den Barbaren zu fuͤrchten. Halten Sie ſich des 
halb jeden Augenblick zur Flucht bereit, und wen⸗ 
den Sie ſich alsdann getroſt nach der Inſel Noir⸗ 
moutier, die Charette beſetzt hält. 


* 


; — 73 — 

Die Worte Flucht, Ruͤckzug, Trennung von 
der heimathlich gewordenen Gegend fuhren ſte— 
chend in Eliſabeths Bruſt. Doch druͤckte ſie den 
Schmerz nieder, und allein bemuͤhet die befons 
nene Ruhe ihres Freundes durch keine ſchwaͤch⸗ 
liche Beziehung zu ſtoͤren, ſagte ſte mit einiger 
Anſtrengung: wohin aber, mein Prinz, denkt ſich 
die Armee zu wenden, wenn ihrem Muthe hier 
kein guͤnſtiger Erfolg begegnet? Der Prinz vers 
ſtand ihre großmuͤthige Abſicht. Geruͤhrt ſagte 
er: Eliſabeth, vergeſſen Sie ſich ſelbſt ſo ganz? 
und die lange Trennung die uns beiden drohet? 
O Gott! rief das erſchuͤtterte Mädchen, warum 
berühren Sie die wunde Stelle! Doch, ſich plößr 
lich faſſend, ſetzte ſie ernſt hinzu, denken wir an 
das geängſtete Vaterland und fein beſchimpftes 
Koͤnigshaus! wir ſtehen und fallen mit beiden! 
Der Prinz breitete heftig beide Arme nach ihr 
aus, dieſe dann feſt auf der Bruſt zuſammenpreſ—⸗ 
ſend, rief er, mit gedaͤmpfter Stimme: Lebe wohl, 
lebe tauſendmal wohl! wir ſehen — — — die 
Luft verwehte ſeine Worte, raſch hatte er das 
Pferd gewandt, und ſtuͤrmend ſprengte er einem 
nahegelegenen Waͤldchen zu. 


+ Sanft war das Gewitter verhallt. Linde 
troͤpfelte der Regen herab, die Luft ſaͤuſelte kaum 
hörbar zwiſchen den Kaſtanienblaͤttern, es war fo 
ſtill umher, daß Eliſabeth die lauten Herzſchlaͤge 
in ihrer Bruſt erſchreckten. Sie mochte wohl 
ſchon lange ſtill geweint haben, ohne es ſelbſt zu 
wiſſen. Wie ein Schleier lag es vor ihren Auz 
gen, ſie druͤckte ſie gegen die kuͤhlen Epheublaͤtter. 
Lieber Gott! ſeufzte ſie, wo iſt der kurze Traum 
geblieben! Es ward ihr ſchwer ſich alles deutlich 
zuruͤckzurufen, bis der entſetzliche Gedanke, viel— 
leicht in Kurzem von hier fort, die letzten gelieb⸗ 
ten Spuren verlaſſen zu muͤſſen, fie durch und 
durch wach ſchuͤttelte. Fremden Schutz ſollte ſie 
alsdann anflehen, fern von dem ſchirmenden Geiſt 
dieſer Mauern, ohne Anhang, ohne Nachricht, 
ohne Gemeinſchaft, allein mit der Marquiſe auf 
jener Inſel, ſchon halb vom Vaterlande ausgeſto⸗ 
ßen! Sie konnte das nur dunkel denken! 

Sie ſaß, und ſann und ſann! Der Morgen 
daͤmmerte ſchon, er war grau und truͤbe. Da 
unten ging der tiefſinnige Barbaroux achtlos über 
die feuchten Graͤſer, dieſe ſchlugen gegen ſeine 


herabhaͤngenden Strümpfe und zeichneten einen 
langen ſchwarzen Saum auf den nachlaͤſſig ſchlep⸗ 
penden Mantel. Und der — ſagte Eliſabeth, der 
duͤrfte uns begleiten wollen? mit ihm? Tepee 
lich, ganz unmoͤglich. 

Sie hatte es bis dahin noch nicht einmal 
bedacht, was ſie der Marquiſe uͤber die Mitthei⸗ 
lungen des Prinzen ſagen durfte. Der heftigen 
Frau allzuviel wiſſen zu laſſen, war nicht rath—⸗ 

m, ihr die moͤgliche Gefahr verſchweigen, ge⸗ 
wiſſenlos. In dieſer Unſicherheit ſagte ſich Elifas 
beth troͤſtend, es ſey uͤberall noch nicht ſo weit, 
wer wiſſe wie alles komme; ganz ohne Nachricht 
laſſe ſie uͤberdem der Herzog auf keinen Fall. 
Bloßen Muthmaßungen werde die Marquiſe oh⸗ 
nehin nicht trauen und, mit des Prinzen Worte 
ihre Warnung zu unterſtuͤtzen, hielt fie ſchon al: 
lein die Scheu ab, von ihm und ſeiner kurzen, 
verborgenen Anweſenheit zu reden. Wer weiß, 
wiederholte ſie ſich immer wieder, wie alles 
kommt! Sie wollte eben ſo einen Vorhang vor 
die eigene Angſt ziehen, aber das ahndende Herz 
ſah dahinter und fand doch keine Ruhe. 


— 76 — 

Jetzt war es ſchon laͤngſt Tag geworden. Im 
Schloſſe ſchlief niemand mehr. Der Fremde ging 
noch immer zwiſchen den Hecken hin und wieder. 
Die herabtroͤpfelnden Blätter hatten ihn wollends 
durchnaͤßt, das Haar lag ſchlicht an den Schlaͤfen 
und um den entbloͤßten Hals und Nacken, er ſa⸗ 
he ganz ſeltſam aus. Eliſabeth ward an alte 
Goͤtzenbilder erinnert, die ſie wohl hin und wien 
der geſehen hatte. Un willkuͤhrlich, wie in bes 
wegten Augenblicken unſere Gefuͤhle ungleich an 
einander fliegen, fiel ihr bei feinem fremdartigen 
Anblick der Gedanke an jenes ungekannte Eiland 
wieder aufs Herz, wohin ſie ja des Prinzen 
Wunſch verwies. Die Erinnerung daran vers 
wirrte ſich in vielen andern truͤben und aͤngſtigen⸗ 
den Vorſtellungen. Da ritt von ohngefaͤhr der 
alte Reitknecht mit dem Iſabellen die Wieſe ent⸗ 
lang dem Bache zu, das ſchoͤne Thier im klaren 
Waſſer zu baden. Es ſchnaubte und ſchüͤttelte 
ſich und blies die Nüſtern fo ſchwellend auf, und 
drehete und wandte den ſchlanken Hals ſo keck 
und ſtolz, als ſolle es irgend wen in den Kampf 
tragen. Eliſabeth betrachtete das Pferd aufmerk⸗ 


* 


ſam. Scharf und geſpannt ſahe ſie dann lange 
Zeit vor ſich hin. Jetzt ſank fie vor das Crucifir 
nieder, ſie betete heiß und innig. Drauf ſtand 
ſie ſehr ernſt und ruhig auf. In ihrem Innern 
war ein Entſchluß gereift, der unverſtanden 
laͤngſt darinn auf und nieder wogte. ; 


Fuͤnftes Kapitel. 


Haben Sie es gehoͤrt? rief Frau von Robillard, 
athemlos in Eliſabeths Zimmer ſtuͤrzend, haben 
Sie es gehoͤrt? Was? meine Tante, was? fragte 
dieſe mit kaum gewonnener Faſſung! Den Kano⸗ 
nendonner von Lucon heruͤber, erwiederte die 
Marauiſe, der Schall traͤgt immer mehr hieher. 
Die Unſrigen weichen, werden verfolgt, das iſt 
fo gewiß als ich lebe. Und in der undurchſchnit— 
tenen Ebene um Lucon giebt es nirgend Ruͤckhalt, 
nirgend einen Sammlungspunct, nichts als Flucht, 
unaufhaltſame Flucht! Jedes ihrer Worte ſchnitt 
Eliſabeth durch's Herz. Todtenbleich ſahe dieſe 
ſchweigend vor ſich hin, waͤhrend ſie im Innern 


— 783 — 
mit aller Anſtrengung nach Beſonnenheit und 
Muth rang. Ihre Tante lief im Zimmer auf 
und nieder, trat zu jedem Fenſter, öffnete jedes, 
legte ſich weit hinaus, und glaubte immer, hier 
oder dort etwas Beſtimmteres zu hören. Jetzt 
trug die Luft den Schall des ſchweren Geſchuͤtzes 
ganz deutlich heruͤber, die Scheiben zitterten. 
Voll Entſetzen ſchlug die Marquiſe das Fenſter, 
in welchem ſie lehnte, zu. Wir ſind verloren! 
rief fie erſchoͤpft auf einem nahen Stuhle nieder- 
ſitzend. Mein Gott! mein Gott! verlaͤßt Du 
uns denn ganz! ſetzte ſie leiſe vor ſich hinredend 
hinzu. 

Eliſabeth faßte ihre Hand. Gewiß, meine 
arme, liebe Tante, ſagte ſie, wir muͤſſen uns in 
jedem Augenblick auf einen Ueberfall bereit hal⸗ 
ten, doch was iſt dabei auch ſo Unerhoͤrtes geſche⸗ 
hen? Wir duͤrfen darum noch nicht verzweifeln, 
und muͤſſen wir auch das Schloß für jetzt verlaf 
ſen und irgend zu einem entlegenen Orte fluͤchten. 
Frau von Robillard ſtand ploͤtzlich ganz gefaßt von 
ihrem Sitze auf. Sie ſahe Eliſabeth ruhig an, 
und ſagte mit einigem Stolze: Denken Sie, daß 


— 79 — 
ich den Rebellen das Schloß ſo gutwillig uͤberlaſſen 
werde? Sollten ſie ſo ganz muͤhelos als Herren 
hier einziehen? es iſt feſt genug, um ſich eine 
Weile zu halten, die Männer hier find zu lange | 
im Dienſte unſers Hauſes, um Memmen zu feyn. 
Die Wuͤtheriche moͤgen es erobern, und wenn es 
denn wahr iſt, daß franzoͤſiſche Krieger die Ehre 
fo ganz vergeſſen haben, und die eingeborne Ach— 
tung gegen Frauen ſo ganz verleugnen koͤnnen, 
fo will ich mich unter den Trümmern dieſer Mau- 
ern begraben. Was ſoll auch aus dem Hin- und 
Herzerren des armen betrogenen Lebens heraus- 
kommen? Wohin ſollen wir denn fluͤchten? iſt 
ein Ort ſicherer als der andere? Wenn dieſer 
Krieg nichts als ein planloſes Herumſchwaͤrmen 
iſt, ſo gilt es gleich, wo uns die blutigen Horden 
einfangen! 

Eliſabeth fand beinahe, daß ſie Recht habe. 
Sie zoͤgerte, ihr etwas zu erwiedern. Doch ge— 
dachte fie der ausdruͤcklichen Warnung des Prin- 
zen, und wie er ſelbſt in dem Gedanken der ©is 
cherheit ſeiner Familie ſeine Ruhe ſetzte. Auch 
fuͤrchtete ſie, die ungewoͤhnliche Spannung den 


— 80 — 


Marquiſe werde nachlaſſen und dann ein entſchei⸗ 
dender Entſchluß zu ſpaͤt kommen. Sie wagte 
einige Gegenvorſtellungen, doch Frau von Kos 
billard wies jeden Vorſchlag hitzig und mit einigen 
bittern Ausfällen gegen fie ſelbſt ab, ſie ſchloß das 
mit, ihrer Nichte die Freiheit zu laſſen, ſich zu 
retten, wie fie koͤnne, fie aber wolle es erwar⸗ 
ten. 1 u 
Es iſt klar, dachte Eliſabeth bei ſich ſelbſt, fie 
trotzt unter ganz falſchen Vorauſetzungen auf ih⸗ 
ren Muth, und wenn nun die Gefahr in ihrer 
vollen Scheußlichkeit hereinbricht, wird ſie im 
Todesſchreck alle Faſſung verlieren. Ihr war alles 
darum zu thun, ihre Tante und die Leute des 
Prinzen in Sicherheit zu wiſſen, ſie ſelbſt hatte 
laͤngſt unwiderruflich uͤber ſich beſchloſſen. 

Indeß ward es immer unruhiger im Hofe 
und außerhalb auf der Heerſtraße. Die Leute 
traten zuſammen, riefen einander zu, und, ſpra⸗ 
chen alle zugleich, ohne daß man recht wußte, 
wovon die Rede ſey. Alle hoͤrten es ſchießen, und 
glaubten Rauch und Dampf am Horizonte zu fer 
hen, nur blieb es unentſchieden, ob der Schall 


1 

— 81 — 
naͤher komme? Einige meinten, der Wind habe 
ſich gedrehet und ſtaͤnde nun mehr abwaͤrts; an⸗ 
dere verſicherten, das kleine Gewehrfeuer ganz 
deutlich zu hoͤren, wie es ſich in der Ebene ver— 
theile und immer hitziger hierher draͤnge. 
N Barbarour war eine Weile unruhig hin und 
hergelaufen, jetzt trat er in feiner gepreßten mürz 
riſchen Laune zu den Frauen herein, und ſagte 
mit rauhem, verdrüßlichem Ton: das kommt von 
dem unerwogenen Beginnen, dem vornehm, ſtol— 
zen Ueberſchaͤtzen unzulaͤnglicher Kraͤfte; nun iſt 
das Garn überall ausgeſpannt, wohin ſollen wir 
uns nun retten? 

Ein rothes Zornesflaͤmmchen ſpielte auf Elis 
ſabeths Stirn. Sie maß den baumſtarken, kern 
geſunden Mann mit leuchtenden Augen; mich 
duͤnkt, ſagte ſie, jetzt eben ſey die rechte Zeit fuͤr 
jeden, Ueberzeugung und Gedanken mit ſeinem 
Blute zu beſiegeln. Was zoͤgern Sie? Die ſieg⸗ 
reichen Republikaner brauchen vielleicht nur einen 
weiſern Fuͤhrer, um ihre Waffen ein zweitesmal 
gegen ihre wahren Tyrannen zu richten. Sams 
meln Sie ihre Gefaͤhrten, werfen Sie ſich an 


Ir Tyen. 53 


— 82 — 0 
die Spitze der Schaaren, uns aber uͤberlaſſen Sie 
es, nur getroſt uns ſelbſt zu behaupten. Das 
Herz ſchlug ihr bei den erſten Worten, die ſie die⸗ 
ſem Manne ſagen mußte, als ſolle ſie mitten in 
den Streit hineintreten, doch wuchs ihr der Muth 
unter dem Reden, und als ihr die Tante trium⸗ 
phirend laͤchelnd die Backen ſtrich, drückte fie dies 
fer die Hand, indem fie ihr zufluͤſterte: getroſt, 
meine Tante, unſere Feinde ſind nicht ſo furcht⸗ 
bar, als wir denken. 

Barbarour ſahe ſie finſter an, er wechſelte 
mehrmals die Farbe, doch die perſoͤnliche Empfind⸗ 
lichkeit hinter ein geringſchaͤtziges Lächeln verber⸗ 
gend, ſagte er, mit ſcharfer Heftigkeit ihre Hand 
faſſend: Bethoͤrtes Weſen, meinſt Du, das Ver⸗ 
ſchiedenartige knete ſich wie ein Teig nach der Laune 
des Augenblicks zuſammen? Was ſoll ich mit den 
Knechten des Conventes? unſere Richtungen ſind 
auf ewig getrennt. Niemals werde ich meine 
Grundſaͤtze verleugnen, und da ich keiner der ſtrei— 
tenden Partheien beitreten darf, ohne mir ſelbſt 
untreu zu werden, ſo bleibt mir nichts, als den 
Tod mit Wuͤrde zu erwarten. Dies zu koͤnnen, 


— 3 — 
ſetzte er, ſich von Eliſabeth abwendend, hinzu, 
haben mich große Vorbilder gelehrt. 

Er ließ ſich bei dieſen Worten auf einen Gef; 
ſel im Nebenzimmer nieder, und ſchien hier das 
Aeußerſte mit Feſtigkeit erwarten zu wollen. 

In Wahrheit, ſagte Eliſabeth, in tiefſter 
Seele verletzt, dieſe Helden großer Syſteme moͤ— 
gen beſſer zu ſterben verſtehen, als ſie zu leben 
wiffen. Ihre rohe Erhabenheit preßt alles warme 
Herzblut aus dem Leben, und macht die menſchliche 
Größe ſehr zweideutig. Die Marquiſe hingegen 
fand bei allem dem viel heroiſche Kraft in dieſer 
Art und Weiſe, und hielt den kuͤhnen Juͤngling 
aufs neue ihrer ganzen Theilnahme werth. 

Ein Geraͤuſch im Hofe zog jetzt alle an's 
Fenſter. Einzelne Verſprengte waren die Kaſta—⸗ 
nien⸗ Allee heraufgekommen; man hatte fie ans 
gehalten und hieher gefuͤhrt. Sie erzaͤhlten viel 
und mancherlei durcheinander, woraus man min— 
deſtens fo viel ſchließen mußte, daß die Nepublis 
kaner große Vortheile hatten, und die armen, er— 
ſchrockenen Landleute die Schlacht verloren gaben. 
Der Eine ſagte ſehr treuherzig; die freie Ebene 

F 2 


* a 
— 84 — 
und die ungewohnte Art, ſie in abgeſetzten Reihen 
heranzufuͤhren, habe ſie ganz irre gemacht, die 
Vordern ſeyen zwar immer friſch vorgedrungen, 
und haben das feindliche Feuer ausgehalten, in 
der Zuverſicht, daß die Andern ihnen folgten, 
doch, als dieſe, unbekannt mit der neuen Fuͤhrung, 
verlegen zoͤgerten, habe fie der Feind durchbro⸗ 
chen, und Alles ſey in Unordnung gerathen. Eli⸗ 
ſabeth fragte nach den Fuͤhrern, und nannte zu⸗ 
letzt mit widerſtrebender Zunge den Herzog und 
den Prinzen. Sie wußten nur unbeſtimmte, oft 
widerſprechende Auskunft zu geben. Im Uebrigen 
geſtanden ſie, daß fie in unglaublicher Schnellig⸗ 
keit bis hieher gekommen waͤren, und ſetzten hin⸗ 
zu, alle Straßen ſeyen voll Fluͤchtlinge. Als ſie 
aber die Aengſtlichkeit der Fragenden bemerkten, 
da lachten fie. Die koͤnigliche Armee, verfichers‘ 
ten fie heiter, ſey ja noch da, fie werde ſich mor- 
gen ſchon wieder ſammeln, allzudreiſt wagten die 
Blauen auch nicht, ſie zu verfolgen. Warum 
aber, rief die Marquiſe auf's Aeußerſte entruͤſtet, 
wenn Ihr geſunde Arme und Beine habt und 
Euer Vaterland retten wollt, goͤnnt Ihr dem 


— 85 — : 
Feinde fo viel Raum? Warum thut Ihr nicht 
heute, was morgen vielleicht zu ſpaͤt iſt? Das 
iſt nun einmal ſo, erwiederten ſie beſchaͤmt, die 
Sinne gehen ſo leicht mit einem durch, Kopf 
und Herz wiſſen nichts davon. Nun tröfteten fie 
gutmuͤthig, ein andermal traͤnken wir es den 
Blauen wohl wieder ein. Fuͤr heute wird es ſchon 
dunkel, und die Sache endet wohl von ſelbſt. 

Es endet wohl von ſelbſt! wiederholte Eliſa⸗ 
beth leiſe, aber wie? das Gott erbarm! Ban— 
ges Entſetzen ging ihr durch alle Glieder. Einer 
von den Geflüchteten, ein junger Burſche, faſt 
noch Knabe, ſtand ihr zur Seite, ſie maß ihn mit 
raſchem, pruͤfendem Blick, d'rauf, ihn winkend, 
trat ſie, abwaͤrts von den Andern, dicht zu ihm 
hin. Sie hatte eine kleine Goldkette vom Halſe 
geloͤſt; mein Freund, ſagte fie mit aͤngſtlich raſcher 
Stimme, nimm, was ich Dir hier geben kann, 
und überlaß mir die Kleidung, die Du traͤgſt, und 
das rothe Tuch um Deinen Kopf. Leicht erhan: 
delſt Du fuͤr dies Gold ein anderes Wamms. 
Willſt Du? fragte ſie dringend, ſo lege nur alles 
in die Hoͤhlung jenes ausgebrannten Baumes, 


und verrathe durch keinen Laut mein Geheimniß. 
Das junge Blut klopfte ihr auf die Schulter, und 
ſagte unſchuldig, was ſoll ich mit dem Geſchmeide? 
die heilige Jungfrau beſchuͤtze Sie, das arme Lin⸗ 
nenkleid gebe ich ſo wohl weg, ich habe daheim 
noch ein anderes, und borge mir unter dem Vor⸗ 
wande, nicht an den Abzeichen erkannt zu wer⸗ 
den, hier ſo lange eins von einer chriſtlich gutwil⸗ 
ligen Seele. Du gutes Herz! rief Eliſabeth vol⸗ 
ler Freude, aber nimm nur, nimm, ſetzte ſie, ihm 
das Kettchen in die Hand druͤckend, hinzu, und 
mit freundlichem Kopfnicken und den Worten: 
Auf Wiederſehen! im naͤchſten Geſecht, war ſie 
pfeilſchnell die Stiegen zum Schloſſe hinan in ne 
Zimmer geeilt. 

„Gott! mein Gott! rief fie hier vor dem 
Jeſusbilde knieend, vergieb, wenn des Herzens 
Unruhe mich voreilig auf unnatürlich fremde Wege 
treibt! Gehe nicht ins Gericht mit Deinem ge⸗ 
ängfteren Kinde! laͤutere was in mir tobt, hem⸗ 
me oder beflügele meine Schritte, nur wende 
Dein Angeſicht nicht von mir!“ Sie neigte die 
Stirn auf beide gefaltete Haͤnde, und blieb ſtumm 


— 87 — 


und hingegeben, das ſanfte Wehen des Ewigen 
uͤber ſich fuͤhlend. — 

Jetzt, ſagte ſie, iſt es nn Sie tand 
auf, ihr ſchwindelte doch etwas, einen Augenblick 
mußte ſie ſich beſinnen, was ſie denn eigentlich 
vorhabe? mit der flachen Hand die Stirn reibend, 
athmete fie tief auf. Unwillkuͤhrlich feste fie ſich, 
die Kniee ſchwankten, wie von ungewohnter An⸗ 
ſtrengung. Das Feuern von der Ebene heruͤber 
hörte indeß immer noch nicht auf; Elifaberh fuhr 
raſch in die Hoͤhe. Es iſt Zeit, wiederholte ſie 
ſich mehreremale. Es iſt die hoͤchſte Zeit! Dann 
wehmuͤthig im Zimmer umherblickend, brach ſie 
eine von den weißen Roſen, welche das Krucifir 
beſchatteten, ſie legte ſie auf ihr Herz, nachdem 
ſie die Ringeshaͤlfte des Prinzen daran befeſtiget 
hatte. Stille Bundeszeichen, ſagte ſie mit einer 
Thraͤne im Auge, bleibt unzertrennlich! 

Ihre Pulſe flogen jetzt mit jedem Schritt, 
den fie that, raſcher. Flüͤchtig ſchrieb ſie auf ei⸗ 
nen Zettel, den ſie offen zuruͤckließ: „Meine 
Tante, forgen Sie meinetwegen nicht, ich bin ger - 
rettet.“ en 


- 


— 88 — 

Dirauf nahm ſie aus einer geheimen Schub— 
lade zwei Piſtolen, die ſie in des Prinzen Ge⸗ 
wehrkammer gefunden und laͤngſt hier verborgen 
hatte. Sie wickelte ſie in ein Tuch, und ſchlich 
ſich dann leiſe eine Hintertreppe hinunter, durch 
den Garten in den Stall. Furcht und Neugier 
hatten die Leute alle umhergetrieben, Eliſabeth 
begegnete keiner Seele. Sie trat zu dem Iſabell, 
ſtrich ihm das ſchoͤne Haar mit der kleinen, zar 
ten Hand, und behend' Sattel und Zeug auf⸗ 
legend, ſchwang ſie ſich ſchnell hinauf, wand ſich 
durch Hecken und Geſtraͤuch uͤber einen ſchmalen 
Steg durch Krümmungen und Umwege ungefes 
hen bis zu dem bezeichneten Baum hin. Sie ſtieg 
ab, behielt das Pferd am Zuͤgel, trat dann ſchuͤch⸗ 
tern in die ſchwarze Hoͤhlung, wo ſie ihren neuen 
ſchauerlichen Schmuck, ſorgſam zuſammengewik⸗ 
kelt, am Boden liegen fand. 

Sie ſchlang des Pferdes Zügel um einen nie 
dern, halb verkohlten Zweig, und begann nun mit 
zitternden Fingern, unter lauten, faſt erſtickenden 
Herzſchlaͤgen, die ungewohnte, fie oft widrig zus 
ruͤckſtoßende Umkleidung. Jetzt endlich war ſie 


— 89 — 

fertig. Der Abend war indeß immer tiefer her⸗ 
eingebrochen. Ein ganz anderes Weſen, ſich ſelbſt 
fremd geworden, trat Eliſabeth aus der dunklen 
Baumesſpalte in das unſichre Daͤmmerlicht. Sie 
wagte kaum einen Schritt zu gehen, bei jeder Be; 
wegung ſchlugen die Reliquien an ihrer Weſte 
klappernd aneinander. Zaudernd ſtand ſie noch, 
als ſie Menſchenſtimmen ganz in der Naͤhe hoͤrte, 
wie ein Vogel war ſie auf dem Pferde, und flog 
ohne umzuſehen, immer dem Schalle des Geſchuͤt— 
zes nach. Die raſche Bewegung, des Pferdes 
kuͤhnes Wiehern und Schnauben, der kuͤhle 
Abendwind, die friſchen, duftenden Wieſen, alles 
hatte Eliſabeths Seele gehoben, ſie ſprengte ganz 
leicht über den Raſen hin. Der Gedanke den 

Prinzen zu ſehen, mit ihm in aller Gluth ihrer 
jungen, ſtarken Liebe fuͤr die gemeinſame Ehre zu 
leben und zu ſterben, ſtroͤmte ihr entzuͤckend durch 
alle Adern, fie dachte ſich ihm im Gefecht wie fein 
guter Geiſt zur Seite, durch Gebet und das Opfer 
eigener, liebſter Wuͤnſche, die feindlichen Klingen⸗ 
hiebe abwehrend, oder wie ſie in Augenblicken 
der Noth und des ſchwankenden Mißmuthes, 


— 90 — 


freundlich den FO des Himmels in feine Bruſt 
hauchte, und er an einem Weſen hing, das ſeine 
kuͤhne Seele ahndend empfand, und die Verach⸗ 
tung eines entweiheten Lebens in ihrem ganzen 
Umfange mit ihm theilte. — Die ſchwerſte Pruͤ⸗ 
fung ſchien ihr leicht; das Herbeſte zu erdulden 
unausſprechlich reitzend! 2 1 

So trugen ſie Liebe und S uͤber 
die erſten Schauer der einſamen Nachtwan⸗ 
derung hinweg. Doch als es jetzt fo unruhig 
auf der Heerſtraße ward, Verwundete ſich muͤh⸗ 
ſam ſchleppend, oder auf Wagen unter Geſchrei 
und Gewimmer aufeinander geſchichtet voruͤber 
kamen, Truppenabtheilungen dem Wege entlaͤngs 
zogen, und ihr truͤbes Schweigen nur mit be⸗ 
ſchimpfenden Anreden an ſie, als den einzeln 
Verſprengten oder Gefluͤchteten unterbrachen, das 
Geſchuͤtz fo hohl und langſam durch die Reihen 
fuhr, da preßten nie gekannte Gefuͤhle ihre Bruſt 
zuſammen. Die zarte, nicht zu verleugnende 
Weiblichkeit fuhr ſchaudernd zuruͤck, ihr war, als 
thue ſich ein Abgrund vor ihr auf, und ſie ſaͤhe 
in die blutige Werkſtatt des Todes hinein. Zoͤ⸗ 


— 91 — 
gernd hielt fie. ihr Pferd an. Durch die Voruͤber⸗ 
ziehenden gedraͤngt, war ſie im Begriff ſich die⸗ 
fen anzuſchließen, und mit ihnen den Ruͤckweg 
anzutreten, als ein Officier dem mehrere folg— 
ten, dicht an fie voruͤberritt. Der Mond war 
nicht laͤngſt aufgegangen, er ſahe bleich über war: 
me Erddaͤmpfe, die ihre Schleier vor den Him- 
mel zogen, hinweg. Der Gelbe ſtampfte tiefe 


Löcher mit den Vorderfuͤßen in die Erde. Der 


Officier durch die Schoͤnheit des Thieres aufmerk⸗ 
ſam gemacht, betrachtete deſſen Reuter genauer, 
| Eliſabeth ſenkte verlegen die Augen. Wer find 
Sie? fragte jener, den zarten Knaben halb mit⸗ 
leidig, halb unwillig anredend. Ich gehoͤre zum 
Prinzen Talmont, erwiederte Eliſabeth kaum hoͤr⸗ 
bar. Wie kommen Sie denn hieher? fiel ihr 
der Officier etwas barſch in's Wort. Eliſabeths 
Stolz regte ſich, gefaßt und hoͤchſt vornehm ſagte 
fie: Ich ward verſchickt, es iſt nicht meine Schuld, 
daß ich erſt nach der Schlacht komme, doch hoffent⸗ 
lich wird dieſe nicht die letzte geweſen ſeyn, und 
man wird mich denn nicht zum zweitenmale fra; 
gen, ob ich auf rechtem Wege ſey. — Laͤchelnd Elopf: 


j — 92 — 
te ihr jener auf die Schulter, nun ſagte er: ich 
ſehe wohl des Prinzen hohes Weſen verleugnet 
ſich auch nicht in ſeinen Umgebungen. Gruͤſſen 
Sie ihn, mein junger Freund, ich bin Charette, 
Sie werden wohl von mir gehört haben. Er 
ritt eilig ſeines Weges ohne Eliſabeth 080 zu 
laſſen ihm etwas zu erwiedern. 

Wie mit neuer Lebenskraft hatte ſie die Naͤhe 
des kuͤhnen, ehrenfeſten Mannes angeweh't. Sd 
muß ein tuͤchtiger Krieger ausſehen, dachte ſie, 
kein Misgeſchick darf ſeine Haltung und Ruhe 
ſtoͤren, es it doch etwas Schönes um ein feſtes 
Gemuͤth! Das ihßrige hatte ſich ſchnell aufgerich⸗ 
tet. Sie druckte dem Iſabell die Sporen in die 
Seiten, und keck zu einem der Adjudanten von 
Charette heranſprengend, fragte ſie dieſen: ob er 
den Prinzen geſehen, und wohin die große Armee 
ihre Richtung genommen habe? — Wir alle, ent— 
gegnete jener, haben Gelegenheit gehabt die Tas 
pferkeit des Prinzen zu bewundern, fein uners 
ſchrockener Eifer hielt auf verſchiedenen Puneten 
die Fliehenden an, ſammelte und ordnete die Rei⸗ 
hen, und rettete einen großen Theil der Armee. 


Eliſabeth war als ſehe das Geſicht ihres Freun⸗ 


des aus einer Glorie des Ruhmes auf ſie hin. 


Was nun, fuhr der Offieier fort, die weitern Be⸗ 
ſchluͤſſe der Obern anbetrifft, fo weiß ich darüber 
keine Auskunft zu geben. Das Ungluͤck dieſes 


Tages zwingt zu ſchnellen Maaßregeln, man wird 


eilen muͤſſen, dem allzukuͤhnen Vordringen des 
Feindes Einhalt zu thun. Fuͤr jetzt find die Trups 
pen auf ungefaͤhrdetem Ruͤckzuge begriffen, den 
die hohe Geiſtesgegenwart des jungen Laroche Ja⸗ 


quelin zu ſichern wußte. Es wird Ihnen leicht 


werden den Prinzen zu finden, den kennt ein je⸗ 
der. Er gruͤßte hier ſehr verbindlich, und eilte 
ſeinem Chef zu folgen. 


Eliſabeth war noch nicht weit geritten, als 
ſie Wachtfeuer zwiſchen den Suͤmpfen und Waͤl⸗ 
dern umher durchſchimmern ſahe. Bald ſchlug 


der Wind die Flamme abwärts, bald flackerte 


dieſe hell und luſtig unter den gruͤnen Baͤumen 


herauf, der Himmel glaͤnzte, und ſahe ſtill und 
mild auf die ernſte Feierſtunde der blutigen Arbeit 


nieder. Ganz von weitem verhallten einzelne 


Donner des Geſchuͤtzes, erſchoͤpft ruhete Alles um 


die Feuer. Die Mannſchaſten hatten ſich gela⸗ 
gert, ihre Gewehre ſtanden um Baumſtaͤmme ges 
ſtellt, die Pferde waren an eingeſchlagene Pfaͤhle 
gekoppelt, viele hatten ſich auch niedergeworfen, 
ihr ſtarker Athem war hoͤrbar in der tiefen Stille. 
Eliſabeth näherte ſich dem erſten Renterhaufen, 
hat niemand, ſagte ſie, den Herzog de la Tremouille 
und ſeinen Sohn den Prinzen Talmont geſehen? 
Ein junger, etwas abwaͤrts liegender Mann, den 
Kopf in beide verſchlungene Arme gedrückt, rich⸗ 
tete ſich in die Hoͤhe, ſein ſchoͤnes Geſicht glaͤnzte 
vom jugendlichen Roth eines kurzen Schlafes, er 
ſahe mit hellen Augen umher, dann den einen 
Arm ausgeſtreckt, wieß er mit dem Finger nach 
einem Trupp hoher zuſammenſtehender Linden. 
Dorthin: entgegnete er, muß der Prinz ſich ges 
lagert haben. Eliſabeth dankte verbindlich, une 
gewiß hielt fie gleichwohl ihr Pferd an, fie bes 
trachtete noch den gütigen Unbekannten, deſſen 
volle Stimme ihr einen Namen in die Seele rief, 
den ſie ſchon lange unter ſo anmuthig ernſtem 
Bilde zu kennen glaubte. Herr Heinrich Laroche 
Jaquelin! flog es unwillkuͤhrlich Über ihre Lippen. 


Dieſer hatte ſich ſchon wieder auf den Raſen zus 

ruͤckgelegt, der kurzen Ruhe zu genießen, als 
Eliſabeths Ausruf ihn auf's neue zu ihr hin⸗ 
wandte. Freundlich fragte er, wuͤnſchen Sie et⸗ 
was, mein junger Freund? Mehr als ich hoffen 
durfte, iſt ſchon erfuͤllt, erwiederte das begeiſterte 
Mädchen, zwei Helden ſollte ich am Eingang mei⸗ 
ner neuen Laufbahn treffen, gewiß ſolche Pfoͤrt⸗ 
ner eroͤffnen nur die Hallen des Ruhmes und der 
Ehre. Ein angenehmes Laͤcheln theilte die Lippen 
des jungen Heinrich. Recht ſo, mein Kammerad, 
rief er, nur immer friſch vorwaͤrts, kein Unfall 
raubt uns die Zuverſicht, denn Gott und die Ehre 
ſind mit uns! Er ſchuͤttelte treuherzig Eliſabeths 
Hand. Dieſe aber trank wie aus goldenen Kel⸗ 
chen, den milden Feuergeiſt der hier auf und nie; 
der wogte. Im Herzen feſter und ſtaͤrker ritt 
ſie ſtill uͤberlegend zu der grünen Halle unter 
deren Dach der Prinz ſchlaflos, den Mantel uͤber 
ſich geſpreitet, den Kopf in den aufgeſtemmten 
Arm geſtuͤtzt, nachſinnend lag. Sein Auge ru⸗ 
hete auf der Gegend umher, er ſchien erzuͤrnt, 
denn oft flammten die Blicke ſo brennend auf, 


— 9 — 
heftig richtete er ſich in die Höhe, 2 * ſich 
dann unruhig von einer Seite zur andern. Der | 
Herzog ſaß auf einem großen weißen Steine ihm 
zur Seite. Er lehnte mit dem Oberleibe gegen 
einen Baumſtamm, huſtete viel, und litt ſichtlich 
von der Nachtluft, doch ſahe er heiter um ſich, 
und ſpielte wie zu anderer Zeit mit dem Zeige⸗ 
und Mittelfinger in einer gewiſſen Art von Takt 
gegen die große viereckte Golddoſf e.. A. 

Eliſabeth war abgeſtiegen, fie hielt das Pferd 
am Zuͤgel, und ſtand von den herabhaͤngenden 
Lindenzweigen verdeckt, den beiden verehrten 
Maͤnnern ganz nahe, ohne von enn e 
zu werden. 

Der Herzog, ſeines Sohnes ee belaͤ⸗ 
chelnd, ſagte: in Wahrheit dieſer General en Chef 
iſt eben fo ſehr Chef unſrer Gedanken, als unſrer 
Unternehmungen. Wir koͤnnen ihn weder von 
der einen, noch von der andern Stelle verdraͤn⸗ 
gen. Der Prinz wandte ſich raſch zu ihm hin. 
Geſteh'n Sie mir, mein Vater, rief er, auch Sie 
empfinden mit Unwillen daß es fo iſt! Ja, ja, ents 
gegnete der Herzog, es iſt die ſonderbare Ruͤck⸗ 


wirkung ber Beſchraͤnktheit, daß ſie uns Andere 
auch im Innern beſchraͤnkt macht. Ich ſehe nicht, 
warum wir immer klagend auf dem alten Fleck 
ſteh'n bleiben, da wir alle Sinne auf die Zukunft 
zu richten haben! Was hilft es denn, fiel fein 
Sohn mißmüthig ein. Seit dieſer Elbee gewählt 
iſt, haͤngt Blei an unſern Unternehmungen! War 
denn nicht alles uͤberlegt, erwogen, angeordnet? 
Hatten Charette und Lescure nicht ihre Schul— 
digkeit gethan? war der Sieg nicht ſchon unſer, 
als die ſchwerfaͤlligen, ungleichen, weder durch 
vorbereitende Inſtruction der Officiere geleiteten, 
noch durch Kuͤhnheit unterſtuͤtzten Bewegungen des 
Centrums, Alles, Plan und Ausfuͤhrung, Muth 
und Beharrlichkeit uͤber den Haufen warfen, und 
wir Meilenweit zuruͤckgeſchlagen ſind! In Wahr⸗ 
heit, wem allzuviel Kuͤhnheit gefaͤhrlich ſchien, 
der wird keinen Troſt in dieſem zoͤgernden Schwan⸗ 
ken finden. Bei Gott im Himmel! die zaͤrtlichen 
Phraſen, meine gute, meine fromme Kinder! 
im Namen der Vorſehung, zu mir her! ſchmecken 
eher wie ein niederſchlagend Pulver , als ein 


Trunk aus der Schaale der Begeiſterung. Was 
Ir Theil. & 


— 98 — 

will dieſer Prediger mit den Waffen? Ohne 
große Ehrſucht, darf man es bedauern, nicht an 
feiner Stelle zu fein. Nun, laͤchelte der Herzeg, 
das thun wir denn auch, aber was wird daraus? — 
Die Mißgunſt iſt ein Widerhaken des Ruhmes, 
der ſich dadurch ſelbſt ſein Grab graͤbt. Verjagen 
wir von unß rer reinen Dahn ſolche a 
Geiſter! i . 18K 

Hier raſchelten die Zweige welche Einberh 
verdeckten. Der Iſabell, ſeine Stallgefaͤhrten von 
Tonnayboutonne in der Naͤhe witternd, machte 
plotzlich einige ungeſtuͤme Bewegungen zu dieſen 
hin. Der Prinz in der Meinung behorcht zu 
ſeyn, fuhr wild in die Höhe, Eliſabeth trat ſcheu 
zuruͤck, und er, von des Knaben Zartheit beſaͤnf⸗ 
tigend angeweht, fragte guͤtig, was willſt Du, 
Kind? haft Du mir etwas zu ſagen? Der Herz. 
zog war auch hinzugekommen, ſein erſter Blick 
fiel auf das Pferd. Ach! rief er, ein Bote von 
Schloß Aspermont! Aspermont wiederholte der 
Prinz, geſchwind, geſchwind mein junger Freund, 
was bringſt Du? Mich ſelbſt! entgegnete Eliſa⸗ 
beth, die ſtraͤubenden Worte gewaltſam beflüz 


9 

gelnd. Ich ſelbſt, ſetzte ſie gefaßt hinzu, bin ge; 
kommen um hier mit den letzten Franzoſen zu 
leben und zu ſterben. Und ehe die halb verſtein⸗ 
ten Maͤnner ihr etwas erwiedern konnten, fuhr 
fie eilig fort: verjagen Sie mich nicht, mein 
Oheim, es hilft zu nichts, mein Entſchluß iſt ger 
faßt, ich verlaffe dieſe Kleider nicht mehr, die 
Zeit iſt gekommen, wo die Todesſchrecken allein 
noch mit der Ehre Hand in Hand gehen. Ver— 
treiben Sie mich von hier, fo gehe ich zu Char 
rette. Sie Beide kennen ja die Stimme dieſes 
Blutes, das auch in Ihnen Herr Herzog die 
Warnungen des Alters uͤberſchrie. Deshalb, fle⸗ 
hete ſie, ploͤtzlich aufs innigſte erweicht, beide 
Haͤnde zu ihnen aufgehoben, dulden Sie mich 
doch ja in Ihrer Naͤhe, Sie allein koͤnnen mich 
ja nur verſtehen. 1 

Es geht ja nicht! es geht ja nicht! ER 
holte der Herzog, indem er een vor ihr auf 
und niederging. 
Der Prinz aber hatte ihre Haͤnde in die 
ſeinigen gelegt, und ſie entzuͤckt betrachtend, ſagte 
er: nur die boͤſen Geiſter wollten ſie verjagt wiſ⸗ 

G 2 


— 100 — 

ſen, mein Vater! bewahren wir denn den guten 
Engel unſers Hauſes mit Liebe und Ehrfurcht, 
denn in Wahrheit, vor dieſem allein ſchweigen 
jene unruhigen Wuͤnſche. Der Herzog laͤchelte, 
gab Eliſabeth die Hand und ſagte: nun wohl! 
junges Kind, bleib unter uns, und due. D, ente 
v guter Engel. 


eiästee Kapitel, 


Au das Aeußerſte durch Elifabeths Verſchwin⸗ 
den gereitzt und entzuͤndet, von wachſender Ge— 
fahr bedroht, ohne eigentlichen Entſchluß, er⸗ 
ſchoͤpfte Frau von Robillard die letzten Kräfte in 
ruhe - und planloſen Umherlaufen, Fragen, Ber 
ſtreiten, Glauben und Verwerfen. Nicht Hoff⸗ 
nung, nicht Ergebung, hielten vor den Wallun⸗ 
gen des armen toͤdtlich geaͤngſteten Herzens aus. 

Jeden Augenblick vermehrten unſtaͤte Ger 
ruͤchte die entſetzliche Pein. Vertriebene, aus 
ihren brennenden Huͤtten und Haͤuſern Verjagte, 
verbreiteten uͤberall Schreck und Verzweiflung. 


— 101 — 


Nacht und Tag ſahe man die fürchterlichen 
Rauchſaͤulen den Horizont verfinſtern. Mit der 
Fackel in der Hand zogen die Republikaner um⸗ 
her. Vertilgen wollten ſie, wo ſie zu bekehren 
nicht die Macht hatten. n 

Vier und zwanzig Stunden waren ſo unter 
ſteigender Bedraͤngniß hingegangen. Chantonnay 
war aufs neue vom Feinde befeßt , die Gegend, 
das Schloß, in jeder Minute bedroht, und im⸗ 
mer noch zoͤgerte die Marquiſe, mehr die unſichere 
Flucht, als den Tod ſcheuend, der der Lebendi— 
gen nicht anſchaulich genug war, um ihn vollkom⸗ 
men zu fürchten. Matt und abgeſpannt lag ſie 
auf einem Ruhebett, die kranken Nerven zitter⸗ 
ten, der Kopf war ihr ſchwer und dumpf, das 
Herz weich. Sie hielt Eliſabeths zuruͤckgelaſſe⸗ 
nen Zettel in der Hand. Warme Thraͤnen fielen 
darauf nieder. Wo ſie nur ſein mag? fragte ſie 
traurig. So unbarmherzig konnte ſie mich ver⸗ 
laſſen. Iſt das Muth oder Feigheit, was ſie von 
hier wegtrieb! Hat ſo ein Weſen denn einen Wil⸗ 
len, oder geht es blind dem Inſtincte nach? Ich 
hatte ſie lieb, ſie iſt ſo ſchoͤn und ſo vornehm in 


Haltung und Weſen, wenn das alles’ untergin, 
ge! — Sie weinte aufs neue, das Geſicht ge⸗ 
waltſam von den Zeilen abwendend. 
Es war einige Stunden alles ruhig geweı 
fen, man fchöpfte Troſt aus der kurzen Stille. 
Schon wünſchte ſich Frau von Robillard Gluck 
ihrem Vorſatze getreu, dem drohenden Ungewit⸗ 
ter zum Trotz auf dem Schloſſe ausgehalten zu 
haben, und auf gewiſſe Weiſe behaglich, gab ſie 
ſich der Ermattung wie jenen linden ſie RR 
den Regungen hin. 9 

Ohngefaͤhr zehn Abe Abends trat der Kar 
ſtellan von einer der Thurmzinnen herabkommend 
in das Zimmer der Marquiſe. Der alte Mann 
zitterte, er hatte eine Blendlaterne in der Hand, 
feine Lippen waren bleich, er ſah Fran von Ro 
billard ſtarr an, ohne ein Wort hervor zu brin⸗ 
gen; dieſe ſchrie bei ſeinem verſtoͤrten Anblick laut 
auf, der Greis ſchwankte auf den bebenden Fuͤſe 
ren. Sie find da! ſtotterte er muͤhſam, und * 
vom Schlage getroffen am Boden. 

Jeſus! Hülfe! Huͤlfe! er ſtirbt, rief die 
Marquiſe gewaltfam, die Klingeln ziehend. Sie 


— 103 — 


riß die Thuͤren auf und ſtuͤrzte den Herbeieilen⸗ 
den entgegen. Sie kommen! Sie kommen! ſchall⸗ 
te es aus dem Corridor zuruͤck. Blaue Huſaren 
find an der Zugbruͤcke, und hinter ihnen wim⸗ 
melt es auf der Straße nach Chantonnay von 
Feinden. Das Gott erbarme, ſchrie ein Anderer 
vom Fenſter zuruͤckprallend, da unten brennen 
die Staͤlle ſchon und die Scheunen der Meierei. 

Die Marquiſe lag auf den Knicen, Hände 
und Augen gewaltſam flehend gen Himmel ge: 
richtet. Drauſſen fielen Piſtolenſchuͤſſe, zwiſchen 
durch ſchmetterten wilde Fluͤche. Barbaroux war 
wie ein Geiſt zu der Leiche des Kaſtellans getre⸗ 
ten. Was wimmert Ihr, ſagte er, der Tod iſt 
ſchon unter uns, ſeht ihn nur getroſt an. Die 
Marquiſe wandte den Blick ſcheu auf das. vers 
zerrte ſtarre Auge des Geſtorbenen. Schaudernd 
fuhr ſie zuſammen, der Tod! ſagte ſie, das Ge⸗ 
ſicht verhüllend. Wir ſind verloren, rief in dem⸗ 
ſelben Augenblick ein hereinſtuͤrzender Bediente. 
Die eine Kette der Zugbruͤcke iſt ſchon zerhauen, 
mit der andern wird es eben ſo gehen, retten 
Sie ſich, gnaͤdige Frau, ehe die Ausgaͤnge be— 


— 104 — 

ſetzt ſind. Frau von Robillard ſprang auf, ſie 
ſahe wild umher, wohin denn, wohin ſollen wir 
fliehen? fluͤſterte ſie in der Angſt ganz leiſe. Durch 
das Souterain, erwiederte jener, in den Garten, 
zu der Steingrotte am See. Heute Morgen lag 
dort der kleine Kahn noch in der Bucht angebun⸗ 
den. Wir rudern leicht an das jenſeitige Ufer, 
und haben wir nur erſt das Schloß hinter uns, 
ſo finden wir wohl einen Ausweg. | 

Die Marquiſe erwiederte nichts, fie ließ ſich 
von ihren Leuten fuͤhren. Barbarour zoͤgerte ei⸗ 
nen Augenblick, dann folgte er laͤchelnd, weshalb 
ſo viel Umſtaͤnde, ſagte er, um einen kurzen Aufs 
ſchub zu gewinnen? 

Sie legten gluͤcklich den bedrohten Weg zu⸗ 
ruͤck. Jetzt traten fie in die dunkle Grotte. Die 
Marquiſe mußte einen Augenblick niederſetzen, 
der Athem verſagte ihr. Der Bediente wollte ins 
deß den Kahn losmachen und ein paar Bretter 
zu Sitzen im Gebuͤſch ſuchen. Doch vergebens 
war fein Bemühen, der Kahn war nicht zu fin⸗ 
den, vielleicht hatte er Andern ſchon zur Flucht 
gedient. Haͤnderingend ſtand der arme getaͤuſchte 


— 105 — 

Menſch auf dem Brettchen, das ſonſt zu dem 
Fahrzeuge fuͤhrte, und ſahe troſtlos auf die vor⸗ 
uͤbereilenden Wellen, die ſeiner zu ſpotten ſchie⸗ 
Be neee 

Er wußte kaum, wie er es den Andern ſagen 
ſollte, die noch immer wartend zuruͤckblieben. Die 
Schreckensnachricht ſchlug Alle auf gleiche Weiſe 
nieder. Nur Barbarour lachte, es ſchien, er 
ſchoͤpfe alle feine Kraft aus bitterer, hoͤhnender 
Weltverachtung. a b 

Schon wie in einem Kerker faßen die Ge: 
aͤngſteten hier dicht zuſammengepreßt, ohne Hoff— 
nung zur Flucht oder Ruͤckkehr. Das Getoͤſe 
nach dem Schloſſe zu ward indeß immer lauter. 
Die feindlichen Truppen waren wohl ſchon einge— 
drungen. Man konnte ſingen hoͤren. Graͤßlich 
ſtachen die Freudenklaͤnge gegen das Angſtgeſchrei 
einzelner Ungluͤcklichen ab, welche die Tyger aus 
ihrem Verſteck heraustreibend zu Gefangenen 
machten. Jetzt pfiff jemand, im Garten umher⸗ 
ſuchend, die Marſeiller Hymne. Unſere Henker 
kommen, fagte Barbarour. Unwillkuͤhrlich ſtuͤrz⸗ 
ten alle aus der Grotte dem ſchmalen Pfad nach 


— 106 — 
dem See zu. Die Marquiſe lag halb ohnmaͤch⸗ 
tig in den Armen ihrer Leute. Man ſchleppte ſie 
und ſich ſelbſt lautlos mit ſchwankend unſichern 
Tritten dem ſumpfigen Ufer entlaͤngs. Die Nacht 
war dunkel, der moorige Wieſengrund von wei⸗ 
denden Viehheerden ungleich aufgewuͤhlt. Die 
Ungluͤcklichen ſtuͤrzten mal auf mal nieder, oder 
ſanken tief in den Moraſt hinein. Doch die To⸗ 
desangſt gab ihnen uͤbermenſchliche Kräfte, fie al- 
lein riß ſie wieder auf, und trieb ſie in ein dicht⸗ 
verwachſenes Elsbruch. . | 

Hier auf kleinen Erhöhungen unter n 
ſtehenden Fichten ſanken ſie ermattet nieder. Ue⸗ 
ber eine Stunde vom Schloſſe entfernt, in wil⸗ 
der, unwegſamer Gegend waren ſie fuͤr jetzt ſicher, 
nicht gefunden zu werden. Frau von Robillard 
erholte ſich nach wenigen Augenblicken, aber ſie 
hatte noch nicht das Herz, irgend etwas zudem 
ken! Nicht Vergangenheit, nicht Zukunft mochte 
ſie anruͤhren. Dumpf ſahe ſie in das wuͤſte Dik⸗ 
kicht um ſich her. Da fluͤſterte etwas an ihrer 
Seite; ſie wandte ſich nach dem Geraͤuſch. Eine 
ihrer Frauen, ein aͤltlich frommes Weſen, kniete 


— 107 — 
neben ihr, und die Hände ſtill auf der Bruſt der 
falten, dan! te ſie Gott leiſe und inbruͤnſtig fuͤr den 
gewährten Schutz. Die Marquiſe ſtuͤrzte in ihre 
Arme, laut weinend fuͤhlte ſie an dem treuen 
Herzen Troſt und Zuverſicht. Sie konnte jetzt 
auch beten, denken und hoffen. 5 | 

Der Tag daͤmmerte kaum, als man mehrere 
ſchmale Damme auffand, welche das Bruch durch— 
ſchneidend noͤrdlich nach bekannten Dörfern fuͤhr—⸗ 
ten. Es ward beſchloſſen, ſich in die Wege zu 
theilen, da es leichter war, einzeln Unterkommen 
zu finden. Frau von Robillard wollte ſich gleich: 
wohl nicht fo huͤlflos ausſetzen, jene eee 
und Barbarour mußten fie begleiten. 

Ein jeder von den Gefluͤchteten hatte das 
Schloß wie er ging und ſtand, verlaſſen. Nies 
mand hatte bis jetzt an die Naͤſſe und Unfauberz 
keit der eigenen Kleidung gedacht. Nun es Tag 
ward und man ſchon mit ſichererm Blick umher— 
ſahe, entdeckte man, Einer an dem Andern, das 
Mangelhafte und Stoͤrende. Auch ließen die fri⸗ 
ſchen Luftzuͤge bei aufgehender Sonne bald genug 
Kälte und Naͤſſe ſchnierzlich empfinden. Unwill⸗ 


— 108 — 


kuͤhrlich verdoppelte deshalb ein jeder ſeine Schritte, 
um nur die laͤſtig feuchten Kleider abwerfen und 
an einem Feuer trocknen zu koͤnnen. Tauſendmal 
bereuete die Marquiſe jetzt ihr ſtoͤrriges Zoͤgern 
auf dem Schloſſe. Frierend, die zarten, des Ge⸗ 
hens ungewohnten Füße nur unter quaalvoller 
Anſtrengung fortſchleppend, rief ſie mit bittern 
Zornes⸗ und Schmerzes-Thraͤnen: wer mir das 
geſagt haͤtte, tauſend Meilen weit waͤre . ge⸗ 
fluͤchtet! 105 
AUnverfolgt auf Rettung hoffend, 150 gutes, 
reines Wetter beguͤnſtigt, kamen ſie nach vielen 
und harten Kaͤmpfen, mit gaͤnzlicher Erſchoͤpfung 
und Verzweiflung von Seiten der armen, ſchel⸗ 
tenden und leidenden Frau von Robillard, an 
einzeln liegende Huͤtten ** 
Kaum gewannen ſie die troͤſtliche Ausſicht, 

als die Marquiſe, von neuer Angſt befallen, kei⸗ 
nen Schritt von der Stelle zu gehen beſchloß, 
ehe man nicht Erkundigungen eingezogen und ge⸗ 
pruͤft habe, ob ſich hier auch keine Republikaner 
verſteckt halten? So wenig Wahrſcheinlichkeit 
hierzu war, ſo beſtand ſie durchaus auf ihrer 


— 109 — 


Forderung, und als ihre Begleiter ſich entfernen 
wollten, ſchrie ſie laut, man ſolle ſie doch nicht ſo 
unbarmherzig, jedem Angriff ausgeſetzt, zuruͤck⸗ 
laſſen. Die treue Anna machte ſich daher allein 
auf den Weg. | 

In ihrer Abweſenheit lag die arme Frau von 
Robillard auf den Foltern ungewiſſen Harrens. 
Laut ſprach fie ſich jeden Zweifel, jede Möglichkeit 
neuer Gefahr aus, ſchalt ſich heftig, in dieſen 
Zuftand gerathen zu ſeyn, und endete damit, auf 
Barbaroux's Haupt alle Graͤuel des Buͤrgerkrie⸗ 
ges auszuſchuͤtten. Nach heftigen, ungezuͤgelten 
Ausbruͤchen ſagte ſie vor ſich hinredend, jedoch 
ziemlich laut: und warum ich an das Ungeheuer 
gekettet, es hinter mir drein ſchleppe? ich weiß es 
nicht! . ö 

Dieſer erwiederte, die dunkeln Augenbraunen 
finſter zuſammenziehend, den Blick am Boden 
geheftet: liefern Sie mich aus, wenn Sie wol⸗ 
len, doch Sie muͤſſen mit aufs Schaffot, Ihr 
Ruͤckhalt iſt auch zuſammengebrochen. Die Mar: 
quiſe winkte ihm ſchaudernd, zu ſchweigen. Sie 
hatte das Geſicht abgewendet, und ſahe aͤngſtlich 


—— 110 — 


nach Ann g. Dieſe kam jetzt. Die Hutten wa⸗ 
ren leer, der Schreck hatte auch wohl hier die 
Einwohner vertrieben, das wenige Geraͤth ſtand 
noch, vom letzten Gebrauch zerſtreut umher, Le⸗ 
bensmittel waren nicht zu finden, das Vieh, bis 
auf ein paar kranke in einer kleinen Umzaͤu⸗ 
nung eingepferchten Schaafe, war weggetrieben. 
Es war geringer Troſt hier zu ſuchen. Doch 
trieb ſie die Sehnſucht nach Ruhe e 
nig einladende Dach. n 
Sie ſetzten ſich um den kalten Pe Anne 
ſchob die Kahlen zuſammen, kein Fuͤnkchen glimm⸗ 
te mehr. Doch in einer Mauerhoͤhlung ſtand 
ein Feuerzeug. Holz und Spaͤne waren bald 
zuſammengeſucht, jetzt kniſterten die trockenen 
Zweige ſchon lebendig und warm, im Augenblick 
ſtrahlte ihnen die helle Flamme an. Barbarour 
ſah ſtarr in das Feuer, die Marquiſe hatte beide 
Arme auf den ſanft erwaͤrmten Heerd gelegt, und 
den Kopf dagegen geſtuͤtzt, ſchlief ſie feſt ein. 
Anna hingegen durchſuchte Alles, brachte dann 
einige Brodrinden, die ſie in der Schublade ei⸗ 
nes Tiſches gefunden hatte, weichte ſie in Waſſer 


— 111 — 
auf, und bereitete eine Suppe die Barbarour 
ſchon mit luͤſternen Blicken verſchlang. Auch ein 
paar alte Roͤcke und Waͤmſer der Baͤuerinn hatte 


ſie ausgemittelt, ſie ſchleppte alles herbei, und die 


Kleidungsſtücke ſorgſam ausſtaͤubend, bot ſie ſie 
der hoͤchſterfreuten Marquiſe bei ihrem Erwachen 
zur Auswahl an. Beide traten nun in ein Kaͤm— 
merchen ſich umzuziehen, und mußten doch las 
chen, als ſie ſo verwandelt einander gegenuͤber 
ſtanden. | 
Gewiſſenhaft ward nun die Suppe getheilt. 
Mit Entzuͤcken ſtrich Frau von Robillard auch 


die letzten, am Rande zuruͤckgeſchobenen, Brocken 


zuſammen, auch nicht ein Tropfen blieb im Ges 


ſchirr. 


Geſtaͤrkt, erwaͤrmt, zu neuer Wanderung 
tüchtig, überlegte man, daß der Aufenthalt hier 
noch eigentlich gar keine Sicherheit gewaͤhre. 


Wahrſcheinlich waren doch die Einwohner durch 


einen gefuͤrchteten Ueberfall vertrieben. Es ſchien 
rathſam ſich noch mehr nordwaͤrts zu wenden. 


Es ward lange hin- und her erwogen, bis wie 
weit der Feind Herr der Gegend ſeyn koͤnne? 


— * — 


Bei der Unzuverläßigkeit früher eingezogener 
Nachrichten war das nicht zu ermeſſen. Des⸗ 
halb lag alles daran, irgendwo Menſchen aus der 
Gegend zu treffen, welche Auskunft zu geben 
wußten. Der Richtung nach waren ſie uͤber 
Chantonnay hinaus, doch wußten ſie auch das 
nicht beſtimmt, und der ungleiche, durchſchnittene 
Landſtrich bot keinen Punct zu weiter Umſicht 
dar. ie 

Sie ſetzten ſich daher getroſt aufs neue wie⸗ 
der in Gang. Anfangs verfolgten ſie einen feſten, 
hoͤchſt angenehmen Wieſenpfad. Einzelne Kaſta⸗ 
nien und Linden beſchatteten den blumigen bun⸗ 
ten Raſen. Vergiß mein nicht und rothe Nelken 
wanden ſich zu ihren Fuͤſſen, große gelbe Lilien 
ſahen mit offenen Kelchen uͤber den Grabenrand, 
Bienen und kleine glaͤnzende Libellen ſchwirrten 
mit den durchſichtigen Fluͤgeln druͤber hin. Fran 
von Robillard war niemals fo recht eigentlich in. 
der freien Natur geweſen. Sie ſahe verwundert 
und gerührt umher. Sonderbar! dachte ſie, 
jetzt, da alles Andere von mir ſcheidet, kommen 
die heimlich ſtillen Gruͤße des Lebens. Sagt ihr 


— 113 — 


mir Lebewohl? Und iſt es beim Scheiden aus der 
Welt, wie beim Eintritt in dieſelbe? Eine tiefe 
Wehmuth goß ſich mit den warmen, duftigen 
Athemzuͤgen der Blumenkinder in ihre Seele.. 
Bald indeß reiheten ſich die Baume immer 
dichter zuſammen. Ihr dunkles Laubdach woͤlbte 
die ineinander gerankten Zweige höher und maje⸗ 
ſtaͤtiſcher uͤber die Wanderer. Dieſe waren in eis 
nem großen unbekannten Walde. * 
Fußſteige, ſo wie ſchmal geleiſte een 
durchkreutzten ſich ohne irgend eine beſtimmte 
Richtung. Keine Spur einer eige ntlichen Heer⸗ 
ſtraße war aufzufinden. Ungewiß waͤhlten die 
Armen den erſten beſten Pfad, immer nur dar⸗ 
auf bedacht, weiter fortzukommen. Doch zeigte 
es ſich bald genung, daß ſie nicht gut gewaͤhlt 
hatten. Der Wald verlor fein erhaben klares 
Anſehen. Die hohen Staͤmme zwiſchen denen 
man wie in Saͤulenhallen ruhig und ſicher hin— 
ging, verkuͤrzten ſich zu krauſem unor dentlichem 
Gebuͤſch. Wuchernd rankten ſich Brombeer und 
Vinke dazwiſchen, man hatte Mühe durchzukom— 
men. Der Boden zeigte ſich auch wieder tiefer 
Ir Theil. 9 


4 


— 114 — 


und moraſtiger, von allen Seiten ſtieß man auf 
Suͤmpfe und Bruͤc hne. 
Die Maranuiſe ſetzte ſich auf einen abgehaue⸗ 
nen Balimſtamm. Sie ſchwur nicht von der 
Stelle zu gehen, lieber wolle ſie ſterben, als dies 
geaͤngſtete erbaͤrmlich ungewiſſe Leben laͤnger er⸗ 
tragen. Wirklich bluteten ihre Fuͤße, die Bruſt 
war beklemmt, ſie konnte weine 
e in? sag mat 

Indeß hatte fü 0 der auen umwölet, ein 
eee Wind rauſchte in dem Dickicht, 
es fing an zu regnen, Frau; von Robillard zit⸗ 
terte vor Ermattung und Froſt. Anna konnte 
das nicht laͤnger mit anſehen, ſie lief aͤngſtlich 
umher, irgendwo Schutz und Obdach zu ſuchen. 
Nicht weit, zu Ende eines ſchmalen Wieſen⸗ 
ſtreifes, der den Wald durchſchnitt, ſtand ein al⸗ 
ter, halb zerfallener Bretterſchuppen. Er moch⸗ 
te wohl zum Verſchluß des hier gewonnenen Heues 
von dem Eigenthuͤmer des Waldrevier's erbauet 
worden ſeyn. Jetzt ſtand er leer und unbenutzt. 
Anna ſchrie freudig auf, als fie. des kleinen Ges 
baͤudes anſichtig ward. Sie eilte zurück. zu ihrer 


— m 115 — 


Gebieterin und fuͤhrte dieſe im wahren Triumph 
hier ein. Auf dem Boden lagen noch einige 
Haufen verwittertes Heu, die Marquiſe ſank er: 
ſchoͤpft darauf nieder „dem treuen freundlichen 
Weſen dankbar die Hand drückend, ſchlief ſie 
augenblicklich ein. Auch Anna und Barbarour 
lagerten ſich ihr zur Seite, alle hofften einige 
Stunden ungeſtoͤrt zu ruhen. Doch kaum hatte 
Frau von Robillard die Augen geſchloſſen, ſo 
war ihr im Traum, als rege ſich etwas unter 
ihr. Vom Schlafe bezwungen kam und ging 
dies Gefuͤhl ganz dumpf hin und wieder. Zu— 
weilen wollte es deutlich werden, doch bleierne 
Bande zogen das Bewußtſeyn zurück. Eine wun⸗ 
derbare Erſchuͤtterung riß indeß plotzlich das 
wirre Schwanken und Bangen aus einander. 
Die Erſchrockene fuhr auf, rieb ſich beſinnend 
die Augen, und ſahe, daß ſie von der Erhoͤhung 
ihres Lagers heruntergeſchoben, flach am Boden 
ſaß. Was iſt das? ſagte ſie. Unangenehm 
ſchnuͤffelnde Athemzuͤge pfüfen ihr im Nacken, 
fie wandte den Kopf, ein ſchauerlich langes, vers 
ſchnitztes Geſicht, ſah fir mit kleinen blitzenden 
ö 9 2 


= 


— 116 — 0 


Augen, halb ſpoͤttiſch, halb fragend an. Ohne 
ein Wort zu ſagen, den erſchrockenen, ſcheuen 
Blick auf die fremde Erſcheinung gerichtet, griff 
Frau von Robillard mechaniſch nach Anna's 
Hand, und zupfte und zerrte dieſe ſo lange bis 
die d halben Traume murmelte, ſe⸗ 
hen Sie wohl, habe ich es nicht geſagt, hier 
kommen ſie nicht her. Ach Anna! Anna! rief 
die Marquiſe, wie ſprichſt du denn, ſieh⸗ doch 
nur! der Fremde lachte widrig. Barbaroux rich 
tete ſich auf dies Geraͤuſch in die Hoͤhe, doch 
kaum hatten ſich beide Maͤnner erblickt, als ſie 
freudig aufeinander zu eilten. Du hier, Corne⸗ 
lius? ſagte Barbarour, lebt Briſſot nicht mehr, 
daß Du ihn verlaͤßt? Er lebt! erwiederte jener, 
doch nur fir Stunden. Wie? erſchrickt Dich 
das? fuhr er fort. Glaube mir, er und ſeine 
Mitgefangenen muͤſſen fallen, ihr dampfendes 
Blut allein kann die zoͤgernden Gemuͤther leh⸗ 
haft genug entzuͤnden, um die gefeffelte Wahr— 
heit aus dem vulkaniſchen Schlunde heranfjureife 
fen. Solche Opfer erlöfen Frankreich. Schwächs 
liche Ver ſuche anderer Art führen zu nichts. Was 


. 

hat es geholfen, daß Marat fiel? Er iſt nicht 
mehr? unterbrachen ihn alle Anweſende in freus 
diger Ueberraſchung. Ein Weib erſtach ihn, ſagte 
Cornelius. Charlotte Corday? rief Barbarour. 
Ja, erwiederte jener, doch die raſche That fuͤhrte 

ſie auf das Blutgeruͤſt, ihn in das Pantheon, 
die Bergparthey ſteht nur um ſo feſter, je lau⸗ 
ter die Tyrannen Rache ſchreien! Wann ſtarb die 
Corday, fragte Barbarour, die gewaltſam arbeiten⸗ 
de Bruſt muͤhſam bezwingend. Den ſiebzehnten 
Julius, war die Antwort. Er ſchauderte, an 
dem Tage flüchtete er von Hunger und Todess 
angſt getrieben, auf eines Ariſtokraten Schloß. 
Cornelius nahm aus dem zuſammengehefteten 
Futter ſeines Kleides mehrere Papiere heraus: 
Hier, ſagte er, fie Barbarour reichend, ein Brief 
von der Cor day an ihren Freund Barbarour und 
was bie Öffentlichen Blätter über das Verhoͤr ders 
ſelben mittheilen. Sie bewahrte bis auf den 
letzten Augenblick die einfache Ruhe ſicherer 
Ueberzeugung. Ihr ſchoͤner Kopf fiel, vom Poͤbel 
verhoͤhnt, und gierig ſog franzoͤſiſcher Boden das 
Blut ſeiner Befreierin ein. 


— 118 — 

Barbarour las zu Anfang immer bleicher 
und bleicher werdend, doch ploͤtzlich flammte freu⸗ 
diger Enthuſiasmus auf Stirn und Wangen. 
Laut wiederholte er mehrere Stellen des ruhig 
beſonnenen Bri ſes, und mit wahrem Entzuͤcken 
ſagte er das Ende deſſelben her. „Morgen um 
„s Uhr wird man mein Todesurtheil faͤllen, um 
„Mittag werde ich gelebt haben! Sagen Sie 
„Wimpfen, daß ich mehr als eine Schlacht ges 
„wann, da ich ihm den Frieden erleichtere. Buͤr⸗ 
„ger! ich empfehle mich dem Andenken der Freun⸗ 
„de des Friedens! Die, welche mich bedauern, 
„werden ſich freuen, mich in den eliſaiſchen Fel⸗ 
„dern mit Brutus und einigen andern Alten zu 
„ſehen!“ Barbarourx hob das Blatt mit leuchten⸗ 
den Augen gen Himmel. Und weiter oben las 
er: „Von denen die mich verhoͤrten, ſahe der 
„Eine aus wie ein Narr, der Andere wollte mich 
„in ſeinem Hauſe geſehen haben, da ich doch nicht 
„an ihn gedacht habe. Ich weiß nicht, daß er 
„Talente genug beſitzt um der Tyrann ſeines Va⸗ 
„terlandes zu ſeyn, und dann, ſo wollte ich ja 
„auch nicht die ganze Welt ſtrafen. Ich geſtehe, 


— 119 — 

„ich habe mich einiger Liſt bedient, dem Grund 
„ſatz meines theuren Raynal zufolge, daß man 
„ſeinen Tyrannen die Wahrheit nicht ſchuldig 
„ey: — In wenig Tagen wollte Euch Marat 
„alle zu Paris guillotiniren laſſen. — Mir durf⸗ 
‚te er das ſagen? Dieſe Worte ein über 
„ſein Schickſal!“ —. i 

Was leben wir denn noch, rief Barbaroux 
und verkriechen uns wie Elende in Waͤldern und 
Hoͤhlen, wenn die Welt keine Seele run hat 

wie dieſe! a Wb 

Leſen Sie, erwiederte Cornelius, was Ihnen 
Briſſot hieruͤber an Barbarour las fols 
gendes 1 Nee 

„Ich ſende Euch, PET meinen Secretair 
„Cornelius. Die Getreuen müſſen zuſammen⸗ 
„halten, und ſich retten, wie ſie koͤnnen. Es iſt 
„Kuͤhnheit der Gewalt trotzen, doch Weisheit 
„ihren Streichen begegnen. Soll die Arbeit ſo 


„vieler Tage und Nächte umſonſt fein? und haͤt⸗ 


„ten wir nur gelebt, um die Zuͤgel machtlos fal⸗ 
„len zu laſſen? Lebt! Damit das Reich der Aſtraͤa 
„wiederkehre. — Ich kenne dieſe Welt! darum 


* 


— 120 — 


„verlaſſe ich ſie gern. Doch würde ich den Tod 
„von mir ſtoßen, wenn nicht Opfer fallen müß⸗ 
„ten! Wie Curtius ſtuͤrzte ich mich dem Hoͤllen⸗ 
yſchlunde dieſes Conventes entgegen. Möge die 
„ beleidigte Freiheit ſich verföhnen, und der Welt 
„den Frieden geben.“ 

„Wir Alle, die wir ſeit eee ee 
„im Kerker ſchmachten, ſehen dem letzten Puls 
„ſchlage des Daſeyns ungeduldig entgegen; Euch 
„die große Arbeit der Zeit uͤberlaſſend.“ 

„Ein Weib hat es unternommen Frankreich, 
„zu retten. Mit der Mine eines ngels und 
„einer Heldin, ſanft und unerſch rlich, den 
„feuchten Blick gegen ihr Opfer gekehrt, traf 
„Charlotte Corday Marats Herz, aber leider 
„war fie zu fanatiſch um ſcharffinnig zu ſeyn. 
„Die Liebe zur Freiheit ward ihr unwilltührlich 
„zur Religion und ſie ſelbſt deshalb ein blindes 
„Inſtrument. Ein Dolchſtoß erſchuͤttert nicht die 
„Welt; und Meinungen werden nicht durch ein 
„Baar ſtroͤmende Pulsadern weggeſchwemmt. 
„Wer der Kugel einen Umſchwung geben will, 
„muß fie eine Weile auf feinen Schultern getra⸗ 


— 121 en 


„gen haben, und erwägen, wie ſchwer ſie iſt. 
„Charlotte Corday liebte die Menſchen zu ſehr, 
„deshalb mußte ſie den Einzelnen haſſen. Es 
„verdient aber kein Individuum weder Haß noch 
„Liebe. Die Menſchheit jedoch fodert Sporn 
„oder Zuͤgel, je nachdem die Freiheit ſtockt, oder 
„ſich uͤberfliegt, beides iſt den herrſchenden Geis 
„ſtern in die Hand gegeben. Seiner hoͤhern Ab⸗ 
„ſicht Gemuͤther zu gewinnen, muß man der 
„eig'nen Natur widerſtreben. So ward ich, 
„die Lebenscanaͤle zu verfolgen, Speculant, Ges 
ſchaͤftstraͤger, Adlicher ſogar, und trat vom 
„Staatsrath in den Jacobinerclubb! Erwaͤgt das 
„und handelt!“ 

Wer, ſagte Barbarour das Blatt laͤßig bei 
Seite ſchiebend, hat noch Luſt die muͤden Glieder 


zu ruͤhren? Wer die Tyrannei haßt, entgegnete 


raſch Cornelius. Ich komme von Caen Euch 
und Eure Gefaͤhrten zu ſuchen. Lange ſtreife ich 
vergeblich umher”, Eure Spur verfolgend. Die 
blutigen Tage, welche kuͤrzlich auf einander folg⸗ 
ten, trieben mich in dieſen Wald. Noch geſtern 
durchzogen ihn Truppen, uͤberall iſt Gaͤhrung. 


— 122 — 
Nirgend ein Stäspuner, In den Provinzen paart 
ſich Teufelei und Abgoͤtterei um die Wette mit 
einander. Paris iſt und bleibt der einzige Heerd 
großer Ideen. In kurzem fällt dort Marie An⸗ 
toinette, — die Marquiſe ſank hier ſchaudernd an 
Anna's Bruſt, Cornelius fuhr ohne es zu beach⸗ 
ten fort, ihr ſchuldloſes Haupt ſchreit zu den Her— 
zen der Pariſer. Ihr nach folgen die Convents⸗ 
deputirten, alleſammt vom Volke heiß beweint, 
der Augenblick entſcheidet. Dürfen wir ihn un 
genutzt laſſen? und iſt es nicht die hoͤchſte Feig⸗ 
heit hier unthaͤtig zu bleiben? Barbarour ſann 
nachdenklich vor ſich hin. Alles koͤmmt darauf 
an, ſagte Cornelius mit leidenſchaftlichem Eifer, 
einen Entſchluß zu faſſen. Vertrauet mir. Ich 
weiß Mittel Euch unentdeckt nach Paris zu fuͤh— 
ren und dort zu verbergen. Vor Allem aber laßt 
uns in Verbindung mit den Vendéeern ihre Waf— 
fen zur Unterſtuͤtzung gewagter Unternehmungen 
benutzen. Irre ich nicht, fo iſt hier die Buͤrgerin 
ganz geeignet als Vermittlerin zu dienen. 

Die Marquiſe, ſchon von allem Vorhergehen— 
den lebhaft angeſprochen, voll Durſt die Koͤni— 


Ä SE 15 

gin zu rächen, geſchmeichelt, geftachelt, gehoben, 
im Gebiet der Intrigue ſich bequem und ſicher 
fuͤhlend, blies ſchnell den aufblitzenden Funken, 
in und auſſer ſich zur ſpruͤhenden Flamme auf. 
Ueberall hatte der geſchmeidige Cornelius bald 
die Scheu verwiſcht, welche fein erſter Eindruck 
in ihr erregte. Die Vorſtellung in Paris ſelbſt, 
wohin ſie von je Wunſch und Gedanken verge— 
bens trugen, eine Triebfeder großer Ereigniſſe zu 
ſeyn, ja vielleicht die Schwingungen des Staates 
zu leiten, hob fie über alle augenblickliche Gefahr 
hinaus. Sie ſahe ſich ſchon im Geiſte ſchaffend 
und wirkend, nach allen Seiten ausgreifen, durch 
ihre Vermittelung die Kriegsoperationen leiten, 
und auf ſolche Weiſe die ſtolzen Maͤnner regieren, 
die ihre Einſicht ſo oft verſpotteten. 

Mit der neu angefachten Hoffnung belebten 
ſich auch die ſchwindenden Kraͤfte. Sie war au— 
genblicklich mit Cornelius in eine Art Verbindung 
getreten. Ihr leidenſchaftlich, umherfliegender, 
leicht erfaſſender und erfaßter Verſtand ging auf 
jeden Vorſchlag des intriguanten Neuerers ein. 
Es ward vor der Hand beſchloſſen, zuerſt in Be⸗ 


— 124 — 


ziehung mit der ruͤckgekehrten den Juſurgenten 
entgegenſtehenden Beſatzung, von Mainz und 
Eondee zu treten, und fo einen Faden nach der 
Vendée und Paris heruͤber zu ſpinnen. Cornes 
lius hatte hier nur fruͤhere Verbindungen aufzu⸗ 
nehmen und Frau von Robillard fein und ge: 
wandt ihr Intereſſe an das der Vendoefuͤhrer zu 
Saüpfen. j 
So beraufchten die Schwindelnden einander 
wechſelſeitig. Vergebens zupfte die treue Anna 
ihre Gebieterin am Kleide, ihr zuflüſternd: der 
Rebell umſtricke ſie nur mit Luͤgen, vergebens 
ſtraͤubte ſich der ſtrenge ungelenke Varbarour, 
mehr dem Catoniſchen Stoicismus als der Lift. 
eines Antonius und Menenius Agrippa huldigend; 
die unruhig Treibenden verſandten ihre Welter 
ſchuͤtternden Pfeile aus der verfallenen Umda⸗ 
chung, vom dumpfigen Heulager, mit einer Zu 
verſicht, welche dem menſchlichen Scharfſinne 
uͤberall Altaͤre zu bauen und ſich auf die Spitze 
zu ſtellen weiß. 4 


— 125 — 


r 


Siebentes Kapitel. 


Wiederum geſammelt, ſtark durch Zahl und 
Wille, Gott im feſten Herzen, ruͤſteten ſich die 
unerſchrockenen Vendéeer zu neuen Unternehmun⸗ 
gen. Ihnen lag alles daran den Feind aus je; 
nen Bezirken zu treiben, welche die Natur zu 
Verſchanzungen der Freiheit, tugendhafter Ent— 
ſchluß zum letzten Zufluchtsort der Ehre, Treue 
und Religion geſchaffen hatten. Daruͤber waren 
alle einig, daß hiezu jede Kraft geweckt, dahin 
eine jede gerichtet werden muͤſſe. Zuvoͤrderſt blieb 
die Wiedereroberung von Chantonnay, als der 
Anlehnungspunct jener verheerenden Schaaren, 
welche in dem Innern von Poitou wuͤtheten, das 
Nothwendigſte. Der gemeinſame Wille lenkte 
ſich darauf. Behutſam war die große Armee 
bis zu Pontcharron gelangt, wo man auf die 


— 126 — 


Arrieregarde des Feindes ſtieß. Naͤher von der 
Nordſeite über Les quatre chemins drang die Di: 
viſion Royrand vor, und beſchaͤftigte die Beſaz⸗ 
zung durch einen falſchen Angriff, waͤhrend die 
Hauptmaſſen vom Suͤden hereinbrachen. 
Purpurflammend ſtieg die Morgenfonne hin; 
ter dem dunkeln Saum der Wälder herauf. Fri⸗ 
ſche Luftzuͤge ſpielten in den Gluthen, der Hime 
mel wogte wie ein Feuermeer. Feierlich rückten 
die Schaaren vorwaͤrts, gruͤne Zweige an Huͤten 
und Muͤtzen und dem Hauptgeſtell der Pferde; 
die weiße Fahne rauſchte wie ein Schwanen—⸗ 
fittig über, ihnen. Der Prinz ritt heute ein 
kohlſchwarzes Normaͤnniſches Pferd mit Purpur 
und goldgeſtickter Satteldecke. Er ſelbſt trug ein 
kurzes, ſchwarzes Collet mit filbernen, Epaulets 
und als koͤnigliches Feldzeichen die altfranzoͤſiſche 
Scherpe, ein hoher weißer Federbuſch wogte auf 
ſeinem Hute. Die ſchoͤn gezeichneten Augenbrau⸗ 
nen etwas ſtolz heraufgezogen, den Kopf zum Um⸗ 
herſchauen gehoben, flogen die Wirte wie 
raͤchende Todespfeile nach Chantonnay heruͤber. 
Der Herzog, vor der Morgenluft in einem dich⸗ 


— 127 — 


ten Mantel gewickelt, ein geſtepptes ſchwarzes 
Sammtkaͤppchen tief in die Augen gedrückt, die 
weiße Taube des heiligen Geiſt-Ordens auf ſil⸗ 
bernem Felde auf die Bruſt geheftet, ritt einen 
ſilbergrauen Andalufier. Er hielt die Hand, mit 
welcher er die Zuͤgel fuͤhrte, nachlaͤſſig auf des 
Pferdes Hals, und zeigte mit der andern auf die 
feindlichen Poſten, die ſein ungeſchwaͤchtes Auge 
leicht entdeckte. Der ſanfte Ernſt ſeiner beſonnee 
nen Worte ſchien unwillkuͤhrlich ein Damm fuͤr 
des Prinzen Ungeduld zu werden. Zwiſchen Bei⸗ 
den, wie damals auf jener erſten, bedeutungsvol— 
len Reiſe, ritt Eliſabeth. In ihren klaren blauen 
Augen ſpiegelte ſich Erwartung, Glaube und Dez 
muth. Das Wehen ihrer ſtill gehobenen Seele 
traf von Zeit zu Zeit des Prinzen Bruſt. Er ſahe 
von ihr zum Himmel, und beugte das allzuunge⸗ 
ſtuͤme Herz in uͤberlegenden Gedanken. 


Durch die Schaaren ging ſchweigſamer Ernſt, 
man hoͤrte nur geiſtliche Lieder ſingen. Der 
Gott allein, der von je ſo groß geweſen, konnte 
ſich maͤchtig in den Schwachen zeigen. Die füllen | 


— 123 — 
Geſichter, vom Morgenlichte angeſtrahlt, leuch⸗ 
teten dennoch voll innerer Zuverſicht. Eliſabeth 
hatte ſchon längſt einen Juͤngling in geiſtlicher 
Tracht bemerkt, der an der Spitze eines Bauern⸗ 
trupps, das Kruciſir in der Hand, fo ſchlicht und 
innerlich beſchaͤftigt, ohne viel Worte oder beredte 
Gebehrden herging. Sein ſanftes, etwas blei⸗ 
ches Johannesgeſicht, das gerad anliegende, gelb⸗ 
lich branne Haar, die reinen durchleuchteten Aus 
gen, ja, der zum Wandern eingeuͤbte Schritt, al⸗ 
les an ihm rief ihr das Bild der Apoſtel zuruck. 
Der Herzog gruͤßte ihn mehrmals ſehr freundlich, 
er war der Fuͤhrer einer ſeiner Gemeinden, und 
ihm ſehr wohl unter dem Namen des jungen Pries 
ſter St. Silvanus bekannt. Der Juͤngling hatte 
ein überaus weiches Lächeln, wenn fein Auge ſich 
redend zu den Menſchen wandte, obgleich der 
Blick ſonſt wohl ernſt, ja etwas ſtreng genannt 
werden konnte. Er ſchien kraͤnklich, wenn gleich 
von feſtem Baue, vielleicht auch, daß das Licht 
innerer Offenbarung zu maͤchtig und zu blendend 
das junge aufgehende Daſeyn erfaßte. Es braucht 
immer eine Weile, ehe dieſe Strahlen, Seele und 


* 


— 129 — 
Leib zugleich durchdringend, ein foͤrderndes Le⸗ 
benslicht werden. | 
Jetzt endlich ward das Zeichen zum Angriff 
gegeben. Im ſelben Augenblick waren Muͤtzen 


und Hüte in den Händen der Vendseer, fie faßten 


nach dem Roſenkranz, den Kopf gebeugt, das 
Gewehr im Riemen auf den Ruͤcken haͤngend, 
ihre Gebete und Pſalmen dumpf vor ſich hin 
murmelnd, ſetzte ſich alles in Marſch. Und mit 
einemmale die Muͤtzen auf den Kopf geworfen, 
nach den Gewehren faſſend, riefen viele tauſend 


Stimmen: Es lebe der König! Tod den Repu⸗ 


blikanern! und d'rauf und hinein in den Kampf. 
Im Augenblick ſind ſie handgemein mit dem 
Feinde, fuͤrchterlich fallen ihre Hiebe rechts und 
links, die Kriegskunſt hilft den geordneten Truppen 
wenig, die Begeiſterten durchbrechen ihre Reihen, 
unaufhaltſam wie ein Strom ſtuͤrzt und wogt die 
Menge vorwaͤrts, die Verſchanzungen ſind er⸗ 


ſtuͤrmt, das Gefhüß genommen, Unzählige zu 


Gefangenen gemacht. Immer fechtend und ims 

mer vordringend kommen die Sieger unter die 

Mauern von Chantonnay. Ploͤtzlich wirft fi 0 
Ir Then J 


— 130 — 

ihnen hier die wildefte aller Republikanerhorden 
entgegen. Lange ſchwarze Roßſchweife auf den 
Helmen, rothe Jacken und Pantalons, Dolche 
und Piſtolen im Gürtel, ſtuͤrmen jene Bataillone, 
welche ſich die Raͤcher nannten, mit vorgelegten 
Bajonetten auf ſt ſie ein. Mir nach! mir nach! 
ruft der Prinz, im Namen des allerchriſtlichen 
Königs. Seine Wangen glühen wie Purpur, 
der ſchoͤne normanniſche Rappe unter ihm ſteigt 
ker zengerade in die Höhe, wild hau't dieſer mit 
den Vorderfüßen in die Luft, die geſchwollenen 
Naſtern aufblaſend, ſchnaubt und dampft er in 
ſchaͤumender Ungeduld; noch einmal wendet der 
Prinz den ſchlanken, koͤniglichen Hals, mehr als 
ſeine Worte rufen die gebietenden Blicke, er hebt 
den Arm, winkt feine Schwadronen, und ſtuͤrmt 
mit vorgebeugtem Oberleibe in den Feind. 

Sich ſelber nicht bewußt, weder denkend noch 
wollend, hatte Eliſabeth einem neben ihr Halten⸗ 
den die weiße Fahne aus der Hand | geriſſen. 
Wie ein Blitz theilte ſie die Reihen. Dorthin, 
wo der Federbuſch des Prinzen im Gedraͤnge hin 
und wieder wankte, zog es ſie magnetiſch. Ihre 


a 


\ — 131 — 
Hand zitterte nicht, ſie konnte den Schaft, an 
welchem das Panier hefeſtigt war, hoch in die 
Luft ſchwingen. Verlaßt Eure Fahne nicht, Ven⸗ 
deer, rief ſie mit klarer Engelsſtimme, pflanzt fie 
auf die Mauern von Chantonnay. Rettet die 
Ehre Frankreichs! Vertilgt die Gottes- und Koͤ⸗ 
nigsleugner! Vorwaͤrts, Vendéeer! Vorwaͤrts! 
Gott und der Heiland find unter uns! — Tief 
athmete ſie jetzt zum erſtenmal aus freier Bruſt 
an des Prinzen Seite. Der Kampf war beendet, 
Bruͤcken und Thore frei, die Stadt in ihren 
Haͤnden. Wie von der Todesſichel gemaͤhet, la⸗ 
gen die rothen Raͤcher umher. Verſtuͤmmelt, 
oder ſtarr und bleich, von dem wilden, oft in 
Blut getraͤnkten Roßhaar ihrer Helme beſchattet, 
ſahen die verſtoͤrten Geſichter aus brechenden, 
krampfhaft rollenden Augen zu ihren Siegern 
auf. Der Prinz, ſo wie ſein brauſendes Pferd, 
gluͤheten und dampften noch vom heißen Kampfe. 
Das Blut jagte wild zum Herzen, angeſchwollen 
lagen die Adern wie Baͤnder um die Bruſt, die 
Pulſe ſchlugen und haͤmmerten in Kopf und Herr 
zen. Verſchnauffend hielten jetzt Pferd und Deus 


J 2 


2 — 
a 


ter neben der erſtrittenen Bruͤcke, die zur Stadt 
fuͤhrte. Mannſchaft und Pferde, Gepaͤck und 
Wagen zogen vorüber. Eliſabeth hielt die Fahne 
noch immer zwiſchen Schenkel und Pferd ge 
klemmt, mit dem linken Arm umſchlungen. Das 
rothe Tuch war ihr ſeitwaͤrts von der Stirn ges 
gleitet, wallend floſſen die blonden Locken uͤber 
Schlaͤfe und Wangen, Roſenlichter der Begeiſte? 
rung ſpielten um das zarte Geſicht, und feucht 
von Freude und Wehmuth, ſchwamm das liebe, 
dankerfuͤllte Auge. 

Das Gedraͤnge hier auf der Bruͤcke war groß. 
Eilfertig ſtroͤmten die Truppen heran. Alle wolls 
ten wenigſtens die Stadt hindurch ziehen. Es 
ſtopfte ſich zwiſchen den Leichen der Gefallenen, 
dem verfahrenen Geſchuͤtz und Wagen. Auch der 
Geiſtliche Silvanus fand ſich hier mit feiner klei⸗ 
nen Schaar angehalten. Freundlich ernſt trat er 
an die Seite, und ermunterte die Ungeduldigen, 
in den einfachſten Worten, ſich den kleinen Ver⸗ 
ſchub gefallen zu laſſen. Seine Stimme hatte 
etwas unbeſchreiblich Beſchwichtigendes, der Prinz, 
der zufällig neben ihm hielt, ward angenehm dar 


— 


— 133 — 

von getroffen. Die tanzenden und ſlimmernden 
Fuͤnkchen, welche die Kampfeswuth noch hin und 
wieder an ſeinen Augen voruͤberjagte, verdunſtete 
allmaͤhlig, er ſah, uͤberraſcht und gleichſam geweckt, 
von dem ſtillen Juͤngling auf Eliſabeth, die wie 
ein Friedensengel die verſoͤhnenden Blicke uͤber die 
blutige Staͤtte ſchwimmen ließ. Mein Gott! 
Eliſabeth! fluͤſterte der Prinz, was waͤre ohne 
Ruhm und Liebe das Leben! — Sie laͤchelte, 
eine fanfte Thraͤne thauete von den langen ſeid' nen 
Wimpern nieder. Wie nach Gewitterſtuͤrmen lin; 
de Regentropfen die Erde kuͤhlen, fo fiel dieſe 
Thraͤne in des Prinzen duͤrſtende Seele. Schwei⸗ 
gend reichte er dem geliebten Weſen die Hand. 
Ein Strahl hoͤheren Lebens durchzuckte Beide, 
ſie gehoͤrten fuͤr alle Ewigkeiten einander. 


In dieſem Augenblick ſtimmte Silvanus einen 
Pſalm an, er ſetzte ſich, das Krucifir vor ſich her⸗ 
tragend, mit feiner Kriegergemeine in Marſch. 
Eliſabeth rollte ihre Fahne wallend auf, und ſie 
aufs neue hoch in die Luft ſchwingend, begleitete 
ſie an ihres Helden Seite den Zug zur Stadt 


» 
— 


hinein. Beide von Gluͤck * Liebe und 2 

ſtrahlend. * A 

Auf dem Markte Sielten fe an. Der won 

zog kam auf fie zu geſprengt. Ein Fremder be⸗ 
gleitete ihn. Der Prinz begrüßte Beide ſehr ehr⸗ 
furchtsvoll. Alle waren uͤberaus heiter. Der 

Unbekannte trug einen wunderbaren Zauber in 

den Minen. Er ſagte eben nicht viel, doch lag 
es wie ein Glanz auf ſeinem ſtill geruͤhrten Ant⸗ 

litz. Er ſchien die hellen Blicke der Gegenwart 

an dem tiefen Ernſt der Zukunft zu erhoͤhen, wie 

man die aufblitzende Sonne noch vor dem Unter⸗ 

gehen mit leiſe begeiſtertem Ach! wehmuͤthig nnd 
froh zugleich begruͤßt. Eliſabeth bemerkte, daß er 
ſie ſehr aufmerkſam anſahe und, zu dem Herzog 
gebeugt, nach ihr fragte; was dieſer jedoch erwies 

derte, hoͤrte ſie nicht, gleichwohl faßte ſie der 

Oheim bei der Hand, indem er ſagte: Junges 
Kind! der jetzige Moment werde Dir unvergeß⸗ 
lich durch den Anblick des Marquis des Leseure. 
Dieſer erroͤthete bei den Worten faſt ſchuͤchtern, 

und in dem Ringen, dem Herzog etwas Verbind: 

liches zu erwiedern, blieb er ihm die Antwort 


A 

ſchuldig. Er. neigte in ſichtlicher Verlegenheit 
zwei Finger ſegnend gegen Eliſabeth. Der Him⸗ 
mel, ſagte er, beſchuͤtzt unſre Jugend, wenn ſie das 
Himmelreich hier gewinnen ſoll. Ihre ſchoͤne 
Erſcheinung möge uns noch lange tröſtlich ſeyn! 
Es kamen jetzt mehrere Andere herzu. Man re⸗ 
dete viel, doch Eliſabeth konnte ihre Augen nicht 
von dem Manne wenden, der ihr ſchon lange un; 
ter dem Namen der Heilige von Poitou vor der 
Seele ſtand. | 


Nach wenigen Ruheſtunden begaben ſich faft 
‚alle Chefs nach Les Herbiers, um dort gemeinſam 
die nächſten Operationen zu beſprechen. Man 
wußte den Feind fuͤr den Augenblick ſo geſchwacht, 
ſo abgeſchnitten von aller unterſtuͤtzenden Ver⸗ 
bindung, man ſahe ihn ſo rettungslos von allen 
Seiten in die Haͤnde der Sieger fallen, daß man 
nur darauf zu denken hatte, die Provinz vor neuen 
Einbruͤchen einer ſtaͤrkern Macht zu ſichern, deren 
Annaͤherung leider nur zu wahrſcheinlich war, 
nach Allem was das Geruͤcht von den Eilmaͤrſchen 
der Mainzer, Luxemburger und Condseerbeſatzung 


— 136 — 
ſagte, welche die allzuzarte Großmuth aus waͤrti⸗ 
ger Mächte dem rebelliſchen Frankreich zurück gab. 

Der Herzog, welcher durch die Anſtrengung 
dieſes und des vorigen Tages ſehr angegriffen 
feinen Marſch langſamer in Ellſabeths Begleitung 
zuruͤcklegte, fagte, unter vielem, was ihm der 
Hinblick auf die naͤchſte Zukunft abzwang: Ich 
winfchte, wir vergaͤſſen es nicht, daß in Augen 
blicken, in denen das unſtaͤte Gluͤck gleichſam die 
Falten aus dem Vorhange ſtreicht der unſer 
Schickſal verhuͤllte, fo daß wir ruhige Daͤmme⸗ 
rung dahinter ahnden, uns der Himmel eher 
pruͤft als belohnt. Unſer Volk iſt wie ein hitziger 
Juͤngling, der alles mit dem Schwerdte in der 
Hand auszumachen meint, und dieſes gleichwohl 
nachlaͤſſig in den Winkel wirft, wenn ihm die 
Gefahr nicht gerade dicht auf den Leib ruͤckt.! 

Er ward ſtill, als er das geſagt hatte. Eliſa⸗ 
beth mochte ſeine Gedanken nicht unterbrechen, 
doch bemerkte ſie nicht ohne Aengſtlichkeit, daß er 
bleicher, als gewoͤhnlich ausſahe, und die Athem⸗ 
zuͤge ſchwerfaͤllig und pfeifend aus der beengten 
Bruſt heraufſtiegen. Fuͤhlen Sie ſich nicht wohl. 


— 137 Ge * 


mein Oheim 2 fragte fie bewegt. Der Herzog 
raffte ſich augenblicks zuſammen, ſein Auge lachte 
fie liebreich an, und faſt ſich ſcheltend, ſagte er: 
Gott behuͤte, daß ich heute noch etwas anders als 
die Glorie unſrer Waffen empfinde. Er war von 
da an ſichtlich bemüher, Eliſabeth nur Erfreuli⸗ 
| ches zu ſagen. So pries er die Frauen in ihrer 
reinen Selbſtverleugnung, und wie dies Himmels⸗ 
ſchild ſich ſo ſtark und ſchiemend auf ihre Bruſt 
lege, daß ſie der ernſten Lebensgefahr ohne ſon⸗ 
derliche Anſtrengung trotzen. Gewiß, ſetzte er ge⸗ 
ruͤhrt hinzu, ihre Waffen ſind nicht von dieſer 
Welt! Er fragte hierauf Eliſabeth, wie der Anz 
blick des Todes ihr erſchienen und ob ſie nicht 
doch Anfangs davor erſchrocken ſey? Gott weiß 
es, entgegnete fie, wie es kam, daß ich zuerſt we 
der denken noch ſehen konnte, was um mich und 
in mir geſchahe; das Herz war mir ganz ſtarr in 
der Bruſt, und wie in tiefer Nacht, warf ich mich 
den Andern nach. Man hat es bewundert, und 
meiner Jugend großes Lob gezollt, daß ich ſo 
kuͤhn vordrang; allein, ich weiß wenig oder nichts 
davon, und wirklich muß ich glauben eine hoͤhere 


— 138 — 
Macht habe mich liebend mit verbundenen Augen 
an den erſten blutigen Schauern hingefuͤhrt. Doch 
als der Sieg beinahe erfochten war, die Thuͤrme 
von Chantonnay uns winkten, die Unſern jubelnd 
ihre Muͤtzen ſchwenkten, und ſich jetzt mit einem; 
male die rothen Legionen wie ein Blutſtrom über 
die Bruͤcke uns entgegen waͤlzten, ihr wildes Ges 
heul alle verſtoͤrte, und des Prinzen Stimme 
wie ein Donner ſchmetternd rief, da ſprengte ein 
Etwas, das ich nicht zu nennen weiß, die Ban⸗ 
de, die mir das Herz gefeſſelt hielten, es ſchlug 
gewaltig, Thraͤnen ſtuͤrzten mir aus den Augen, 
ich entriß meinem zoͤgernden Mebenmanne die Fah⸗ 
ne, die Worte kamen mir von ſelbſt, damals frei⸗ 
lich ſahe ich den Tod, aber er winkte mir vor⸗ 
waͤrts, denn er — — — ſie hielt erſchrocken ein. 
Er ſchwebte, ergaͤnzte laͤchelnd der Herzog, uͤber 
ein geliebtes Haupt, was zaudern Sie es zu ſa⸗ 
gen, liebes Kind? Die Liebe verklaͤrt uns erſt den 
Muth, Gott zündet durch ſie den dunkeln Trieb 
zur reinen Flamme an. Eliſabeth ſahe betroffen 
zu ihm auf. Er hatte ſo ernſt und ohne allen 
Umſchweif ihr tiefſtes Geheimniß ausgeſprochen, 


— 
als gehoͤre es dieſer Welt nicht mehr an, und ſey 
hier nichts mehr zu beruͤckſichtigen. Und alle 
ſeine Worte klangen ſo bedeutungsvoll und ſinnig 
wie ſonſt nie im Leben. Faſt furchtſam ritt he 


neben ihm. Doch er nahm gleich wieder mit leute 


feliger Freundlichkeit das Wort. Auch ich, ſagte er, 5 
habe heute dem Tode ſein Spiel verdorben. Faſt 
neckend ging er zwiſchen mir und dem Prinzen 
hin und wieder, ich jagte ihn dem Feinde zu, 
und ſo ſind wir ihn fuͤr jetzt wohl los, doch, Kind, 
er gedenkt es uns, er iſt erſt abe geworden, 
zum fatt werden fehlt noch viel. | 

Eliſabeth ſchauderte in ſich ent Mein 
liebes junges Herz, ſagte er unbeſchreiblich mild, 
wir haben das Ehrenkleid unbefleckt erhalten, 
was uns fuͤr dieſe Erde umgehaͤngt ward, und 
die Liebe gerettet, die im Himmel goldene Seuche 
trägt, was wollen wir mehr? — 

Eliſabeth faßte unwillkuͤhrlich nach ſeiner 
Hand. Sie brannte gluͤhend in der ihrigen. 
Mein lieber Oheim, rief ſie, die Thraͤnen kaum 
noch bezwingend, wie reden Sie denn jetzt vom 
Tode, als ginge er hier neben uns her und fer 


— 140 — 
hen Sie ihn zwiſchen uns? Fuͤrchteſt Du Dich, 
mein ſtarkes Maͤdchen, fragte der Herzog, ihr 
ſanft die Wangen ſtreichend. Laß ihn nur gehen, 
fädjelte er, wir reiten ja, und unn wohl 
a früher an Ort und Stelle! | 

Eliſabeth konnte nicht mitlachen. Sie fühlte 
wohl, der Herzog war anders als ſonſt. Mit 
Bangigkeit ſahe fie ſich hier fo allein auf einſa⸗ 
mer Haide, fie wußte nicht, ſollte fie den ver 
ehrten Greis zu Beſchleunigung des kurzen Rit⸗ 
tes anmahnen, oder war es dem Erſchoͤpften beſ⸗ 
ſer, abſteigend einige Augenblicke auf weichem Ra⸗ 
fen auszuruhen? Gegen das letztere ſprach gleich— 
wohl alles, der hereinbrechende Abend, die thauig 
feuchte Erde, und mehr noch ſicherlich des Herzogs 
eigner Wille, der ſich dieſe Friſt nicht goͤnnen 
mochte. Sie wußte nicht, was ſie in der Angſt 
thun ſollte. Unwillkuͤhrlich ſprengte ſie ihr Pferd 
an, ſo daß es einige Galoppſpruͤnge vor dem Her— 
zog voraus war. Sie haben recht, ſagte dieſer, 
es wird Zeit! Er eilte nun ebenfalls vorwärts, a 
Doch verſagten ihm bald genug die Kräfte. Er 
geſtand, es ſchwindle ihm vor den Augen, er koͤn⸗ 


— 141 — 
ne den Weg nicht recht finden, und bat Eliſabeth 
ſcherzend Geduld mit einem alten Thoren zu ha⸗ 
ben, den ohne Zweifel die Siegesfreude berauſchte. 
Mein beſter, liebſter Oheim! rief Eliſabeth, wäre 
es nicht rathſam wir hielten hier auf eine Stunde, 
oder länger an, bis ſich das aufgeregte Blut ge⸗ 
kuͤhlt, und Sie wieder Kräfte geſammelt haͤtten.? 
Bcehuͤte, behuͤte! erwiederte er, ich muß ja mit 
dem Prinzen die Abendmahlzeit halten, was 
würde der Prinz denken! Ach Gott! ſeufzte Eli⸗ 


ſabeth in ſich, mein armer Vetter! wie dunkel 


wird ihm der Abend nach dem glanzvollen Tage 
werden! r 
Sehr langſam und beklommen legten fie die 
letzte Strecke des Weges zuruͤck. Wie es wohl 
jetzt auf Schloß Tonnayboutonne und Aspermont 
ausſehen mag! ſagte der Herzog nach langem 
Schweigen. Sonderbar, ſetzte er hinzu, daß der 
Menſch das Umherſchauen nicht laſſen kann, wenn 
er doch nur auf Eines ſehen ſollte! ſo unterbre⸗ 
chen wir immer den Strahl, der uns aufwaͤrts 
ziehet. Wir haben zu vielem wohl nicht das 
rechte Gefühl, ſonſt ſtoͤrte es uns nicht. Ich muß 


— 149, — 

ummer an die Marguife denken, ſeufzte er. Sie 
iſt wie ein Licht, das unaufhoͤrlich im Winde 51 
ckert, ihr unruhiger Schein thut den Augen wehe, 
und leuchtet niemand. Mich duͤnkt, ich ſehe wie 
fie den eig' nen Lebensdocht verzehrt, und nichts 
davon hat, als ſchwarzen Unſchlitt. Sie liebt ei⸗ 
gentlich nichts als ſich ſelbſt. Das iſt recht 9& 
faͤhrlich, liebes Kind, denn man weiß es nicht, 
und zieht ſich durch ein ganzes Leben die Welt 
wie ein Kleid an, das uns ſchmuͤcken ſoll, bis 
der Tod das Kleid loͤſt. Nun, rief er, die gefal⸗ 
dene Haͤnde auf des Pferdes Hals gelegt, mit 
gehobenem Blick und tief bewegter Stimme, Du 
wirſt mir es ja ſagen, mein Gott, ob ich rein, 
ohne ſchmeichelnden Selbſtbetrug zu lieben wußte! 
Lieber Himmel! ſchluchßte Eliſabeth, ihrer Thraͤ— 
nen nicht mehr maͤchtig, wenn Sie ſich ſo miß⸗ 
trauen duͤrfen, was bleibt denn noch wahr und 
unbefleckt in der Welt. Wenig, mein armes Herz, 
entgegnete er liebreich. Das beſte iſt, Gott iſt 
der Richter, der weiß, die Menſchen wollen 
wiſſen, und ſind weit . wenn's Andere 
gilt. — 


— 143 — 

Sie ritten jetzt in den Hof vor des Prinzen 
Wohnung. Seine Leute eilten ihnen entgegen. 
Der Herzog konnte kaum vom Pferde herabſtei— 
gen, die Beine zitterten ihm er mußte ſich auf 
Eliſabeth ſtuͤtzen, die feinen Arm nicht wieder 
fahren laſſen wollte. 

Anfangs war der Prinz nicht ſogleich zu 
finden, und als er kam, traf er den Vater ſchon 
wieder etwas erholt, in einem Lehnſtuhl ſitzend, 
und mit Cartouche, dem alten getreuen Pudel, ſpie— 

Eliſabeth ſtand im Fenſter gelehnt gegen 
e und begleitete Bewegung und Mine ihres 
Oheims, der ſichtlich jede Kraft aufbot, an den 
Sohn nicht zu beunruhigen. 

Gottlob! rief dieſer beiden geliebten Weſen 
die Haͤnde reichend, ſo koͤnnen wir uns endlich 
mit einander freuen! Der Schatten, den augen; 
blickliche Erſchoͤpfung zwiſchen Sie, mein Vater, 
und die Sonne dieſes Tages warf, iſt ja wieder 
verſchwunden! Wie koͤnnte es auch anders ſeyn! 
Es iſt der erſte Sieg, den ich bei der Armee er: 
lebe. Ich geſtehe es, ich habe jede Sorge, jeden 
Zweifel uͤber die Zukunft in dies eine, unbeſchreib⸗ 


— 4 — 


liche Gefuͤhl untergetaucht ede ſchoͤne groß⸗ 
muͤthige Freundin, ſagte er, das erſchuͤtterte, wein 
nende Mädchen neben ſich auf einen Stuhl nier 
derziehend, ſagen Sie es nur immer auch, daß 
dieſe Thraͤnen der Begeiſterung, dem Danke, der 
Freude flieſſen. Der Herzog winkte Eliſabeth. 
Sie lächelte ſanft, doch zu ſprechen vermochte ſie 
nicht. Der Prinz druͤckte ihre Hand feſt auf 
ſeine Bruſt. Schon lange, fuhr er fort, habe ich 
mich geſehnt, das alles fo ungehemmt laut wer⸗ 
den zu laſſen. Man mißtrau't meiner Heftigkeit, 
ich zuͤgle ſie vor Andern, doch hier, von dieſen 
beiden Herzen werde ich verſtanden. Laſſen Sie 
uns einen Augenblick denken, wir ſeien am Ziel. 
Die ſchwere Arbeit der Zukunft bleibe uns verz 
deckt, wir wiſſen heute nichts von ihr. Was thut's, 
wenn's morgen anders iſt. Wir leben dieſe eine 
ſchoͤne Stunde! In Wahrheit! das Gluͤck duldet 
nicht den Maaßſtab der Zeit, es n. Ewig⸗ 
keiten oder iſt ein Unding. 

Der Herzog richtete ſich in die Höhe. Er 
ſtuͤtzte den Arm auf die Seitenlehne des Stuhls, 
und den Kopf vorbeugend, ſahe er in des Prinzen 


— 145 — 


flammende Augen. i Es war als trinke er Zus 
gendfeuer aus ihren Blicken. Das Gluͤck duldet 
nicht den Maaßſtab der Zeit, wiederholte er, nun 
wohl! ſo ſind wir ja mitten in der Ewigkeit und 
es giebt kein Hier oder Dort, ſondern uͤberhaupt 
nur Seyn! Der Prinz, ganz ahndungslos was 
ihm der naͤchſte Augenblick bereiten koͤnnte, ſo 
recht gemuͤthlich wohl im Innern, faßte ſeines 
Vaters Hand und ſagte nach kurzem nachdenkli— 
chen Schweigen zuverſichtlich: nicht wahr mein 
Vater, wir ſtellen das alte Frankreich wieder her? 
Es iſt ja da, laͤchelte jener. Treue und Glau⸗ 
ben find feine Grundpfeiler, wer die auch unter⸗ 
graͤbt, hat ſie darum noch nicht aus dem Bau der 
Weltgeſchichte verdraͤngt. Die Menſchen geben 
ſich viel Mühe die Bande unter einander zu Ads, 
ſen, aber es iſt mit den Staaten, wie mit der 
Religion, der. e ſelbſt muß den Mittler 
ſuchen. 

Das alte Frankreich! tief PR ns dem 
Her zog ein Glas ſchaͤumenden Burgunder hin⸗ 
haltend. Dieſer faßte das Glas, er ſah wie die 
Perlen am Rande ſpielend in die Mitte zu einem 

Ir Theil. K ) 


— 146 — 

Stern zuſammenſchoſſen, und zu Eliſabeth ar} 
wendet ſagte er, ſo liebes Kind, werden Erdenthräs 
nen eine Saat kuͤnftiger Himmelslichter! Das 
alte Frankreich! rief er d'rauf dem Prinzen Be⸗ 
ſcheid thuend. Er ſtieß an deſſen Glas, und leerte 
das Seine. i 

Sehr erſchoͤpft lehnte er jetzt in den Arm⸗ 
ſtuhl zuruͤck. Ich bin recht, recht müde, ſagte er, 
Ihr Kinder, ich will ſchlafen. Seine Stimme war 
ploͤtzlich ſo beengt, ſo bebend, daß der Prinz zu⸗ 
ſammenfuhr. Der erſte ahndende Blitz durchzuck⸗ 
te ihn. Mein Gott! Eliſabeth, fragte er leiſe, 
was iſt das? ſie winkte ihm ſtill zu ſeyn, und 
flüſterte dann, ich wußte es lange, geliebter Freund, 
daher meine Thraͤnen. Er ſank zu ihren Fuͤßen 
und den Kopf in ihre beiden Haͤnde gedruͤckt, 
weinte er von dem unerwarteten Schlage uͤber— 
waͤltigt, recht aus zerriſſener Seele. | 

Der Herzog athmete ſchwer. Er ſchlief nicht 
und wachte nicht, zuweilen laͤchelte er, doch hatte 
er die Augen geſchloſſen. Der eine Arm lag auf 
Bruſt und Herzen, der andere hing uͤber die 
Stuhllehne. Cartouche wie ein Knaͤuel zuſam⸗ 


1 1 
dee richtete Kopf nd Augen minfelnd 
auf feinen Herrn. 

Laß uns, lieber Freund, ſagte Eliſabeth, den 
jungen Geiſtlichen St. Silvanus rufen. Der 
Herzog will ihm wohl, und er iſt uns nahe. 
So weit Eliſabeth, rief der Prinz heftig auffah⸗ 
rend, ſo weit iſt es ja noch nicht, kann es ja gar 
nicht ſeyn, die Angſt in Dir iſt zu voreilig. Rufe 
ihn nur, bat ſie dringend, was thut es, wenn 
er kommt, fein frommes Geſicht leuchtet uns 
nicht umſonſt. Er wankte zum Zimmer hinaus. 
Sie ſchlich an des Herzogs Stuhl. Ihre Naͤhe 
mußte ihn berühren, er griff mit der Hand nach 
ihr hin, doch griff er falſch, denn ſeine Augen 
wer nicht mehr. Sie knieete neben ihm nie⸗ 

Halb verſtaͤndlich ſagte er: (6 ſterbe, liebes 
pe? doch fage es dem Prinzen nicht alzufruͤh, 
fein banges Schluchßen ſchneidet mir in die See⸗ 
le. Verlaß ihn nicht, troͤſte ihn, wenn er auch 
das alte Frankreich dieſſeits nicht wieder ſieht. 
Seine Hand lag noch auf ihrer Stirn, als der 
Jüngling Silvanus eintrat. Geraͤuſchlos wie ein 
Seraph beugte er ſich uͤber den Sterbenden. 

K 2 


— 148 — 


Dieſer ſchlug die Augen noch einmal zu ihm auf, 
9 5 ſich beſinnend ſagte er: nicht war, der 
Sieg ward heute ſehr ſchoͤn erfochten. Er werde 
es auch hier, betete der Geiſtliche leiſe! Er, iſt 
es ſchon, ſetzte er nach kurzem Schweigen hinzu, 
indem er ſich von dem Todten erhob. Sein Friede 
iſt geſchloſſen, der unſrige gehe uns nicht verlo⸗ 
ren, bat er, die weinende Eliſabeth vom Boden 
auf ebend. O Gott der Prinz! feufzte dieſe. 
Doch der ſtand eruft und feſt an des Vaters Lei⸗ 
che. Er hatte draußen das volle Herz vor Gott 
ausgeſchüͤttet, ſeine Bruſt war geſtaͤhlt. Der 
Schmerz uͤbermannte ihn nicht, er konnte ihn 
aushalten. Doch als er jetzt des Vaters Hand 
faßte, und dieſe den Druck der Seinigen uner⸗ 
wiedert ließ, da ſank er bleich in Silvanus Arme, 
der ihn mit ſtiller Gewalt in ein anderes Zimmer 
führte, und ihn nicht eher verließ, bis auch in die⸗ 
fer Seele der Sieg erfochten war. 1 


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u gekannt, und ate ungerufen, oͤffnen mil⸗ 
de Engel die. Thore des Himmels, wenn die 
Erde unbarmher zig ein geliebtes Weſen verſchließt, 
da un re Augen ſuchen. Linde und loͤſend wal⸗ 
let der Athem Gottes nieder, was in uns ſtockt, 
was uns verfinſtert, es ſchmilzt im Thau der 
Thraͤnen, und wenn das Herz nun ausgeblutet 
hat, ſo ſchlaͤgt es hoͤher und freier, und ahnet 
ſeine Heimath, die ohne ſein Wiſſen, es ſo warm 
und heilend umfing. 

Stille Tage waren dem Prinzen in dem 
een bes 3 sroßeh ert vers 
ſtere Gedanken daͤmmerten in ihm, er fa ru⸗ 
higer auf die Arbeit des Lebens, und waffnete 
ſich mit Ergebung. Aber wenn Ehrgeitz und 


— 10 — 
Rache ſchuͤchtern vor der tiefſinnigen Weiſung 
des Geſchickes zuruͤcktraten, ſo ſprudelten die 
Quellen der Liebe nur um ſo lebendiger. Das 
junge Lebenslicht in der Nacht des Schmerzes 
geboren, rief ſie durſtend herauf. Von der einen 
Seite vielem e ntſagend, umſchlang das Herz in 
wehmuͤthiger Gluth, was der Himmel ſelbſt ihm 
nahe legte. en 1 2052 7 4 


Eliſabeths ſanfter Fr iedenshaud rührte! zue 
an die verborgenen Saiten in des Prinzen Seele. 
Einmal angeſchlagen BEN! der Klang zum wach; 
tigen, gewaltigen Rufe an. Und wenn früher 
Kriegsgewitter ihn augenblicklich aberſchriten, ſo 
bebte doch jetzt in einſamen Stunden unter den 
tieferen Ruͤhrungen des Kummers 1 gente 


Weſen davor. ur 
greg 


Ohne Worte, ohne gachen, den einen un⸗ 
bewußt hatte ſich das Band beider Herzen am 
Sterbelager des Vaters feſt zuſammengezogen, 
und unwillkuͤhrlich ein Verhaͤltniß gebildet, deſſen 
reiner Glanz nur der Wiederſchein laͤngſt beſtan⸗ 
dener unausgeſprochener Verbindung war. 


1 
1 


Heilig, wie das tiefe unerforſchte Geheimniß 
des Lebens, rein wie der Glaube an das Uner⸗ 
forſchliche ſelbſt, dem Kleinod eigener Ehre gleich, 
hegte und huͤtete der Prinz das Bild der Gelieb⸗ 
ten in ſeiner Bruſt. Ein ſichtbares Pfand des 
Himmels war fie ihm. Eine Bedingniß menſch⸗ 
lichen Vertrauens, ein zartes unantaſtliches Band 
des Daſeyns. Beſchwichtigend ſtillte ihr Athem 
die Stuͤrme feines Blutes. Wunſch und Verlanz 
gen ſchienen auſſer dem Kreiſe ihrer ſanften Naͤhe 
zu liegen. Doch wenn die Liebe unbewußt ſo die 
brauſenden Wirbel zu ebnen verſtand, ſo ward ſie 
zugleich auch ein Quell flammender Begeiſterung 
fuͤr zwei Weſen, die weder Ruhe noch Gluͤck, ohne 
die Würde und Ehre des Vaterlandes kannten. 
Sehr ernſt ſahen ſie auf die kommenden Tage. 
Voll unbegraͤnztem Vertrauen durfte der Prinz 
jeden Gedanken, jede Beſorgniß, in die klare und 
ſtarke Seele ſeiner Freundin ausſchuͤtten. Von 
Natur beachtend und ſinnig, durch Erbſchaft des 
Blutes kuͤhner Heldengroͤße vertraut, von dem 
Ernſt und der Erhabenheit der Zeit gedrängt, um— 
faßte Eliſabeths Blick die Verhaͤltniſſe der Ge— 


— 152 — 

genwart ſehr raſch. Sie lernte bald in das in⸗ 
nere Weſen deſſelben hineinſehen, Pläne und Er⸗ 
wartungen beſcheiden an den Bedingungen aͤuße/ 
rer Mittel pruͤfen, und nicht ſelten durch ein auf⸗ 
munterndes Wort die ſtockende Zuverſicht bes 
leben. Re” 
Mehr als je war gerade das Letztere an der 
Zeit. Bedrohlicher ſahe es noch nie um die kuͤh⸗ 
nen Vertheidiger des Glaubens und der Ehre aus! 
Armeen, furchtbar an Zahl und Tapferkeit, um 
ſchloſſen die enge Freiſtatt alter Treue. Das kuͤhn⸗ 
ſte Herz durfte gepreßter ſchlagen. Nur feſte Aus: | 
dauer konnte auf eine oder andere Weiſe retten. 
Die Nothwendigkeit, die Provinz von allen 
Puncten gegen das Herandringen großer Maſſen 
zu ſchuͤtzen, hatte die Armee in vier Haupt; Corps 
zertheilt, welche getrennt oder vereint, je nach⸗ 
dem großer Widerſtand erheiſcht ward, die Gränz 
zen des inſurgirten Landes bewahren ſollten; der 
Prinz fuͤhrte nach wie vor die Kavallerie, und 
war das bewegliche, mittelbar oder unmittelbar 

theilhabende Element aller Unternehmungen. Ins 
deß waͤlzten ſich von Nantes, Angers, Saumuͤr 


— 15] — 

und Poitiers die feindlichen Colonnen unaufhaltt 
fan heran. Schon hatte Leſeure einen ver 
geblichen Angriff auf Tours, Laroche Jaquelin 
und Bonchamp auf Doué gemacht. Alles, was 
ſie erreichten; war ein augenblicklich ungeſtoͤrtet 
Ruͤckzug; doch trug der junge Heinrich, ſo wie 
Stoffelet und Bonchamp Wunden davon, die ſie 
zwangen, die Armee zu verlaſſen. Und jetzt ge 
rade brach Santerre wie ein Gewitter ſengend 
und vernichtend uͤber Saumuͤr und Loron vor. 
Ohne ihre Fuͤhrer, in den gehegten Erwartungen g 
betrogen, ſchuͤchtern und willenlos, ſchwankten die 
Truppen, und gingen groͤßtentheils zuruck. Alle 
uͤbrigen fanden ſich anderweitig beſchaͤftigt, nichts 
hemmte von dieſer Seite des Feindes Fortſchritte 
Todesſchrecken weheten vor ihm her, wie gelähmt 1 
fielen die ruͤſtigen Arme nieder. | 
Stuͤrmend brauſte der Prinz mit wehrten 
kuͤhnen Gefaͤhrten durch Hecken und Waͤlder, be⸗ 
redete, bezwang, gewann und verlor zum Theil 
| wieder, was er an Mannſchaften geſammelt hatte. 
Die bleiche Angſt jagte nun einmal hinter ihrer 
Beute drein, keine Macht der Erde konnte ſie jetzt 


- u» 


vertreiben. Die Nacht dunkelte, athemlos, wie 
ein gehetztes Wild, vor Schmerz und Zorn wei⸗ 
nend, ſtuͤrzte der Prinz jetzt zum Tode muͤde in 
die Hütte eines armen Rinderhirten. Das Feuer 
flackerte auf dem Heerde. Er ſtreckte ſich auf 
eine Bank daneben, finſter ſtarrte er in die 
Flamme, Kein Wort kam uͤber ſeine Lippen. Elis 
ſabeth ſaß auf einem kleinen Schemel neben ihm, 
ihre Stirn ruhete an ſeiner herabhaͤngenden Hand. 
Herbſtſtuͤrme ſchlugen gegen das kleine Fenſter, 
und klapperten, mit den loſen Scheihen. Der 
Hirt trug ſeufzend und ſtoͤhnend etwas trockenes 
Holz herbei. Er ſchielte wohl ſeitwaͤrts zu dem 
Prinzen hin. Doch hatte er nicht das Herz, zu 
Fragen, wie es denn eigentlich in der Welt aus- 
ſihe ? — Ihm ſelbſt blieb wenig zu verlieren, 
Die Huͤtte und fein, Amt waren ihm nur als 
Pacht verdingt. Was ſonſt feinem armen Reichs 
thum ausmachte, ein Fellrock, der Wanderſtab 
und die kleine Hirtenfloͤte, das hing und lag dort 
druͤben im Winkel, und war mit dem duͤrfti⸗ 
gen Leben bald gerettet; und gleichwohl zitterte 
er vor der nahen Gefahr. Der Prinz bemerkte 


= 153 — 
es und lachte bitter, ein paarmal zuckte dieſem 
die Hand krampfhaft, als wolle ſie ſich gegen das 
Schickſal ballen. Eliſabeth ſahe zu ihm auf. 
Niemals noch ließen ihre Augen die ſeinen unge⸗ 
ruͤhrt, heute zum erſtenmal blieben ſie unbeweg! 
lich auf einen Fleck gerichtet. Es muß dennoch 
gehen! rief er aufſpringend. Er lief ungeſtuͤm 
in dem engen Stäbchen auf und nieder. Un: 
freundlich ſtieß er den treuen ſchlafenden Hirten 
hund an die Seite, der vor der Thuͤr liegend ihm 
im Wege war. Die Pferde vor! donnerte er in 
die Nacht hinein. Ein junger Officier trat zu 
ihm, der Prinz fluͤſterte ihm etwas ins 5 
worauf dieſer wieder hinauseilte. 1 
Eliſabeth war aufgeſtanden. Sie 565 och | 
Saͤbel vom Boden, und ſchnallte ihn um. Auf 
das Geraſſel der Waffe wandte ſich der Prinz 
raſch zu ihr. Er betrachtete ſie unruhig. Drauf 
ihre Hand faſſend, ſagte er etwas unſicher und 
ungeſtuͤm, unſere Schaar iſt ſehr klein, es gilt 
ein etwas gewagtes Ritterſtück. Sie muß ich 
bitten, ſich auf ſolche Weiſe nicht auszuſetzen, des 
halb — er ſtockte vor Eliſabeths ſtolzem Blick, 


u — 156 — 


Sie hatte ihre Hand aus der ſeinigen losgemacht, 
und ſie an den Degen legend, ſagte fie: Ihr wils 
der Eifer, mein Prinz, laͤßt Sie vergeſſen, mit 
wem Sie reden. Ich gelte in der Armee fuͤr den 
jungen Ritter George von Rochefoucault. Sie 
werden wiſſen, daß der Name nicht allzuzaͤrtliche 
Sorafalt duldet, am wenigſten, wenn es auf die 
That ankommt. Ob Ihr Unternehmen gewagt, 
unweiſe oder weiſe iſt, es geht mich nichts an. 
Ich folge, wo Kriegsgeſetz und Ehre rufen. 
Der Prinz riß fie heftig au feiner Bruſt. 
Mit Dir leben und ſterben, fluͤſterte fie. Der 
Offleier trat wieder ein. Es ift alles fertig, ſagte 
dieſer. Nun wohl! rief der Prinz, wir ſind es 
auch. Das zarte Kind, ſetzte er, auf Elisabeth 
zeigend, hinzu, laͤßt ſich nicht zurſickweiſen. Wie 
ich es dachte, will der junge Nite den Wettkampf 
mit beſteh'n. Es gilt, mein tapferer Georg, rief 
Herr von Pereaut, der Begleiter des Prinzen, 
wer von uns den Feind zuerſt erreicht! Ja, Elis 
ſabeth, ſagte der Prinz ſchon auf dem Pferde, 
eine Strecke weit mit ihr voraus reitend, wie 
gering auch unſere Kräfte find, wir werfen uns 


— 17 — 

den Teufeln entgegen, oft thut ein Arm mehr 
als tauſende, wir muͤſſen dieſem Santerre das 
Handwerk legen, ich ertrage den Gedanken nicht, 
vor ihm zuruͤckzuweichen. Und wenn es gelaͤnge! 
Liebes Herz, begeiſtert es Dich nicht? Nein! ent 
gegnete Eliſabeth kalt, ich ſpuͤre nichts als den 
Kitzel eigenen Ruhmes. Gott legt nur dann bes 
ſondere Kraft in unſern Arm, wenn kein menſch⸗ 
licher Ausweg mehr uͤbrig bleibt. Der iſt hier 
nicht verſchloſſen, doch freilich, Ihr Name, mein 
Prinz, würde. nicht dabei genannt werden. Elis 
ſabeth! — rief der Prinz entruͤſtet. Er hielt 
ſein Pferd an, indem er ſie einige Minuten ſchwei⸗ 
gend betrachtete. Du biſt ein Maͤdchen, ſagte er 
dann weiter reitend, ich begreife es, und vergebe 
Dir. a 0 5 

Sie aber wandte ſich ab, und ritt von dem 
Augenblick mit dem andern Gefolge hinter ihm. 
Anverſehens befand fie ſich zwiſchen zwei etwas 
wilden Juͤnglingen. Sie warfen mit gewagten 
Worten um ſich, und vermaßen ſich, Santerre 
noch heute den Kopf zu ſpalten, ja es entſtand 
die Wette unter ihnen, wem von beiden die kuͤhne 


— 153 — 

That gelingen werde? Eliſabeth ward zu Anfang 
bange an ihrer Seite, und vollends, als ſie ſie 
aufforderten, der Wette beizutreten, doch faßte 
fie ſich bald, und entgegnete ruhig: Herr San— 
terre wird ſich ſchwerlich Einem von uns zum 
Zweikampf ſtellen, ob wir ihn aber ſonſt erreichen, 
iſt mißlich. Beim Himmel! rief der Eine, wir 
ſtieben dieſe Spreu mit einem dreiſten Anfall aus⸗ 
einander, fo viel Gewalt traut ſich ein jeder Edel⸗ 
mann wohl zu, denn niemand zweifelt wohl, daß 
uns das Volk im Herzen nach wie vor anhaͤngt, 
und nur die Macht der Tyrannen ſcheuet. Rit⸗ 
ter Georg! lachte der Andere, fuͤrchten Sie, den 
Lindwurm nicht zu treffen? — O laſſen Sie, 
ich bitte, erwiederte Eliſabeth, heilige Geſchichten 
aus dem Spiel, der Ernſt iſt uns zu nahe. 

Und wirklich ſahe man in der Morgendaͤm⸗ 
mierung hinter thauige Nebelwolken Waffen bliz⸗ 
zen und Staubwirbel wie wandelnde Berge an 
dem Saum der Wälder herunterziehen. Unab⸗ 
ſehbar dehnten ſich die grauweißlichen Maſſen uͤber 
den Geſichtskreis hinaus. Der Prinz wandte ſich 
nach ſeinem kleinen Haufen um, und maß mit 


— 159 — 

finſterm Blick den kuͤhnen Willen mit der Moͤg⸗ 
lichkeit des Gelingens. Es iſt vergebens, fluͤſterte 
Eliſabeth noch einmal zu ihm heranſprengend. 
Lenken Sie noch jetzt ein, ehe die Nothwendigkeit 
Sie bezwingt. Jetzt? — erwiederte er, im Anz 
geſicht des Feindes umkehren? — Nimmermehr! 
Sie muͤſſen es ja doch wahr und wahrhaftig uͤber 
kurz oder lang, verſicherte ſie mit flehend feuchtem 
Blick. Der Prinz winkte abwehrend mit der 
Hand, ſie wandte ſich ſeufzend zuruͤck. 

Pfeifend flogen jetzt Flintenkugeln rechts d | 
links aus dem Gebuͤſch heruͤber, und immer dunk⸗ 
ler und immer dichter draͤngte ſich Schaar an 
Schaar die Hoͤhen hinunter. Preis dem Erſten, 
der ſie erreicht! rief der junge Officier an Eliſa⸗ 
beths Seite, indem er feinem Gefährten voruͤber⸗ 
ſprengte. Wie ein Pfeil flog der Andere ihm 
nach. Beiden gelang es, ein paar feindliche Flan⸗ 
queurs herunterzuhauen, doch ein Kugelregen 
zwang fie ohne weitere Waffenthat zu den Uebri⸗ 
gen zuruͤckzukehren, die bereits von leichter, aus 
Gebuͤſch und Hecken hervorſtuͤrzender Kavallerie 
umſchwaͤrmt und angegriffen waren. Wie ein 


— 166 — 


ſchönes, allzukeck ins Garn gelaufene Wild das 
ſtolze Haupt noch einmal hebt, und ſich ſelbſt ver⸗ 
trauend einen Ausweg ſucht, hielt der Prinz und 
überflog jede Möglichkeit der Rettung mit Falken⸗ 
augen. Wir find verloren! rief er jetzt, doch 
die Ehre iſt unſterblich, darum ihr unſer letzter 
Athemzug! Wie Sonnenpfeile blitzte die leuch⸗ 
tende Klinge um und über und neben ihm. Ma⸗ 
gnetiſch riß es alle hinter ihm drein. Der Tod 
machte Bahn. Hindurch und zuruͤck auf der 
Straſie nach Lhollet ſtuͤrmten die Tollkuͤhnen, 
unverfolgt, ohne Aufenthalt und Ruhe. Staͤr⸗ 
kern Ruͤckhalt fuͤrchtend, goͤnnte ihnen Santerre 
die Friſt, gewiß, ſie dennoch zu ereilen. 
Däoch ſchon nach einer Stunde Weges fie 
der Prinz auf friſch geſammelte Truppen, die 
ihm zugleich die Annaͤherung eines bedeutenden 
Heeres unter dem Marquis Piron verhießen. 
Jetzt erſt wagten die verſinſterten Gedanken ſich 
in ihm aufzurichten. Beſchaͤmt, ja im Innern 
zernichtet, hatte er Eliſabeths Blick gemieden, 
jetzt ſuchte fie ſein reuig Herz. Er wollte dem 
Engel ſeine Schuld bekennen, in ihrer Verzei⸗ 


„ 


— 161: — 


hung, Troſt und Muth gewinnen. Aengſtlich 
hielt er das Pferd an, auf den Lippen ſchon all⸗ 
den Honig beredender Liebe, das Auge forſchenb 
umhergeſandt ließ er muſternd das kleine Heer 
an ſich vorüberziehen. Herr Jeſus! ſchrie er 
jetzt, wo iſt — er konnte es nicht ausſprechen, 
die Worke lüterten auf den ſtarren Lippen, wo 
iſt? — ſtammelte er noch einmal. Der junge 
Ritter? fragte ihn errathend ſein Adjudant, bei 
Gott er muß geblieben ſeyn, ich vermißte ihn 
gleich. Der Prinz ſtarrte ihn mit hohlen Augen 
an. Geiſterbleich ſchwankte er auf dem Pferde. 
Mechaniſch trug ihn dieſes weiter. Ganz recht! 
ganz recht! ſagte er ein paar Mal in ſich hin, 
ein. Das eigne Herz mußte mir die gautelnde 
Thorheit aus der Bruſt reiffen! f wird der 
Schlangenkamm zertreten. Das ſind die Poſau⸗ 
nenklaͤnge, von denen mir in voriger Nacht trum; 
te! Gott! Du geheſt in ein fuͤrchterliches Gericht 
mit mir. War ich denn blind und toll zugleich? 
Er ſtarrte aufs neue duͤſter vor ſich hin. Es iſt 
nicht wahr, es iſt wahrhaftig nicht wahr, rief er 
dann wohl, aber nach einer Weile fuhr es ſchrei⸗ 
Ir Theil. 2 | 


— 162 — 


end aus ſeiner Bruſt: O Jeſus! N „ eum 


bean gerade Du? N 


i Adjudanten vom Marquis Piron 4 
ihn jetzt. Santerre zog in der Stärke. von vier⸗ 
zigtauſend Mann von Coron nach Verin und 
nahm eine Linie von vier Lieues ein. In dieſer 
Ausdehnung beſchloß der Marguis das Centrum 
mit ſeiner geſammelten Macht anzugreifen, und 
forderte die Unterſtützung des Prinzen. Es 0 
nicht zu zweifeln, ſetzte der Offieier hinzu, wir } 
benutzen fo die Bloͤßen, die uns der Feind unbe⸗ 
achtet giebt, und felfen wicder ber, was in dieſen 
Tagen verloren ging. Machen wir auch Todte 
lebendig, fragte der Prinz mit bitterm Lächeln ?. 
Der Offieier ſah ihn befremdet an. In Gottes 
Namen, fuhr jener fort, koͤnnen Sie einen Schat⸗ 
ten brauchen, der feinen eigenen Leib ſucht, fo: 
hetzen Sie mich nur auf dieſe blaue eee 
ne Hunde! 111 3 0 


Betaͤubt lag indeß Eliſabeth unter dem Km | 
nen Iſabell, der von einer Kugel getroffen aufams 


menbrechend auf feine Keuterin m fer. a 


— 163 — | 

Todt oder nicht! klang es jetzt von bekaun⸗ 
ter Stimme an der Halberſtarrten Ohr, ich kann 
Dich ſo nicht liegen ſehen, armes Kind. Eine 
ſtarke Hand faßte fie faſt ſchmerzhaft an den 
Schultern, fie fühlte ſich von ſchwerer Laſt befreit, 
tief Athem ſchoͤpfend oͤffnete ſie die Augen. Der 
Rinderhirt hielt fie, neben ihr knieend, im Arm, 
fein guter alter Hund ſchnupperte an ihren Ta: 
ſchen. Der erſte Strahl des Bewußtſeins jagte 
ihr Todesſchreck durch alle Adern. Du guter 
Gott! rief ſie, wo bin ich hingerathen, was iſt 
mit mir geſchehen? wo iſt denn der Prinz? Lies 
bes Kind, ſagte ihr Retter, das weiß ich ja alles 
nicht. Ich bin ſelbſt fo in der Irre herumgelau⸗ 
fen, und kann nicht ſagen, wie ich hieher kam! | 
Man ift bei dem Teufelslaͤrm nirgends feineg Le⸗ 
bens ſicher, die Angſt jagt einen die Kreutz und 
Queer. Den Tod glaubte ich zu haben, als ich 
hier bei den Leichen hergerieh. Ich hielt mir die 
Augen zu, und wollte gleich wieder umkehren, 
aber der Philax da fing ſo wuͤthend an zu bellen, 
und zupfte und zerrte Euch an den Beinen, daß 
ich um ihn nur wegzutteiben, mir ein Herz faßte 

L 2 


— 164 — 
und naher kam. Doch er ließ nicht ab, ſtierte 
mich an, und riß und riß an Euern Kleidern, 
f bis ich Euch ins Geſicht ſahe, da fiel mirs ein, 
Ihr war't es, die dem Hunde ſtreichelte, und 
Brod und Zwieback gabt, als ihn der große vor⸗ 
nehme Herr, der mit Euch in meiner Hütte war, 
ſo unwillig an die Seite ſtieß. Nun lebt Ihr 
doch Gottlob! und es iſt nur gut, daß ich nicht 
ſogleich davon lief! — Er ſetzte Eliſaberh auf 
einen kleinen Raſenhuͤgel, und ſchoͤpfte ihr Waſſer 
mit der ho Alen Hand aus einem nahen Flies. 
Sie trank, und ſahe betruͤbt um ſich her. So 
ganz allein! ſa gte fü ſie. Was fange ich nun an!, 
Da trabte es ganz nahe uͤber eine Brücke dicht, 
hinter dem Hügel wo fie ſaßen. Die Blauen 
ſchrie der Hirt, die Blauen! Gott ehe mir bei! 
und ſchnell den Knotenſtock vom Boden raffend, 
ohne umzuſehen, ſchrie und ſtuͤrzte er ſuden⸗ 
warts, einem tiefen Moore zu. 


** 2 


Der Hund lief und bellte, und kehrte um 
zu Elifaberh, als wolle er dieſer jagen: komm, 
doch mit! doch als fie immer ſtill auf einem Flecke 


— * 


— 166 — 
fisen blieb, folgte er, Sins er ihr umſehend 
endlich ſeinem Herrn. 

Sie hatte es wohl vercucht ain und 
ihren Verfolgern zu entrinnen. Allein Bein und 
Schenkel, auf die des Pferdes Laſt gefallen war, 
ſchien gequetscht, und nur mit großer Muͤhe ſchlepp⸗ 
te fie ſich auf den Sie geſtuͤtzt einige Schritte 
vorwaͤrts. 

Schon horte fie ganz deutlich Stimmen. 
Das Gebell des Hundes zog die Voruͤberreiten⸗ 
den hieher. Einen Augenblick war ſie verſucht, 
Hut und Mantel eines todten Republikaners ans 
zulegen, und mehr das Mitleid als die Rache 
anſprechend, huͤlflos am Wege ſitzen zu bleiben. 
Doch verachtete ſie, ſich hinter ſchmutzigen Schein 
zu verkriechen, und eben ſo widerſtand es ihr, 
mit dem Tode ſpielend, ſich gleich den andern Leis 
N neben dieſen am Boden hinzuſtrecken. 

Jetzt bog der Reutertrupp um den Hügel, 
und des bleichen zuſammengeſunkenen Knabens 
anſt chtig werdend, ſagte der Fuͤhrer deſſelben mit 
fähfier feingebildeter Stimme: „Sogar Kinder 
treibt die wahnſinnige Gewalt des Vorurtheils 


gegen ihre Mütbürger r“ Er näherte feh, Elifan 
beth: Laſſen Sie ſich's gefallen liebes Kind, bat 
er ſie faſt, mein Gefangener zu ſeyn. Sie und 
Alle die ihre Jugend ſo unnatuͤrlich in den Streit 
hetzten, moͤgen das Geſchick preiſen, das Sie in 
keine rohere Hand warf. Eliſabeth ſahe ſcharf 
in das adeliche Geſicht des Redenden, verwandte 
Zuͤge blitzten ihr entgegen. Sie richtete ſich in 
die Hoͤhe und den Saͤbel in den Boden ſtem⸗ 
mend, beide Haͤnde daruͤber gefalten, ſahe ſie 
umher in den Kreis der Reuter, die fie umſtellten; 
Ich kann mich nicht vertheidigen, erwiederte ſie, 
Gott will es nicht! Sie mein Herr ſcheinen mir 
zu hoch geboren, um es vergeſſen zu koͤnnen, daß 
einem franzoͤſiſchen Edelmann der Tod von Sol⸗ 
datenhand niemals furchtbar war, und gewiß 
verleugnen Sie ſich nicht in dem Maaße, um 
Sclavenketten, die ihre Milde mir allein zu bier) 
ten hat, ſolchem Tode vorzuziehen. Der Offfcier, 
ein Mann von weicher, ſtiller/ Mine, reichte ihr 
geruͤhrt die Hand. Mein junger Freund, ſagte 
er, Ihnen ſoll keine Gewalt geſcheh'n, doch 
Weisheit duͤnkt es mir, Sie dem berauſchenden 


= 1675 

Rebel trüber Eingebungen zu entreißen, deshalb 
erſuche ich Sie, mir jetzt zu folgen. Eliſabeth 
umklammerte feſt ihr Schwerdt, und flehend zu 
den Uebrigen gewandt, rief ſie: den Tod! um 
Gotteswillen den Tod! Doch jener winkte, man 
hob ſie, trotz ihrer Bitten, ihres Widerſtrebens 
auf ein Pferd, und nahm ſie in ande 
ſorgſame Hut. 2 

So war es denn geſcheh' n! getrennt und 
dennoch lebend! dem Feinde uͤbergeben, und nicht 
zum Tode, zu langſam peinigender Bekehrungs⸗ 
qual geführt. Allzuhart ſchien dem ungluͤcklichen 
Maͤdchen dieſe Pruͤfung. Die weiche Weiberſeele 
ſchmolz davor in Thraͤnen und empfand die 
Schmach, ſich von ihrem ernſten Begleiter belä: 
chelt zu ſehen. Wie reime ich denn, ſagte dieſer, 
fo viel Tapferkeit mit dem allzuzaͤrtlichen Schmerz? 
Sprießt Ihre Begeiſterung aus ſo ſumpfigen Quell, 
daß ſie dem Mißgeſchick keine feſtere Waffen ent⸗ 
gegenzuſtellen weiß? Eliſabeths Thraͤnen ſtockten. 
Mit feſtem, klarem Blick, ſahe fie zu dem Ofſi⸗ 
cier auf. Ihre feinen Lippen theilten ſi ſich zum 
reden. Sanft und beſonnen ſagte fie: der in die 


— 163 — 

Tiefen des Herzens dringt, laͤßt ſein Licht auch 
durch die Nacht der Thraͤnen leuchten, und win 
empfinden und beſitzen ihn mit Zuverſicht. Beſſer 
waͤre es, entgegnete jener, ſich ſelbſt zu beſitzen. 
Laſſen wir, liebes Kind, fuhr er fort, dies truͤbe 
Verlieren in fremder Kraft, wohin das fuͤhrt? 
empfinden Sie in zarter Jugend. Was iſt denn, 
fragte Eliſabeth mit ſcheuer Bangigkeit, Ihr Ans 
ker in der Noth? — Ei nun! erwiederte der 
Ofſicier, eben jene Characterkraft, welche ſich der 
Nothwendigkeit, als einem ewigen Geſetz freiwils 
lig unterwirft. In dieſer Freiheit gedeihet alle 
wahre Heldengroͤße, was man ſonſt noch wohl 
ſo nennt, das iſt Exſtaſe des Wahnſinns. Herr 
der Welt! ſeufzte Eliſabeth, und Dich erkennen 
ſie nicht mehr als den Lenker aller Geſetze, und 
Deine liebende Barmherzigkeit iſt ihnen kein Hort 
und Schild in der Wuͤſte des Lebens! Der Ofſie 
tier ſtutzte einen Augenblick vor dem Glanz ihres 
gehobenen Auges, doch, ſich halb verlegen, halb 

ürgetlich abwendend, ſagte er: bethoͤrtes Kind: 
Dich wird Dein en rwe arg be⸗ 
Wuͤgen ? : r m W nm AMD Ahe 


— 169 — 
Buͤrger Nocheſoucault, ſagte einer der Reu⸗ 
ter, dem Offieiere nahend, wir ſind bei dem Dorfe 
Coron, willſt Du, daß ich den Gefangenen dort 
auf dem Schloß in Verwahrung laſſe, indeß wir 
vorruͤckend unfrePofition einnehmen? Eliſabeth, 
bleich wie ein Tuch, ſtarrte den Obengenannten 
bebend an. Solch ein Name und ein Rebell! 
rief ſie, das Geſicht verhuͤllend. Ich wußte es, 
aber daß ich aufbehalten war, es mit dieſen Au⸗ 
gen zu ſehen, das iſt zu viel! ſie wandte ſich ſtreng 
und kalt auf die Seite. Mein junges Kind, nahm 
der ehemalige Graf das Wort, wer biſt denn Du 
daß Dich mein Name ſo bewegt? Entſagen Sie 
dem Namen, bat Eliſabeth, er gehoͤrt nicht mehr 
zu Ihnen, was machen Sie auch damit? Er erin⸗ 
nert Sie an laͤngſt Verlornes! Ein Name! lachte 
jener, was iſt er denn mehr als ein Schall, ich 
bin an dieſen einmal gewoͤhnt, darum behalte 
ich ihn. Ihr eigenes Blut, unterbrach ihn Elis 
ſabeth ſtraft Sie Luͤgen, denn Sie erroͤthen, da 
Sie mir das ſagen. Man hat, erwiederte der 
Graf ſich zuſammennehmend, leider nur zu viel 
Gewohnheits⸗Schwaͤchen zu beſiegen. Doch jetzt 


* 


— 170 — 

mein ernſtes Kind, wer biſt Du? mir liegt daran 
Dich näher kennen zu lernen. Was Hälfe es Ih 
nen! erwiederte Eliſabeth, das Echo bleibt auch 
nur ein Schall, für den der nichts dabei zu fuͤh⸗ 
len weiß. Das Echo? rief jener lebhaft, das 
Echo? So hießeſt Du wie ich? und — O laſſen 
Sie — bat Eliſabeth ſanft, wir ſind ja doch auf 
dieſer Welt geſchieden. Nicht ſo ſehr als Du 
denkſt, rief der bewegte Graf. Ich gebe Dich ſo 
nicht auf, jetzt ruft mich eine andere Pflicht, doch 
Du hoͤrſt ſicher noch von mir. 

Er befahl hierauf Eliſabeth der Obhut eines 
alten Reuters, und band ihm auf die Seele den 
zarten Knaben mit ſittiger Ehrfurcht zu begeg⸗ 
nen, d'rauf ſich noch einmal dem unverhofft ger 
fundenen Verwandten naͤhernd, ſagte er: wir 
hoͤren darum nicht auf menſchlich zu fuͤhlen, weil 
wir uns beſtreben frei in und auſſer uns ſelbſt 
zu ſeyn. Gebietet Dir Deine Lehre die zu haſſen, 
die nicht Deiner Meinung ſind, fo ſieh' hierin 
allein ſchon das Vorrecht gereinigter Vernunft, 
daß wir dem Wahne feind, doch den Bethoͤrten 
bedauernd lieben. Eliſabeth ſahe unter ſtaͤrkern 


— 171 — 
Herzſchlaͤgen in das ſanfte blaue Auge des Gra⸗ 
fen. wie in einen Spiegel, eine liebe getaͤuſchte 
Seele leuchtete ihr weich und zaͤrtlich entgegen. 
Weinend hob ſie den Blick zum Himmel: Ich 
will nicht richten, ſagte ſie, doch zweierlei giebt 
es nur, wer nicht mit dem Herrn iſt, iſt wis 
der ihn! u | 
Sie wandte ihr Pferd, und ritt unter den 
heftigſten Stuͤrmen, die noch je ihr Inn' res bez 
wegten, in die herbe Gefangenſchaft, waͤhrend 
ferner Kanonendonner ihr neue Schlacht, und 
vielleicht noch haͤrteres Geſchick verkuͤndeten. 
Von Beſchaͤmung und Rache getrieben, 
wuchs das Heer der Vendseer von Minute zu 
Minute. Alles draͤngte ſich jetzt den Verheißun⸗ 
gen des tapfern Piron zu folgen. Unwillig ſahe 
der Prinz umher. Das Gluͤck, ſagte er, findet 
ſtets den rechten Augenblick. Einige Stunden 
ſpaͤter und einem Andern gelingt, was meinem 
gluͤhenden Eifer miß lang! a 5 
Indeß ſtürmten die Truppen Wüchenden } 
gleich vorwaͤrts. Keinen Widerſtand achtend 
griffen fie die Linie des Feindes in ihrem Mittel? 
* 


— 


— in — 


punete an, dur chbrachen und ſprengten de 
hen, betaͤubten da wo fie nicht unmittelbar rar 
fen, verwirrten jede entgegenwirkende Maaßre⸗ 
gel, und durchſchnitten nach anderthalbſtuͤndigem 
Gefecht, jene furchtbare Linie, welche ſo weit in 
das Innere der Provinz hinaus griff. Jetzt def 
lirte die feindliche Artillerie durch die enge Straße 
don Coron. Mit Blitzesſchnelle warf Piron feine 
Hauptſtätke nach dem Dorfe zu. Es ward von 
zwei Sciten angegriffen. Krachend ſchmetterte 
den Unerſchrockenen eine Kugelſaat entgegen. Sie 
ſtutzten, doch wankte keiner. Nichts hoffend, 
nichts wollend, in eig' ner ſinſterer Seele verfuns 
ken, warf ſich der Prinz unbeachtet in die dich⸗ 
teſten Wirbel, als es jetzt, wie von weccher 
Kinderſtimme rufend: Prinz Talmont! wo iſt 
der Prinz? deutlich durch das wilde Geheul Hin 
durch klang. Ein engelſchoͤner Knabe von kaum 
gehn Jahren, flog athemlos durch die Reihen, 
Rette! rette! rtef das Kind da drinne brennt es, 
alles iſt geftͤchtet, das Kettchen ſoll mehr ſagen. 
Dem Peinzen blinkte am goldenen Faden die 
Hälfte ſeines Ringes entgegen. Heſtig riß er den 


— 173 — 
Knaben zu ſich auf das Pferd. Engel leiten 
mich! rief er, und das Kind umſchlingend, die 
blinkende Klinge vorgehalten, ſprengte er auf 
dem ſchwarzen Normannen mit wild fliegendem 
Mantel, durch Dampf und Pulverwolken über 
Steg und Hecken hinein in das brennende Dorf, 
Alles ihm nach, wie von unſichtbarer Macht get 
trieben, kein Widerſtand laͤnger; Coron war in 
ihren Haͤnden, Geis und Wees 
und Waffen, alles erobert! U Mee 
usd ſchmetternd brachen die There des Schloß 
ſes zuſammen, der Prinz flog die Stiegen hin⸗ 
auf, das Kind wie ein Himmels bote immer vor⸗ 
aus, Riegel und Thuͤren, ſprangen auf, aus eis 
nem Thurmeszimmer ſtuͤrzte Eliſabeth ohnmaͤch⸗ 
tig vor Angſt und Freude in die Arme des Prin; 
zen. Er preßte ſie heftig an die Bruſt, zitternd 
hielt er ſie ſo, faſt ungewiß, ob es denn auch 
wahr, ob ſie es wirklich ſey. Als ſie nun aber 
die Himmelsaugen aufhob, und mit einem, Ach! 

| d'rinn eine Welt voll Seligkeit lag, beide Arme 
um ſeinen Nacken ſchlang, und wie gebrochen 
und vernichtet vom ungehofften ungetraumten 


— m — 

Gluck aufs neue ſprachlos an ihn hinſank, da f 
er vor ihr nieder, und druͤckte die heiß weinen 
den Augen beſchaͤmt in beide aufgehobene Hände, 
Um Gotteswillen! weine, o! weine nicht, ſtam⸗ 
melte ſie, ihm Stirn und Augen küſſend. Mein 
Freund, mein einziger Freund, alles kann ich ers 
tragen, doch das ſpaltet mir das Herz. eln 

Er raffte ſich auf, und umherſchauend ſagte 
er, hieher jagte Dich alſo mein toller Borwit. 
Eliſabeth, der Himmel hat eine ernſte Warnung 
an mich er geh'n laſſen, die Stunden, die ich heut 
verlebte, ſind wohl mit Recht Hollengualen z 
nennen. Sie hielt ſeine Hand, und drückte fie 
ſchmeichelnd zwiſchen der ihrigen. Wie kamſt 
Du denn hierher? fragte er kaſt zoͤgernd, die 
Leiden der geliebten Freundin ſchmerzlich voraus 
ahndend, und wie erſchtien Dir noch zuletzt das 
Engelskind? Eliſabeth zog ihn fanft zu ſich auf 
eine kleine Bank, und erzählte fo ſchonend wie 
fie konnte, von allem was ſie betroffen Hatte, und 
wie ſie denn in das Schloß gebracht ward, und 
man erſt gütig mit ihr redete, drauf aber beim 
Herannahen des Gefechtes Thuͤren und Thore 


‚Inu 


— 1 — 


verſchloß, und verrammte und alles den Hof Sin 
unter ſtürzte, und ſie in der entſetzlichſten Todes⸗ 
angſt, aus der Thurmesluke uͤber den Wald hin⸗ 
aus die Ihrigen herannahen und des Prinzen 
Federbuſch in dem Gewuͤhle wogen ſah. Unten 
im Dorfe, fuhr fie fort, praſſelten Flammenwirbel 
auf, und ich mußte jeden Augenblick fuͤrchten, 
ſie werden das Schloß erreichen. Da wurde ich 
den Knaben gewahr, der wie eine Gemſe in den 
ſchwankenden Zweigen der Birken hier am Wall⸗ 
rande hin und her kletterte, und ſich d'rinn wiegend 
nach den bunten Reutern ſahe. Der trauet ſich auch 
wohl die ſteile Grabenwand hinunter, dachte ich, 
und unbeachtet ſchluͤpft er jenſeit hinuͤber. Ich 
rief, er horchte auf, wie ein weißes Täubchen 
lehnte er den Kopf an die Fenſterſtaͤbe. Ich ſchaͤrf⸗ 
te ihm alles ein, druͤckte ihm das Kettchen in 
die Hand, er ſtutzte, fuͤrchtete ſich, ich fagte, wir 
müffen hier alle verbrennen, wenn Du nicht 
Huͤlfe ſchafſt, da ſchwang er ſich von Zweig zu 
Zweig, und ſprang und rannte und ließ ſich jen⸗ 
ſeit von Strauch und rankendem Gewaͤchs gehal⸗ 
ten langſam nieder, bald war er mir aus dem 


3 ‚ — 176 — 


Geſicht. Da flehete ich heiß zu Gott, er möge 
ihn ſchuͤtzen und Dich hierher fuͤhren. Sieh'ſt 


| 


N 


Du, Lieber, ſchloß ſie und nun iſt en m. 


und alles it wieder gut. 1e 5; > 
Das iſt's, Eliſabeth! rief er mit gtißendem 
Flammenblick, und Du biſt wieder mein! Er 
nahm fie in ſeine Arme und trug fie, weil 
ſchmerzende Fuß ſie am Gehen hinderte, * 
Schutt und Dampf das Dorf entlaͤngs zu den 
ſiegenden Soldaten, die dem jungen Ritter Georg 
mit ſchwenkenden Muͤtzen und enn en 
entgegen jubelten. 14 W 
Sie ſahen ſich hier nach dem abe dale 
ſie ſeither verlaſſen hatte, doch er war nirgend zu 
finden, und in dem Taumel und Waffengewühl 
wußte ſich niemand im Herre recht deutlich ſeiner 
zu beſinnen. Alle meinten ihn geſehen zu haben, 
doch wußte man nicht wann ? und wo? zuletzt. 
Erſt als der Prinz und Eliſabeth auf dem Wege 


nach Mortagne dem Schloſſe vorüͤberritten, nickte | 


ihnen des Kindes blondes Köpfchen. zwichen (hai 
kelnden Birkenzweigen, 8 hen 


Re 
3 n N 


i Neuntes Kapitel. a 


An langer Tafel im Rathhauſe zu Chollet ſaßen 
die unbezwungenen Vendoefuͤhrer am Vorabende 
der Schlacht von Torfou beiſammen. Wie der 
Phoͤnir ſeine junge Schwingen neugeboren aus 
Todesgluthen hebt, flammte unſterblicher Muth 
auch hier erfriſcht und verjuͤngt auf jeder Stirn. 
Hell ſprudelte der vaterlaͤndiſche Wein in ihren 
Glaͤſern. Sie ſchuͤttelten einander die Hände, 
und das gleiche Band der Gemeinſchaft, alte 
Treue, und feſter Glaube riſſen jedem den hei 
ligen Schwur von den ppc Siegen oder 
ſterben! — 

Bank. laͤchelnd, bie eufeligen Blick ee 
ſendend ſagte der gefuͤhlvolle Lescure: wer empfin⸗ 
det nicht, daß dieſem Bunde eine theure Hand 
fehlt! Mein tapfrer Heinrich wird leider zu Dür⸗ 

Ir Tyeu — 


— 178 — 5 


belfiere von feinen Winden zurück gehalten. Herr 


von Charette ſahe etwas finſter drein. Sein fol: 
zer Blick lag hinter duͤſtern Wolken. Ihn hatte 
General Kleber mit den Mainzer Horden, und 
Beyſſer mit der Beſatzung von Nantes, überall 


ſengend und verheerend, nicht Greiſe und Kinder 


ſchonend über Légé nich Montaigu und Cliſſon 


nach Tuſſonge gedraͤngt. Feuerſtroͤme bedeckten 


den Boden, den er ſo lange fechtend vertheidig⸗ 
te, und unaufhaltſam jagten ihm die Flammen⸗ 
wirbel ein vertriebenes Volk mit Weib und Kind 


und aller beweglichen Habe von einem Bezirk 


zum andern nach. Das ganze niedere Poitou, 
unter den Mordfackeln erlegen, ſchrie zu dem 
Herzen ſeiner Vertheidiger. Es koſtete Herrn 
von Charette keine Mühe dieſe für ſich zu gewin⸗ 
nen, doch duͤnkte ihm ſein Loos allzuherbe. Er 


PPP ²˙ . ˙¹-ůũ̃ mduö . W 


| 


konnte ſich nicht zu der ruhigen Heiterkeit ehe” 


ben, welche bewährte Pflicht und Ehre über. das 
Leben hinaus begleitet. Lesecur's ſtilles Auge ſahe 
die Palme der Vergeltung in ewigen Hoͤhen ſpr ie⸗ 
zen, das ſeine foderte ſtreng ſchon hier auf Erden 
den Lohn ſchwerer Arbeit. 1 


*. 


— 179 — 

Es ward viel und lebhaft über das morgen— 
de Unternehmen auf Torfou geredet. Alle Corps 
waren zuſammengezogen. Ein Heer von vier— 
zigtauſend Mann geſammelt und Rache duͤrſtend 
drängte ſich Alt und Jung her zu, die Wölfe aus 
den harmloſen Fluren zu treiben. Lescure und 
Charette ſaßen beieinander, ſie ſprachen mehr— 
mals leiſe. Es ſchien, als gehe ein Strahl from⸗ 
mer Zuverſicht von jenes Lippen in Charrettes 
Seele über. Herr von Bonchamp, den einen 
Arm noch im Bande, wußte in raſchen und kuͤh—⸗ 

nen Bewegungen mit dem andern ſeine lebendi— 
gen Worte zu begleiten, und den Blicken der 
Anweſenden bei moͤglichem Mißlingen eine Frei— 
ſtatt über die Loire zu eröffnen. Mehr hinge 
worfen als ausgeſprochen ließ er tiefbegruͤndete 
Verbindungen in der Bretagne ahnden, und wie, 
wie mit blitzenden Fingerſpitzen, auf die eicht⸗ 
ſtellen einer ſo weit ausgreifenden Verbindung. 

Den Meiſten blieb dieſe Ausſicht gleichwohl 
undeutlich und fern, ſie mochten auch nur ungern 
das Auge dahin richten; Muth und Glaube zo— 
gen einen leuchtenden Vorhang daruͤber. Der 

M 2 f 


— 8 — 


Prinz indeß nahm die fluͤchtigen Aeußerungen 
ſehr ernſt. Der ſtolze Aufſchwung ſeiner Gedan⸗ 
ken hatte ſich nur widerwillig der Nothwendig⸗ 
keit fuͤgend, an den kleinen Erdfleck gefeſſelt ge⸗ 
ſehen. Er dachte vom Anfang weiter, und oft 
ſchon hatte der Herzog in fruͤhern Tagen die 
dreiſten Wuͤnſche bekaͤmpft, und vergebens auf 
natuͤrlich Beſtehendes zu lenken geſucht. Jetzt 
reitzten die Widerſpruͤche des Geſchickes den Prin⸗ 
zen noch heftiger. Eliſabeth ſahe in feinen Mi⸗ 
nen, wie ſchnell die Funken gefaßt, und ihn durch 
und durch entzuͤndet hatten. Bald genug ließ er 
auch ſeine Geſinnung laut werden. Er redete 
mit Wärme über den Character der Bretagner. 
Er glaubte ihn ganz zu kennen, er war in der 
Provinz anſaͤſſig, fein Schloß zu Laval bot ſelbſt 
einen feſten Punct dar. Die Heftigkeit feiner 
Worte, veranlaßte Herrn von Lescure ihm mit 
ernſter Freundlichkeit zu erwiedern, daß Er und 
Alle hoffen wollten, es komme nicht zu dieſem 
Aeußerſten, welches ploͤtzlich die einfache Natur des 
Krieges verändern und fie auf ungekannte Bah⸗ 
nen ſtoßen werde. Vergeſſen wir nicht, ſetzte er 


N 


— 181 — 
hinzu, alles was wir bisher unternahmen, es 
waren Maaßregeln der Nothwehr. In der Noth⸗ 
wendigkeit liegt unſere Kraft. Verletzen wir die 
ſchlichte Ordnung der Dinge nicht. Wir nennen 
uns Pfeiler des koͤniglichen Thrones. 
Graben wir dieſe nicht aus ihrem heimathlichen 
Boden. Ihre Baſis beruhet auf der Unzer 
ee des eigenen Intereſſe 
von dem jener ſtreitbaren Arme, deren 
natuͤrliche Führer wir find. Mißbrauchen wir 
das eingeborne, innig verwachſene Ver⸗ 
trauen, zerren wir deſſen Bande uͤber ihre na— 
tuͤrliche Haltbarkeit hinaus, fo zerreißen wir fie 
und uns. Der Prinz wollte etwas erwiedern, 
als ein Mann in Bauerntracht ihm nahete, einen 
Brief von wohlbekannter Hand uͤberbringend. 
Ungewiß, den eigenen Augen nicht trauend, be- 
trachtete der Prinz die Aufſchrift, dann die Sphinx 
auf dem Siegel. Ungeduldig riß er jetzt das Cou⸗ 
vert von einander. Ha! rief er bei den erſten 
Zeilen, was giebt es hier! Er ſprang auf, und 
Eliſabeth winkend, traten Beide feitwärts zu ei— 
nem Lichte. Dies Schreiben, fluͤſterte er, iſt von 


— 182 — 

der Marquiſe, und wirſt Du es glauben aus dem 
feindlichen Hauptquartier. Dieſes ihre Worte. 
Eliſabeth las, an ihn gelehnt, die bezeichnenden 
Richtungen ſeines Fingers begleitend, folgendes: 

„Richten Sie nicht! Sehen Sie vorwaͤrts. 
Was hinter Ihnen iſt, liegt in Trümmern, Den⸗ 
ken wir alle nur an Rettung. Anders iſt eine 
offene, anders eine geheime F Die Blitze 
Ihrer Waffen müſſen die Minen anzünden, die 
wir im Verborgenen graben. Geben Sie jetzt 
den Ausſchlag. Vierzehntauſend Franzoſen wols 
len ſich mit den Vendétern verbinden, ihr Vater 
land zu retten. Es ſind die kuͤhnen Mainzer, die 
Ihnen gegenuͤber ſteh'n. Schwer wiegen fie in 
der Wagſchaale, welche die Kräfte gegeneinander 
mißt. Erwaͤgen Sie nicht allzulange. Das Le— 
ben der Königin ſteht auf dem Spiel. Wohlant 
Ihr franzoͤſiſchen Ritter, jetzt gilt es wahr zu 
machen, was Ihr verhießt! Unterhandeln Sie 
mit dem Ueberbringer dieſes Schreibens. For⸗ 
ſchen Sie mir nicht nach, Sie hoͤren nur dann 


von mir, wenn wir uns am gleichen Ziele be⸗ 


gegnen.“ K 
Suſanna Robillard. 


rn Me 


Meine arme Tante, ſeufzte Eliſabeth, nun 
iſt fie ganz verloren! Ich ahnde wohl, was fie 
ſo ſehr verblendet! Der Prinz wandte ſich raſch 
zu dem Abgeſandten, der ſeitwaͤrts ſtehend ſeine 
Luchsaugen ſpuͤrend in der Verſammlung umher; 
ſchickte. Sind Sie Officier 2 fragte der Prinz. 
Ja und nein lachte jener, unangenehm zweidenz 
tig, je nachdem Ihre Entſcheidung fällt. So 
lange das aus geworfene Senkblei keinen Grund 
ſindet, ſteuert der Verſtand nach anderer Rich, 
tung. Zweckloſen Unternehmungen opfere i ö 
nicht Zeit und Kraͤfte. Geh'n dieſe Herrn ver⸗ 
eint mit den Mainzer Truppen nach Paris, ſo 
werde ich meinen Platz finden. Fuͤr jetzt bin ich 
nur Agent der Girondiſten, mein Name iſt Cor: 
nelius. Der Prinz faßte ihn mit ſcharfem nad): 
denklichen Blick. Er ſchwieg einige Secunden, 
drauf zu den Uebrigen gekehrt, ſagte er: hier 
werden uns Antraͤge ſeltſamer Art gemacht. Alle 
horchten neugierig auf. Reden Sie, fuhr er zu 
Cornelius gewendet fort, Ihre Gegenwart übers 
hebt mich jeder laͤſtigen Vermittelung. Der 
ſchlaue Republikaner ſtutzte, er hatte ſich in dem 


— 184 — 
Prinzen verrechnet und von Hauſe aus einen 
Stuͤtpunkt eingebuͤßt. Mit beweglicher Schlan⸗ 
genzunge entwickelte er gleichwohl Bedingungen 
und Motive ſo nothwendig auseinander, ſteigerte 
die Erſten als unerlaßliche Baſis des ganzen Un⸗ 
ternehmens ſo unvermerkt, und hatte durch Folge 
und Zusammenhang gebunden, die impertinenteſte 
Unverſchaͤmtheit ſo ſehr zu einem blendend ge⸗ 
ſcheueten Ganzen vor den zu aufgebau't, 
daß dieſe des ſicherſten Erfolges gewiß, nichts als 
u. vermißten, jene. ungeheuren Dedinguns 
gen zu erfüllen, welche unmittelbar auf die Zah⸗ 
lung unerſchwinglicher Summen beruhte. fi 
Ernſtlich uͤberlegend ließ man Cornelius abs - 
treten, und berathſchlagte einen Augenblick, ob 
nicht Aufſchub zu gewinnen und die Verpfaͤndung 
Ihrer ſaͤmmilichen Habe genuͤgend ſey? Alles, ſagte 
Charette, müſſen wir verſuchen, um dieſe Ver⸗ 
bindung möglich zu machen, die uns von der ges: 
draͤngteſten Seite Luft ſchafft, und die Freiheit der 
Meereskuͤſte ſichernd, eine Gemeinſchaft mit dem 
Auslande offen erhaͤlt. Nichts, im Gegentheil, rief 
der Prinz heftig dazwiſchen, duͤrfen wir opfern 


8 — 
wollen, um niedertrachtige Söldner zu gewinnen, 
denen Freiheit und Ehre kaͤuflich duͤnkt. und 
was, ſetzte Lescure aufſtehend und feine ſanfte 
Stimme hebend hinzu, was haben wir von ſol⸗ 
chen zu erwarten, die einmal ihre Kapitulation 
brachen, welche ihnen verbietet, gegen Allütrte zu 
fechten, oder die uns für Rebellen, abgeriſſen von 5 
der geheiligten Alliance, erklaͤren! Im blutigen 
Taumel ſchwanken ſie hier oder dorthin, und ſind 
Morgen unſere Feinde, wenn ſie Heute noch r ig 
uns in denfelben Reihen fochten. Jede Annaͤhe⸗ 
rung dieſer Ehrloſen, fiel der Prinz ein, it eine 
Befleckung, und ich halte dafuͤr, ſtatt ihre vers 
peſtende Gemeinſchaft zu ſuchen, erklaͤren wir ſie 
in die Klaſſe wortbruͤchiger Ueberlaͤufer, welche 
der menſchlich ehrenden Schonung des Kriegers 
unwuͤrdig ohne Gnade dem Tode verfallen ſind. 
Ich wenigſtens, fuhr er fort, ſchwoͤre, daß ich je— 8 
nes, den Lippen unwillkuͤhrlich entſtroͤmenden: 
Ergebt Euch! keinem Mainzer zurufe, und Auge 
und Herz zuruͤckdruͤckend jedem, der mir nahet, ! 
das Schwerdt in die Bruſt ſtoße. Alle ſtimmten 
hier dem Prinzen bei, auch Charette lenkte ſich 


7 


— 186 — 

beſinnend ein. Ein heiliges Wort verband ſie 
von da den angeknuͤpften Unterhandlungen keine 
Folge zu goͤnnen. Cornelius ward mit ſchlichtem 
Beſcheid, ohne Wortverbraͤmung, ganz kalt, und 
von des Prinzen Seite faſt ſtolz verachtend abge— 
wieſen, ob er dieſen gleich den Marſchallſtab und 
etwas einer Krone ziemlich Aehnliches aus der 

Ferne ſehen ließ. * | 
Spione der Hölle! rief der Prinz, als jener 
inaus war. Es iſt, als ſpraͤngen ſie aus dem 
chloſſenen Kaͤfig der Gedanken herauf! ſie 
ruͤtteln und ſchuͤtteln an allen Riegeln, und mas 
chen die Teufel in uns unruhig. Zum Gluͤck iſt 
ihnen das Element adlicher Ehre fremd, * 

reichen ſie nicht. 5 

Es wird Zeit, ſagte ein alter Geiſlicher des 
Orts, welcher anweſend war, Mitter nacht it vor 
über, die Meſſe wird eingelaͤutet. Eliſabeth griff 
nach einer Fackel, alle Uebrige erhoben ſich von 
ihren Sitzen. Ernſt und geſammelt ging der 
Zug, zu zwei und zwei, die Stiegen des Rath⸗ 
hauſes hinunter nach dem Dom. Eliſabeth vors 
ausleuchtend, der Geiſtliche Gebetbuch und Ro⸗ 


— 187 — 

ſenkranz in den gefaltenen Haͤnden, an der Spitze 
der jungen Helden, welche noch einmal auf den 
Stufen des Altars in heiliger Gluth wiederhols 
ten: Siegen oder ſterben! — ' 

Die Meſſe war gelefen. Alle Officiere lagen 
betend auf den Knieen. Eliſabeth, die Haͤnde um 
die leuchtende Fackel gehalten, kniete in der Mitte, 
ihr gehobenes Auge rief den Gott der Gnade auf 
ſie Alle herab. Der fromme Alte legte ſeine Hand 
auf ihre Stirn: Ich ſegne Dich, Du tapfere 5 
Kind, ſprach er, denn ich ſage Dir, Du biſt vor 
uns Allen auserſehen, am haͤrteſten zu kaͤmpfen. 
Sie kuͤßte weinend ſeine Hand. Ihr erſter Blick 
ſuchte den Prinzen. Ein Wandpfeiler verdeckte 
ihn ihr. Waͤre es das! ſeufzte ſie, ſoll ich Dich 
verlieren? — Unbeachtet öffnete fie die zuſam⸗ 
mengefalteten Hände, die Fackel fiel auf den Bo— 
den und erloſch. Jeſus! ſchrie ſie aufſpringend. 
Der wunderliche Zufall hatte ſie ungewoͤhnlich 
erſchreckt. Sie ſtand ganz betaͤubt auf der aus⸗ 
gegangenen Fackel geſtuͤtzt. Indeß waren die 
Thuͤren geoͤffnet, alles ſtroͤmte dem Portale zu. 
Biſt Du der Schlaf? oder der Tod? ſagte der 


— 188 — 
Prinz an ihr vorbeigehend. Sie ſahe ihm ſtarr 
nach. Der Sacriſtan trat mit einer Leuchte zu 


ihr heran. Wir brauchen wohl kein Licht mehr, 


ſagte er, denn da draußen daͤmmert ſchon der 
neue Tag. Kommen Sie, mein junger Herr, 
ſetzte er hinzu, ich ſchließe nun die Pforten. 

In den Straßen ſchmetterten Trompeten / 
wieherten Pferde, eine muntere zuverſichtliche 
Jugendeſpreagte luſtig vorüber. Forſche nicht! 
rief eine Eumme in Eliſabeth, handle! Sie 
war alſobald zu Pferde, neben dem Prinzen, 
hinein in das lebendigſte Leben. 

Und geſchlagen war General Kleber, Beyſ— 
ſer bei Montaigu überfallen, feine Armee zer 
ſtreut, bis Nantes ruhelos gejagt. Drauf die 


Kraͤfte theilend, ſchlugen Charette und Lescure 


die Kuͤſten Armee bei St. Fulgent, waͤhrend 


Bonchamp, Elbée und der Prinz den feindlichen N 


Convol bei Cliſſon angriffen und zumeiſt in ihre 
Hände bekamen. | ae n e 
Einen Augenblick durften die unbeſiegten 


Waffen ruhen. Mit immer neu belebter Kraft 
hatten die Heldenſchaaren ſechs furchtbare Ars 


3 


— 189 — 


meckorvs zurüͤckgeſchlagen. Siegesfroh eilten fie 
zu ihrem Heerde zuruͤck, dort den treuen Gott 
ſuchend und preiſend, der fie nicht verlaſſen 
hatte. N 3 Wed j m 
Der Herbſt war ſchon weit vorgeruͤckt. Nur 
einzelne ſchoͤne Tage täuſchten noch über das 
ſcheidende Leben. Die Sonne warf zuweilen jpie 
lende Lichter auf die Erde, und zerriß die Nebel, 
die wallend uber goldgelbe Kaſtanien wal d die 
Purpurblätter der rothen Eiche hinzogen. Dies 
Laͤcheln der Jahr'szeit unter Abſchiedsthranen 
ruͤhrt wehmüthig an das Menſchenherz. Still 
umfaßt es die letzten lieben Stunden, die gleich 
dem roͤthlichen Abendſtrahl die heißen unerfuͤll⸗ 
ten Wuͤnſche ſehnſuͤchtig in die Nacht der Träume 
biaaberziehn. | 
| Der Prinz, durch Unpsitichteit in PR 
| gehalten, gab ſich in der weichen Krankheitsſtim⸗ 
mung gern dem linden Herbſtwehen hin. Einst 
aß er mit Eliſabeth vor der Stadt auf einem 
kleinen Tannenhuͤgel, vor ſich einen See, deſſen 
f lenſeitige waldumkraͤnzte Ufer in wunderbarer 
 Barbenprache glüheten. Er lehnte den Kopf an 


— 190 — 
den ſchlanken Stamm der Tannen, und ſchien 
auf ihr flüfterndes Rauſchen zu horchen. Eliſa⸗ 
beth hielt ſeine Hand in der ihrigen, ſie druͤckte 
leiſe die laͤnglich ſchoͤn geformten Finger, beider 
Auge lag ſchweigend auf der halberſtorbenen Na— 
tur. Eliſabeth, ſagte der Prinz mit jenemtiefen 
Ton der Stimme, der, wenn er leiſe ſprach, et— 
was wunderbar feierliches hatte, ſiehſt Du, wie 
alles vergeht? fie ſchauerte zuſammen. Ich wurde 
ſagen, fuhr er fort, es ſey viel Taͤuſchung im Le 
ben, offenbarte uns die Natur nicht ſelbſt einen 
tiefſinnigen Zuſammenhang in den Erſcheinungen. 
Deshalb haben wir auch nicht umſonſt gefochten, 
wenn gleich hier alles mißlingt. Gewiß, erwie⸗ 
derte Eliſabeth in frommer Begeiſterung, die hier 
fen, werden dort aͤrndten. Auch hier, Liebe, 
unterbrach er ſie lebhaft, geht kein ausgeſtreutes 
Saamenkorn verloren, ein jedes traͤgt feine eigene 
Frucht, das troͤſte uns, wenn in kurzem kalte 
Nacht unſer reiches Leben verdeckt, und nichts 
davon bleibt, als die Erinnerung. Wie kommen 
Dir, fragte Eliſabeth, ſanft zu ihm hingebeugt, 
ſo dunkle Vorſtellungen in einem Augenblick, wo 


4 


— 191 — 


der ſchoͤnſte Erfolg unſer Unternehmen kroͤnte? 
Kind, entgegnete er ernſt, jede That hat ihren 
Engel und ihren Teufel hier auf Erden, und laͤge 
der letztere auch mit zehntauſend Stricken gebun⸗ 
den, er ſieht ſich ein unbewachtes Fleckchen aus, 
und blaͤſt ſein Gift hinein. Unſer Bund iſt nicht 
der alte. Schon giebt es Abtruͤnnige! Laß mich's 
nicht weiter beruͤhren. Doch, wenn die Fuͤhrer 
ſich um Beute entzweien, wenn Charette, miß: 
trauiſch und finſter, den reinen gescure @ Stich 
ö laſſen, und das Ganze unberuͤckſichtigend, einer 
Laune folgen darf, ſo frage ich, ob wir noch die 
alte Zuverſicht Einer auf den Andern hegen duͤr— 
fen? Charette hat ſich in ſeine alten Cantonne⸗ 
ments zuruͤckgezogen, und operirt dort fuͤr ſich, 
während ihn Lescure vergebens bei Chataigneroi 
erwartete. Und alles das um einige Pantalons 
und Weſten weniger, die ſeinen Truppen zufielen. 
Ueberall, wir koͤnnen es uns nicht verbergen, fuhr 
er nachſinnend fort, der Raum, auf dem wir eins 
ander blutig hin und herjagen, iſt allzueng, die 
Mittel erſchoͤpfen ſich, keine Kraft reicht am Ende 
aus, ſchon wurde eine jede unnatuͤrlich ange⸗ 


ſpannt, diednachwendinten eo drängt uns über 
die Loire hinuͤber. Das ſcheuen die meiſten, doch 
ich geſtehe, mich reißt es unwiderſtehlich in die 
Ferne. Das Herz wird, mir bei dem Gedanken 
großer, mich duͤnkt, die Schwingen des Muthes 
muͤßten im Weiter fliegen wachſen! Und wie ihn 
hier Eliſabeth in die blitzenden Augen ſahe, und 
die dunkeln Tannen über ihm ſo ernſt erhaben 

kam es ihr vor, als werde er ſich nun 
gleich in die Lͤfte heben, und wie ein Adler mit 
gewaltigem Fluͤgelſchlag dorthin uͤber den See 
in die goldnen Wipfel der VBaͤume fliegen. Sie 
umſchlang ihn mit beiden Armen, und weinte, 
ſich eee 


1814 19 
Ei ‚fig ihr die „Weichen &cteen don e *. 
Sia, und die Threnen v 0 den Ant gen 5 5 
17 1 u 1 
pern, eitend, fagte er, mit e chige A | 


9 


Du liebes Herz, mas. ängflet Dich denn 


8207 


wallg, ung trennt ja doch ni nichts 10% b m 
In dieſem Augenblick ward die Sturmglocke 
in Chollet geldutet, der Generalmarſch wirbelte 
dazwischen. Zu den Waffen 1 zu den Waffen! 


* 
2213 4 


1 * 


— 193 — 


ſchallte es durch die Straßen. Die Diviſton 

Bonchamp zog in Eilmaͤrſchen hindurch. Der 
Prinz ſprang beim erſten Allarmſchlag vom Bo— 
den, ſchuͤttelte raſch die Krankheit von den jus 
gendlichen Gliedern, und flog dem naͤchſten vor⸗ 
uͤberſprengenden Reuter entgegen. Es war Herr 
von Bonchamp ſelbſt, auf getiegertem Schimmel 
im grün und gold'nen Collet, einen weißen Feder— 
buſch auf dem Hut. Er trug noch immer den 
einen Arm im Bande, mit dem andern ſenkte er die 
gezogene Klinge gruͤſſend gegen den Prinzen. Der 
Feind nahet, rief er ſchon von weitem, bei Trem⸗ 
blai ſtießen die Unſern auf ihn, fie find aneinan; 
der, ſagt mir eben ein Verſprengter, ich eile, Les⸗ 
euren zu unterſtuͤtzen. Er jagte, noch einmal gruͤ— 
ßend, vorwaͤrts. Des Prinzen Leute kamen hier 
eben mit ſeinem Pferde. Er ſchwang ſich raſch 
hinauf, vorüber an See und Tannenhägel Schloß 
Tremblai zueilend. Zuruck! Zurück! rief jetzt 
ein Schwarm Fluͤchtender, wir ſind geſchlagen, 
Lescure iſt todt, hinein nach Chollet, ehe der Feind 
auch das einnimmt. Des Prinzen Zorn flammte 
heftig auf; Memmen, ſchrie er, die Fliehenden 

Ir Theil. N 


mit der gezuͤckten Klinge drohend. Zurück Ahr, 
und ſteht und rettet Euren Chef. Doch niemand 
hoͤrte ihn, unaufhaltſam draͤngte Alles nach der 
Stadt. Auch Herr von Bonchamp kehrte wieder. 
Es iſt dort nichts zu machen, ſagte er, alles iſt 
verloren, Lescure's Fall macht dieſen Tag zu dem 
ungluͤcklichſten, die wir erlebt haben. Er iſt? — 
fragte der Prinz, — todt! ſchallte es dumpf zu 
ruck. Todt! wiederholte der Prinz, und ritt bes | 
taͤubt und verſtoͤrt neben Eliſabeth durch daſſelbe 
Thor, das ſie vor wenig Stunden ſo heiter den 
ſchuͤnen Fluren zuwandern ſahe. 


rn 


Zehntes Kapitel.“ 


Getaͤuſcht von allem, was ſie ſahe, balubt, ſaß { 
indeß die ungluͤckliche Frau von Robillard im fuͤnf⸗ 
ten Stock eines Hintergebaͤudes zu Paris, ver⸗ 
wuͤnſchte ſich und das Geſchick und die Welt, vers 
zweifelte an Allem, und hoffte dennoch Alles. . 
Jedes Gertuſch, jede Bewegung in den Gaſſen. 


— 195 — 

jedes fremde Geſicht, das ohngefaͤhr aufblickend 
vorüberging, ſollte etwas Neues, etwas Uner⸗ 
wartetes bringen. Und nichts von dem, was ſie 
gedacht, geglaubt, was ſie ſo gewiß ſchon vor ſich 
ſahe, ſollte geſcheh'n. Wie Himmelweit war dies 
Paris, die Menſchen hier, ihre Beziehungen und 
Verhaͤltniſſe von dem verſchieden, was ſie fruͤher 
traͤumte. Mit dem mißglückten Plan auf die 
Vendée ⸗ Generale war zugleich alle Gemeinſchaft 
mit Bekannten und Verwandten abgebrochen. 
Einſam, auf offener See, ſchwankte nun der dürfs 
tige Lebensnachen richtungslos hin und her, und 
naͤher, immer drohender, trieben die fuͤrchterli⸗ 
chen Stürme der Zeit Welle an Welle thürmend _ 
heran. Sie ſchauderte oft zitternd zuruͤck, doch 
immer blies der ruheloſe Cornelius die Hoffnungs⸗ 
flamme wieder in ihr auf. Die ſcharfen, kennt⸗ 
lichen Zuͤge durch Tracht, Gebehrden und Minen 
verftelend, war es dieſem gelungen, als Hand⸗ 
langer in einem aͤrmlichen Gewüͤr zkeller unterzu⸗ 
kommen, und ganz unbeachtet, der großen Poͤbel⸗ A 
maſſe beigeſellt, Stimmung, Wille und Erwar⸗ 
tung des Volks auszuforſchen. Unermuͤdlich uͤber⸗ 

N 2 


— 196 — 

redend hatte er die Marquiſe vermocht, ihr 
Talent, Köpfe und Geſtalten aus freier Hand 
mit der Scheere treffend auszuſchneiden, auf 
Plaͤtzen, in öffentlichen Verſammlungen, in Richt⸗ / 
fälen und fo weiter geltend zu machen, und ſo uͤber⸗ 
all Eingang zu ſuchen und zu finden. Mit einem 
großen engliſchen Stroh-Hut und langen ſchwarzen 
Taffentmantel ſahe man fie, das allzuleicht anges 
ſprochene und zu dreiſt ſprechende Auge geſenkt, 
durch die Straſſen gehn, dann wieder Stunden: 
lang auf den Gallerieen oder den Gefaͤngniſſen 
gegenüber ſitzen, und aus ihren geübten Fingern 
unter den begleitenden Blicken muͤßiger Zuſchau⸗ 
er, beruͤhnite oder beruͤchtigte Phiſionomieen her⸗ 
vorgehen. Einſt hatte fie ſchon lange unthaͤtig 
gefeiert, die Neugierigen waren ungeduldig an 
ihr voruͤbergegangen, ſie war allein, vor ihr die 
dunkeln Eiſengitter der Conciergerie. Aengſtlich 
wehete die Luft dort herüber. Ungluͤckſelige Opfer, 
fenfzte die Marquiſe! Da wankte eine zarte Gt 
ſtalt hinter den Staͤben eines niedern Fenſters 
wie ein Schatten hin und wieder. Die ſchnee⸗ 
weißen Haͤnde ringend hob ſie dieſe mehrmals 


— 197 — 
zum Himmels, ein langer ſchwarzer Schleier 
huͤllte ſie ganz ein. Jetzt ſchlug ſie dieſen zuruͤck, 
wie bleiches Mondenlicht daͤmmerte ein Schmers 
zensläheln unter dem wallenden Flor hindurch. 
Frau von Robillard hatte ſich ihrer ſelber nicht 
bewußt, die kleine rothe Briefiaſche geöffnet, 
Scheere und Papiertaͤfelchen herausgenommen, 
und ſich an der weichen Leidensmine verſucht. 
Aber aͤngſtlich zitterten die Finger, das Herz klopf⸗ 
te ihr in banger Scheu, ihr Auge lag unver⸗ 
wandt, auf jenes zaub'riſch gebietende Geſicht. 
Ach! ſieh da! die Capet! ſeht! ſie ſchneidet das 
Geſicht der Capet aus! klang es um ſie, und 
augenblicks drängte ſich der rohe Haufe enger 
und enger heran. Starr und unbeweglich lagen 
die Finger der Marquiſe an die Scheere gedrückt, 
das Blatt wankte ungleich hin und wieder, ein 
dumpfer Schrei arbeitete ſich aus ihrer Bruſt. 
Schneiden Sie, um alles in der Welt, ſchneiden 
Sie dreiſt in das Papier hinein, fluͤſterte eine 
Stimme neben ihr. Sie ſahe auf, ein garſtiger 
Krüppel lehnte uͤber ihre Schultern. Ihr Zoͤgern 
ſtürzt Sie ins Verderben, fuhr dieſer fort. Frau 


n 

von Robillard erkannte Barbarour, der ſich in ent⸗ 
ſtellender Mummerei den Straßenbettlern ans 
ſchließend, auf Maͤrkten und Plaͤtzen umherlag 
und in der Diogenes Rolle dem Cynismus man; 
chen mäßigen Schüler gewann, Die Königinn ! 
ſtammelte die Erſchrockene. Was zaudert die 
DBuͤrgerin? ſchrieen Einzelne, wir wollen die Cas 
pet haben, geſchwind die Capet. Krampfhaft 
fuhr ſie den feinen Stahl durch das Papier. 
Wie durch Zauberei, ihr unbewußt, war das 
Bild gelungen. Man riß es ihr aus den Haͤn⸗ 
den, man ſchrie nach mehreren Exemplaren, und 
mit froher Schadenfreude, ruchloſen Spott trei⸗ 
bend, waͤlzte ſich die taumelnde Menge von Straße 
zu Straße, das Bild gleichſam im Triumph mit 

forttragend. | Rus su 
Sinnend, den ſchöͤnen Arm an die Gitter⸗ 
ſtaͤbe gelehnt, ſahe die Königin dem Allem zu. 
Es ſchien der herbe Pfeil betrogenen Glaubens 
druͤcke ſich noch einmal recht tief in ihr zerriſſenes 
Herz. Ihr Mund verzog ſich wie zum weinen, 
und in den ſanft gehobenen Augen lag die Fra⸗ 


— 199 — 
ge: Iſt das Menſchentreue? und nicht ein einzi⸗ 
ges em ſchlaͤgt fuͤr die ungtdetlihe Koͤnigin! — 


Die Marquife ſaß noch immer wie gebannt 
. Gefaͤngniß gegenüber. Sie ſtarrte das ge⸗ 
weih'te theure Haupt an, dem ſich tauſend blutige 
Arme entgegenſtreckten, ſchaudernd druͤckte ſie beide 
Haͤnde vor die Augen, die Bruſt wollte ihr jetz 
ſpringen, wie erſtarrt ſtockten die Thränen. Als 
fie wieder aufſahe, war es ihr, als fliege ein 
ſanſtes Lächeln an dem Gitter hin, doch die Kb: 
nigin war verſchwunden, tiefe Nacht deckte ihre 
Fenſter. Frau von Kobillard ſchwankte von 
Schmerz, Liebe, Rache und Zorn zerriſſen nach 
Hauſe, und ſegnete ein brennend Fieber, das fi ch 
großmuͤthig ihrer Sinne bemaͤchtigte. 18 


Noch lag ſie betaͤubt, den Kopf in die Kiſſn 
gedruckt, als Morgens fünf Uhr der donnernde 
Wirbel unzaͤhliger Trommeln, aͤngſtlich durch 
jede Abtheilung der Stadt ſchallte. Truppen mar⸗ 
ſchirten durch die Straßen. Geſchuͤtz fuhr vor⸗ 
uber. Dumpfes tonloſes Rauſchen und Mur⸗ 
meln fuͤllte die Luſt. Im Hauſe lief Alles die 


Treppen auf und nieder, Anna zog die Bettvor⸗ 
haͤnge der Marquiſe dichter zu. 
„Jetzt gilt es! rief der athemlos hereinſtür⸗ 
zende Cornelius über das Bett der Traͤumenden 
gebeugt. Jetzt oder nie! — Die Koͤnigin wird 
auf's Blutgeruͤſt geſchleppt, das Volk iſt unruhig. 
Dreißigtauſend Mann ſind unter den Waffen, 
um es in Ordnung zu halten, auf allen Brücken 
ſteh'n Kanonen aufgefahren. Doch was. find, 
Kugeln und Bajonette gegen die Gewalt des Wiln 
lens. Kommen Sie, laſſen Sie uns unter die 
Menge ſturzen, welche den Zug der Koͤnigin be⸗ 
gleitet. Fort! aus ihrem Blute ein neues Franke, 
reich heraufzubeſchwoͤren. Ohne innern Zuſam⸗ 
menhang ſtarrte ihn Frau von Robillard an. Er 
drang heftiger in ſie. Sie winkte ihn hinaus⸗ 
zugehen. Mechaniſch wand ſie ſich aus ihren 
Decken. Die Glieder zitterten noch in der Fie⸗ 
berſpannung. Sie ſah' oft Anna fragend an, 
die weinte heiß ohne eine Silbe hervorzubringen. 
Kaum ſich fortſchleppend, die ſtieren Augen wil⸗ 
lenlos dahin und dorthin fallen laſſend, wankte 
ſie in die Straße. Das Gedraͤnge war groß, ſie 


— 201 — 
ließ ſich ſo mit fortſchleppen. Bald hatte ſie Cor⸗ 
nelius ganz aus dem Geſicht verloren. Sie war 
deshalb wenig bekuͤmmert, denn fie dachte eigent- 
lich gar nicht. Der gaffende Poͤbel erdruͤckte ſich 
faſt. Aus allen Fenſtern ſahen geputzte Maͤnner 
und Frauen mit Fernglaͤſern ungeduldig die lan⸗ 
gen Straßen hinunter. Ein junges Maͤdchen ar⸗ 
beitete ſich faſt mit Todesgefahr, durch Wagen 
und Pferde und die Reihen der Soldaten, dann 
ſich auf die ſchmale Stange eines Eiſengitters 
ſchwingend, unklammerte ſie einen Laternen Pfei⸗ 
ler und hielt ſich ſo in aͤngſtlicher Schwebe, waͤh⸗ 
rend ihr verzuͤcktes Auge geſpaunt, die Annäher 
rung der Tyrannin erwartete. Ein alter Mann 
1 dicht hinter der Marquiſe ſagte: Juſt ſo ſtanden 
wir, als Marie Antoinette ihren Einzug hielt. 
Ein Weib ſchlug ihn, und mehrere Stimmen 
ſchrieen: mußt Du uns daran heute erinnern! 
Wir wollen nichts von der Vergangenheit hören, 
die geht niemand etwas an! Der Alte ſchwieg. 
Eine Thraͤne zitterte in ſeinem Auge. It es denn 
auch wahr, fragte ein Kind ſeine Mutter, Tomi 
ſie gewiß hier vorbei? Ja, Charlot, entgegnete 


dieſe, und nun ſitzt fie wie alle Miſſethaͤter auf 
dem kleinen Karren, und hat nichts an als das 
Armeſünderhemd. Die fhönen Kleider und das 
blanke Gold was ſie dem Volke geſtohlen hat, 
kriegen wir alles wieder. Das Kind klammerte 
ſich aͤngſtlich an die Mutter und fing an zu wei⸗ 
nen. Was haſt Du nur, lachte die Frau, was 
giebt's da zu weinen? Doch Charlot ſchluchßte hef⸗ 
tiger, ich fuͤrchte mich, ſtammelte er, Du ſiehſt 
fo haͤßlich aus Mutter. Und als nun die lilien⸗ 
weiße Koͤnigin glaͤnzend rein und klar voruͤber 
fuhr, nicht Schmerz, nicht Bitterkeit in ihrem ſtil⸗ 
len Lächeln: zu ſehen war, da rief Charlot: ein 
Engel! Seht, ein Engel! Doch tauſend Stimmen 
uͤberſchrieen ihn. Es lebe die ng zu Bo⸗ 
den mit der Tyrannei): 
Die Marquiſe lag ohnmaͤchtig in des g guten 
Alten Armen, der ſie mitleidig umſchlang und in 
ſeine Wohnung fuͤhrte. Hier ſaß ſie lange an 
Sinn und Gedanken wie gelaͤhmt. Die Him⸗ 
melsdecke ſchien auf ihrem zitternden Gehirn zu 
laſten, fie ſahe und hoͤrte nichts. Jetzt plotzlich 
ſprang fie auf, ſie eilte an die Thür, der alte 


— 203 — 
Mann trat ihr in den Weg. Wo wollt Ihr, 
fragte er, in dieſem Zuſtande hin? Fort, fort, 
rief ſie ihn wegdraͤngend, wir müſſen Sie ja ret⸗ 
ten. Arme Frau! das ſoll nicht ſeyn, dafuͤr iſt 
wohl geſorgt. Beſinnt Euch nur, und haltet Euch 
ganz ſtill. Wenn das Meer tobt, muß man's 
nicht befahren wollen. Betet und wartet im Her— 


zen. Mit Gewalt zwingt man den Himmel nicht. 


Er fuͤhrte ſie zu dem großen ledernen Armſtuhl 
am Ofen zuruͤck, gab ihr ein paar Tropfen Dals 
fam auf Zucker und ſetzte ſich dann liebreich zu 
ihr nieder. Ich kenne Sie wohl, gnaͤdige Frau, 
fluͤſterte er leiſe, ich bin eines Tiſchlers Sohn aus 
St. Jean d' Angeli, mein Name iſt Daͤplair, 
mein Gewerbe das meines Vaters. In jungen 
Jahren kam ich wohl zuweilen auf Schloß Ton⸗ 
nayboutonne. Sie werden mich ſchwerlich bemerkt 
haben, und mir war ſeit ich hier mein Brod fand 
Ihr Geſicht auch gaͤnzlich aus den Gedanken ge⸗ 
kommen. Da will's — der Zufall möchte ich doch 
nicht ſagen — die Vorſehung hat es gewollt, daß 
wir Nachbarn wurden, und ich von meinem Gaͤrt⸗ 
chen zu ihren Fenſtern hinaufſehen kann. Du 


— 204 — 

lieber Gott! wie haben Sie mich da gedauert! Ich 
wollte Sie gleich zu mir heruͤber bitten, doch was 
mir die Werkſtatt, Frau und Kinder‘, und eine 
todtkranke Schweſter, noch an Raum uͤbrig Taf 
ſen, das nimmt ſeit einem Jahr beinahe ein lieber 
Miethsmann ein, der Deputirte von Arras, we- 
gen feiner Leutſeligkeit hieher geſandt. Es wuͤrde 
ihn ſchmerzen, wollte ich ihn aus dem ſtillen ent⸗ 
legenen Haͤuschen verweiſen, und ich wuͤßte es 
auch nicht uͤbers Herz zu bringen. Drum ſchwieg 
ich gegen Sie, und zoͤgerte auch mich bei Ih⸗ 
nen einzufuͤhren. Das iſt nun heute an dem 
Jammertage Kakheheu Gott wird 150 | 
warum! — be 
ö 1 sta ist ng sit 30 
Er hielt ihre Hand treuherzig in der feinen 
und ſahe ihr beruhigend in die Augen. Doch ſie 
rief aufs neue heftig, was hilſt das Mitleid und 

die Theilnahme, und Treue und Glaube wenn 
wir mäßig bei dem Rettungswerke bleiben, das 
uns aufgegeben iſt. Liebe gnaͤdige Frau, ſagte der 
freundliche Alte‘, ein jeder bleibe in feinem Be⸗ 

rufe. Uns iſt aufgegeben ganz in der Stille den 


— 2ꝛ03ͤK—- 

Tag der Erloͤſung vorzubereiten. Iſt die 
Zeit reif, ſo findet ſie auch ihre Leute. Vordraͤn⸗ 

gen iſt niemals gut, man ſieht dabei nicht wo 

man hin tritt. Es ſind viele geladen, doch wenig 
Auserwaͤhlte berufen, warten wir bis an uns die 

Reihe kommt. Warten! warten! unterbrach ſie 
ihn ungeduldig, und daruͤber geht alles, alles, 

auch das theuerſte Leben verloren! Ihre Stunde 

war gekommen, erwiederte jener, das glauben 
Sie nur. Dem armen Herzen muß jetzt recht 
leicht ſeyn! Sie iſt ſchoͤn geſtorben, das ſagte Ihr 
milder, verzeihender Blick. Frau von Robillard 
weinte bei dieſen Worten ganz aufgeloͤſt vor 

Schmerz. Herr Duplaix faltete die Haͤnde. Waͤ⸗ 

ve fie zu retten geweſen, fagte er ſehr erfchüttert, 

Gott haͤtte die Waffen ihrer Vertheidiger nicht 

ſinken laſſen. Aber was ſollte ſie laͤnger auf der 
blutigen Erde ungewiß hin und her ſchwanken 2 
Ihr Platz war doch einmal eingebuͤßt. Es muß 
immer eine Weile Nacht ſeyn, ehe es wieder Tag 
wird. Ich weiß nicht, ſetzte er nach kurzem 
Schweigen hinzu, wie es kommen wird! Nacht 
iſt es jetzt, doch wir wollen uns nicht fuͤrchten, 


269 — 5 

und denken, Gott 1 im Acht, der ſteht für 
und! . „ ene 

Wie bewahrten Sie nur, ſagte Frau von 
Robillard, die unbegreiſliche Ruhe in fo entſetzlit 
cher Zeit? Haben Sie von je fo ergeben drein 
geſehen? und begnuͤgten Sie ſich ſtets damit Bes 
trachtungen anzuſtellen? Herr Duplair fahe fie’ 
crnſthaft an. Nein, entgegnete er mit kraͤftigem 
Ton, ich habe es nicht vergeſſen, daß der treue 
Kuccht mit ſeinem Pfunde wuchern und es nicht 
verſcharren ſoll. So lange ich dachte, es ſey Recht | 
Hand anzulegen, that ich es. Es gab eine Zeit, 
Fran Marguſe, wo man denken konnte Franke" 
reich ſey vom Untergange zu retten. Damals 
als die Vornehmen ſich erinnerten, daß Gott vom 
Anbeginn Stand und Wirkſamkeit der Menſchen 
verſchieden beſtimmt, und jedem Beruf Raum in 
der Welt gegönnt habe, damals als der Buͤrger 
Stimme und Recht wieder fand. Es regte ſich 
in jeder Bruſt ein unbeſtechliches Gefuͤhl der Bil⸗ 
ligteit und Wahrheit. Der dritte Stand hatte 
gleichſam Menſchenrechte empfangen, und konnte 
hoffen mit freien Armen das ſinkende Staatsge“ 


— 207 — 


baude ſtuͤtzen zu helfen. Ich war nicht mäßig‘ 
geblieben. Ich galt in meinem Kreiſe. Viele 
dachten wie ich, wir hatten uns verbuͤndet, und 
dieſer Geiſt, Frau Marquiſe, ſtuͤrmte das truͤ. 
be Denkmal finſterer Gerichtspflege, die Ba- 
ſtille. Ich war nicht der letzte bei dem ernſten 
Werk. Erſt jetzt waren wir uns der rechten Lie⸗ 
be und Treue fuͤr den Koͤnig bewußt. Ein neuer N 
Bund war zwiſchen dieſem und feinem Volk ges” 
ſchloſſen, die alte gute Ordnung mit friſcher Kraft 
belebt, Gott zeigte uns wie es fein konne. Laſ⸗ 
ſen Sie mich davon ſchweigen, wie es ward. 
Eine Nacht gab der ſchoͤnen Koͤniginn graues 
Haar. Jahre machten uns zu Greiſen. Unſre 
Zeit iſt nicht mehr, oder noch nicht da. Wir 
muͤſſen uns beſcheiden, und im Stillen t hu n. 
Thun? entgegnete die Marqniſe, was wird denn 
hier gethan? Man thut immer, ſagte Herr Du⸗ 
plaix mit ſanftem Nachdruck, wenn man einem 
Schwankenden die Hand reicht. Frau von Robil⸗ 
lard legte den Kopf nachdenkend in den Seſſel 
zurück. Der freundliche Meiſter oͤffnete derweil 
ein Nebenzimmer, legte dort den pluͤſchenen Sou ⸗ 


— 208 — 
tagsrock und die rundgeſtutzte Perücke ab; und 
machte ſich im ſchwar zen Kaͤppchen und ledernen 
Schurzfell an die Arbeit. Ich kann nicht lange 
feiern, ſagte er laͤchelnd, aber das iſt juſt mein 
großes Glück. Der Maaßſtab dort und die friſch 
gehobelten Planken, ſehen mich oft fo ſehnſuͤchtig 
an, ruͤhren mir die bekümmerten Gedanken, als 
ſagten ſie: verſuch's einmal mit uns! Ich kann's 
denn auch nicht laſſen, thue es und begrabe mir 
den Schmerz in Schweiß und Arbeit. Was ſie⸗ 
delu ſich denn die Menſchen, ſeufzte die Marquiſe, 
noch hier in der oͤden Wuͤſte an, und denken an 
Bequemlichkeit und Schmuck und Zierrath. Hm! 
erwiederte Herr Duplair, man flickt und putzt ſo 
lange man kann am Leben, davon laͤßt keiner. 
Es iſt auch gut ſo. Was machte man denn ſonſt 
mit den vorauseilenden Gedanken! Andreas! An⸗ 
dreas ! rief eine matte Frauenſtimme aus einem 
auſtoßenden Kaͤmmerchen. Das iſt meine arme 
Schweſter, ſagte Herr Duͤplair aufſtehend. Gott 
prüfe fie ſtrenge. Sie war ſehr ſchoͤn. Nun lei⸗ 
det fie ſeit zehn Jahren an einer periodiſchen Laͤh⸗ 
mung aller Sinne und Glieder, bis Mittag liege 


2 
1 


— 209 — 
‚fie ſtumm und regungslos, ob ſie ſich ihrer gleich 
vollkommen bewußt iſt. Um dieſe Stunde wird 
ſie frei, und tritt bis Sonnenuntergang unter die 
Lebendigen. Er oͤffnete bei dieſen Worten die 
Kammerthuͤr. Frau von Robillard empfand leicht 
eine Scheu vor Kranken und ſonderlich von chro⸗ 
niſchen Uebeln befallenen Perſonen. Sie hoͤrte 
daher mit ſchlagendem Herzen das nahende Schuͤr⸗ 
ren unbehülflicher Tritte, und die unſichere, faſt 
lallende Stimme. Aengſtlich lagen ihre Blicke 
auf der Thuͤr. Jetzt trat die Kranke auf Herrn 
Duͤplair Arm geſtuͤtzt, muͤhſam uͤber die Schwelle. 
Sie richtete aufathmend den Kopf in die Hoͤhe. 
Ein Blick voll tiefer Seele ſiel aus großen ſchwar⸗ 
zen Augen auf die Marquiſe. Ueber die bleichen 
Wangen legte es ſich wie zwei zarte Roſenblaͤtt⸗ 
chen, langſam theilte fie die Lippen, doch konnte 
ſie nicht ſogleich das Wort herausbringen, was 
ſie ſagen wollte, ſie ſahe ihren Bruder an und 
lächelte. Dieſer fuͤhrte fie zu einem Sitz im Fen⸗ 
ſter. In kleinen bunten Porzellantoͤpfchen ſtan⸗ 
den Herbſtblumen auf dem | Fenſterbrett. Das 
ſchoͤne Maͤdchen ließ die laͤnglich blaſſe Hand, 
Ir Theil. 0 a 


wie grüßend an den Blumen vorüͤberzieh 'n. Sie 

ſah betrachtend umher, dann ruͤckte ſie ſich in 
dem Seſſel zurecht, ſtrich das dunkle Haar unter 
ein feines weißes Haͤubchen, und ſagte wie er⸗ 
wachend: guten Morgen, mein Bruder! Dieſer 
ſtreichelte ihr zaͤrtlich die Backen, und ihre Hand 
in der ſeinigen behaltend , fragte er: iſt es denn 
nun ganz vorüber Aphodiſe? Ja wohl! erwies 
derte ſie, mit angenehmen Klang der Stimme, 
mir iſt ganz gut. Kan ‘7 ten 
Frau won: Mobillard war Briten doch 
hegte ſie noch immer einige Bangigkeit ſich der 
Kranken zu naͤhern. Ihr kam dieſe doch etwas 
unheimlich, faſt wie eine zauberiſch Gefeyete vor, 
fie ſahe mit ungewiſſen und dennoch unwider⸗ 
ſtehlich angezogenen Blicken zu ihr hin. Apho⸗ 
diſe hatte den Arm aufgeſtuͤtzt und fragte, wie ſich 
beſinnend: war St. Juſt, oder wie ich ihn lieber 
nenne, der Marquis de Fantevielle hier? Herr 
Duplair ſchuͤttelte verneinend den Kopf. Sah 'ſt 
Du unſern Miethsmann heute? fragte ſie weiter. 
Er iſt vor niemand zu ſehen, entgegnete ihr Vru⸗ 
der. Sie hob die Augen zum Himmel. Ich em⸗ 


pfinde, van fie, wie feine Seele arbeitet. Er 
weiß nicht wie unglücklich er iſt. Was haft Du 
doch immer mit ihm, unterbrach fie Herr Duͤplair 
verweiſend, in ihm iſt kein Falſch! Doch! entgeg⸗ 
nete Aphodiſe; aber er weiß es nicht. . 
ihm, wenn er's erfaͤhrt! 5 5 
Sie blieb nachdenkend, waͤhrend Anna 10 

Gebieterin ſuchend von ohngefaͤhr herein trat, 
um den freundlich verſtaͤndigen Nachbar, den ſie 
wohl hin und hergehend im Fluge kennen gelernt 
hatte, um Rath zu fragen. Sie blieb ganz er⸗ 
ſtaunt vor der Marquiſe ſtehen, und wußte kaum 
ob ſie den eig'nen Augen trauen dürfe? — Frau 
von Robillard eilte ihr freudig entgegen, faßte 
ihre beiden Haͤnde, und rief mit großer Lebhaftig⸗ 
keit: Anna, der Tod und das Leben haben ſich 
indeß in mir getheilt, ich weiß nun was beides 
iſt. Gottlob! Glaube und Hoffnung ſind unſterb⸗ 
lich. Sie wandte ſich zu Herrn Duͤplair zuruͤck. 
Mein alter Freund, ſagte ſie gerührt, goͤnnen Sie 
mir in bangen Stunden unter Ihrem Dache Troſt 
zu ſuchen! Der Meiſter ſtand, ſein Kaͤppchen ehr 
erbietig in der Hand, laͤchelnd vor ihr. Ich wollte, 
O 2 


7 
— 212 — 
entgegnete er, ich konnte Sie immer hier behalr 
ten, aber Sie wiſſen ſchon daß das nicht' geht, 
uud wie leid mir es iſt, darum aber bleibt Ihnen 
dieſe Thuͤr dennoch in ſedem Augenblick offen, 
das glauben Sie gewiß. Frau von Robillard 
gruͤßte Aphodiſe, welche aufgeſtanden war, und 
verließ mit Anna das Zimmer.. 
Vor dem Hauſe begegnete fie Madame Di 
Blake mit den Kindern. Sie kamen eben jetzt 
von dem Reboluttoneplatze zuruck. Die Mütter 
ſahe eruſt vor ſich nieder, die Kinder weinten. 
Ich will gleich oben zu dem guten Vetter hinauf, 
ſagte das jllugſte, ein bildſchoͤner Knabe, ſonſt 
graut mich fo ſehr. Der Vetter hat ſich einger 
ſchloſſent, erwiederte die Mutter. So? warum 
denn? Er graͤmt ſich! — Er graͤmt ſich? wieder; 
holte das Kind, ſchon halb unter der Hausthür, 
ſchade! rief es. Die Thür fiel zu. Reden Sie 
von dem Fremden, Aung? fragte Frau von Ro⸗ 
billard, der bei Herrn Duͤplair wohnt? Kennſt 
Du ihn? Ich ſahe ihn einigemal, erwiederte diefe, 
in des Tiſchlers Gärtchen. Er iſt ſchͤn, und 
ſcheint ſehr gefühlvoll und ernſt. Sein Auge viche 


— 213 — 


tet ſich oft un willkuͤhrlich zum Himmel, und ru⸗ 
Het dann mit einer gewiſſen bangen Wehmuth auf 
der Erde. Die Kinder haͤngen wie die Kletten 
an ihm, ſo oft er ſich ſehen laßt. Er iſt von 
der ſanfteſten Zärtlichkeit gegen ſie und laͤchelt 
ſichtlich froh, wenn ſie ihn den guten Vetter nen⸗ 
nen, unter andern Namen i er mir auch Mat 
Fetannt. S na: | 
Gedankenvoll betrat $ Frau von n Kobilard ihre 
Wohnung. Was ſie geſehen und. gehört, es hatte 
fie nicht gelaͤhmt, ſie begriff ſelber nicht, wie fie 
alles überſtanden habe. Ihr eignes Herz, die 
ganze Welt kam ihr vor wie ein eingeſargter Tod⸗ 
ter. Die lockere Erdendecke lag nun darauf, von 
dem was einſt geweſen, blieb nichts abrig, doch 
gaͤhrten tief im Dunkeln die ewigen Lebenskeime. 
Ein Daſeyn mußte den ungeſtillten Trieben wie⸗ 
| der werden. Sie empfand das ohne Worte und 
Gedanken, in einer eigenen ihr n erwar⸗ 
een Ruhe. Tanne 
Anna erwahnte. jetzt ch daß 75 G 
e. mehrmals hier geweſen und mit großer 
Aengſtlichkeit nach ihrer Giebieterin, gefragt, habe, 


— 214 — 
Einzelne Worte, ſetzte fie hinzu, waͤren ihm ent 
fallen, aus denen fie geſchloſſen, daß er ſelbſt 
nicht ganz ſicher und in der Furcht ſey, die Fran 
Marquise könne ſich durch augenblickliches Ver⸗ 
geilen verrathen, und ihn und ſeine Freunde mit 
in's Ungluͤck geſtuͤrzt haben. Armer Thor! ſagte 
Frau von Robillard, er weiß nicht, daß Gott 
auch in Sodom . rettende n pee 
Ae Nen H 
Sie blieb den ganzen übrigen ee 1 

denklicher Stimmung. Gegen Abend lehnte fie 
im Fenſter. Die Sonne ſenkte ſich bereits. Drin 
ben iy Herrn Duͤplaix Garten, ſaß Aphodiſe in 
einem weißen Ueberwurf, unter einem reich be⸗ 

hangenen Apfelbaum. Ihr Blick ſchien den Lauf 
der Sonne zu begleiten. Den kleinen Steig von 
Johannis- und Stachelbeerenſtraͤuchern eingefaßt, 
ging ein jugendlich kraͤftiger Mann mit geſenkr 
tem Kopfe auf und nieder, neben ihm ſprangen 
des Tiſchlers Kinder. Er unterbrach wohl ſelbſt 
die ernſten Gedanken, welche allzugewaltig zu 
ihm reden mochten, indem er den Knaben Knall⸗ 
buͤchſen von Fliederholz ſchnitzte, fie mit Papier⸗ 


— 278 x 

fißpfein lud, und dann zu ihrer Luſt abfeuerte. 
Doch nicht lange, ſo trat er wieder bei Seite, 
ſchlug die Arme über einander, und ſah unver; 
wandt vor ſich nieder, als ſollten die ſcharfen 
Blicke die Erde durchbohren. Jetzt ſtand Apho⸗ 
diſe auf. Der Unbekannte eilte auf ſie zu, reichte 
ihr den Arm, und fuͤhrte ſie liebreich dem Hau 

zu! Er wandte den Kopf noch einmal nach dem 
Platz, wo die Kranke geſeſſen hatte, vielleicht daß 
dieſe etwas vermißte. Die Sonne warf ihre 
vollen Strahlen auf fein‘ Geſicht. Die Mar⸗ 
guiſe bebte erſchrocken zuſammen , es fuhr; ihr - 
wie ein Blitz durch die Sinne, dies Goſicht kann⸗ 
te ſie ja, es war der er ſchreckliche Robese 
pierre. Allmächtiger! rief fie, Er in dieſem 
Hauſel Thür men ſich die furchtbar ſten Gewitter 
auch ſo ungeahndet über das Haupt ruhiger Un 

ſchuld auf? oder duldet! dieſe das Laſter in ihrer 
Nähe? O Gott! wo, ißt denn Liche und Friede 
MERKEN Welt! A: aim, „na 


1 — 1 11 2 
2 407 26 174, 2 Erz a Kir x 
j 2 4420 sth a m a An; 1 
5 


Kube A trieben‘ die med von Morten 
herüber, und dehnten fie in langen, feuchten 
Schleiern uber die Loire hinaus. Grau war der 
Himmel, ſchmucklos die Erde, nackte Bäume 
ſchuͤttelten die letzten trockenen Blätter wider wil⸗ 
lig ab. Und in dem Duuſt des abgedampften 
Lebens, fluͤchtete ein verzweifelndes Volk auf 
ſchwankendem Nachen den Fluß hinüber. Flam⸗ 
menwirbel verhuͤllten hinter ihnen die Seimard, 
Ye ſahen fie in die wolkige Zukunft. 

Der letzte große Kampfe in ee 
. gefochten. Die Königlichen unterlas 
gen. Ein ganzes Heer, Weiber und Kinder und 
was ein Leben zu retten hatte, flohe vor Veſter⸗ 
mann's blutſaugenden Blicken. Achtzig tauſend 
Stimmen ſchrieen; Hinüber! hinüber! wo der 


Himmel noch nicht von Mordfeuern leuchtet, und 
keine Blutſtroͤme die Erde bedecken. 


Siegreich tand Prinz Tolmont bei Varades 
am rechten Ufer der “Loire. Der Uebergang war 
geſechert. Noch blieb ſein ſtolzes Herz den Sr: 
gen unzugänglich. Paris war ja vom Anbeginn 
ſein Ziel, „dahin trug ihn der ungebeugte Wille, 
dahin drängte „el des Schickſols harte Hand. 
Jetzt ſahe er nun Fahrzeug an Fahrzeug zu fh 
Heräberjhmimmen,, und eine Mannſchaft ſtark 
genug, wie i ihm dünfee, die Welt zu erobern, an 
das Land ſteigen. Buwerfihilic,, wie es in ſeiner 
Seele war, r redete er ſie an. Kuhne. verheißende 
Worte flogen über feine Lippen, er uͤberbot ſich 
die finfenden Gemücher zu erſaſſen, doch wer ſ0 
eben den gewaltigen Xım, Gottes fühlte, der ver⸗ 
ſchließt ſein ohr dem Gebraus dreister Rede, und 
zittert, der ‚gautelnden, Hoffnung Eingang zu 
laſſen. % 


Der eich en! A 3 aus fü 
ae keine Seele erreichte, Unwillig warf 


er den Kopf zurück. Kleinmuͤthige! dachte er; 


— 218 — 

Euch tränt der Wille Anderer, nicht der Eurige, 
wohin Ihr muͤß! PE: a nn 

Und wie er noch ſo fand, und mit dem 
. — zugleich auch manchen eig ven auſſteigen⸗ 
den Zweifel niederkampfen mußte, der Blick des; 
halb etwas finſter und gehemmt, auf dem Waſſer 
hinglitt, ſahe er in einem kleinen Kuhne, auf 
ausgebreiteten Decken d Herrn. von eescure, zwar 
noch nicht todt, doch kaum den Lebenden ange; 
ori 3, den wunden Kopf auf ſeiner ſchoͤnen Satz 
tin Schdoß, langſam aus der Bucht einer kleinen 
Ine heramudern. Sie kamen näher, getz lan, 
f deten fie, man teng den fanften Helden auf nie: 
derm Stropfeflel die leine Anhöhe von Vorades 
hinan. Dumpfes truͤbes Gemurmel ging durch 
die Anwefenden, doch hielt edweder die lauen 
Klagen achtungsvoll zuruck. Viele die unter ihm 
gefochren hatten, oder ſolche die letzt feinen 512 
men hoͤrten, drängten ſich heran, Berk rten 
den Seſſel oder Herr von Lescur's Kleid, und 
glaubten geheime Weihe empfangen zu haben. 
Der Kranke hob die mäden Augen, und ſie un⸗ 
ter der Menge umhetſendend, grüͤſſte er mit ſeuch⸗ 


— 210° — 

tem Blick. „Meine Freunde, ſagte er matt; 
warum ſind wir nicht Alle dort druͤben geſtorben, 
ſtatt ſo heimathlos umherzuirren? nun werden 
wir wie ausgejaͤtetes Unkraut zertreten werden 
und verderben. Ich ſage das nicht meinetwegen, 
ſetzte er laͤchelnd hinzu, ich dachte niemals viel an 
mich, und jetzt finde ich meine Heimath wohl 
bald.“ Sein Kopf ſank hier matt auf die Bruſt, 
er ſchloß die Augen, eee nn ihn 
nnn! in die Stad. . 

Was fuͤrchteſt Du, Eliſabeth? 0 der 
rs raſch zu dieſer hingewandt. Was, 
erwiederte ſie, jetzt wie ein Schatten in 
Deiner eigenen Seele aufſteigt. Mein Tal⸗ 
mont, was ſollen wir auf dem fremden Bo⸗ 
den 2 wir paſſen hier nicht her, verhehlen wir es 
uns nicht, das verzweiflungsvolle Wagſtůck iſt 
wenig auf die Mittel berechnet, die uns zu Ger 
bote ſteh'n. Der Prinz zog die Augenbraunen 
finſter zuſammen; ich ſehe nicht, ſagte er wegwer⸗ 
fend, was dabei ſonderlich zu bereuen iſt. War 
Frankreichs Heil etwa allein in die Grenzen von 
Anjou und Poiton gebannt? Und finden wir in 


der Bretagne keine Franzoſen mehr? Franzoſen 
wohl, entgegnete eine jugendlich bewegte Stimme, 
doch weder die Vendéer, noch ein Volk, uns durch 
Gewohnheit, alterthümliches Recht, durch Gefahr 
und Noth verbunden. Wo man in Augenblicken 
der Entſcheidung erſt umherfuͤhlen muß, wo 
und wie man ſteht, da rennt ein Kind, das 
Wege und Stege kennt, einen uͤber. 
Eliſabeth betrachtete den Juͤngling, der bleich, 
von heftigem Schmerz erſchüttert, hinter ihnen an 
einem Baum lehnte und duͤſter über die Loire ſahe. 
Es war der tief betruͤbte Larocheſaquelin. Wie 
anders hatte fie ſonſt das friſche, lebens müthige 
Auge angeſtrahlt! jetzt trat es halb erloschen in 
tiefe Hoͤhlung zuruck, und feuchte Wimpern ſenk⸗ 
ten ſich matt daruͤber hin. Der Prinz trat naͤ⸗ 
her zu ihm. Sie waren immer gegen dieſen Ue⸗ 
bergang, ſagte er in ſichtlicher Wallung. Mehr, 
als es ſogleich zu uͤberſehen iſt, ſtoͤrt es den Forts 
gang unſeres Waffengluͤcks, daß gerade hier ſo 

viel bedeutende Meinungen ſich theilen. Es waͤre 
zu wuͤnſchen, wir könnten uns alle dahin verei⸗ 
nen, daß es ein Wink des Schickſals ſey, welcher 


r | 
uns mit unwiderſtehlicher Gewalt dem engen Rin⸗ 
ge entreißt, in dem wir eingeſchloſſen waren. 
Ohne Zweifel ſollen wir uns vordringend eine blu⸗ 
tige Bahn bis zu den Thoren von Paris machen. 
Ich ſehe es anders, entgegnete Herr von Laroche; 
jaquelin. Wir waren in dem Ringe zw. Haufe: 
Wir haben unſer Vaterhaus kleinmuͤthig "verlaf 
ſen, und tauſend Brüder lieblos drinn begraben. 
Geben Sie Acht, mein Prinz, die Reue kommt 
nach, unſer eig nes m e uns W wenn 
es en ſpaͤt iſt. B N 

Der Prinz fahle jene verlegen machende Ber 
klemmung, die den Worten Blei anhaͤngt und 
Gedanken und Vorſtellungen verfinſtert. Es ka- 
men in dem Augenblick einige Bretagner Lands 
leute voruͤber. Sie trugen zum Theil Röcke von 
Ziegenfellen, oder zerlumpte Kittel, das Haar 
hing ihnen lang und unordentlich um den Kopf, 
eine rothe wollene Muͤtze, von Zeit und Schmutz 
angebraͤunt, hing nachlaͤſſig daruber, der Bart 
war nicht ganz lang und doch nicht kürz, er er⸗ 
hoͤhete nur die Unſauberkelt der ganzen Geſtalt⸗ 
Sie ſahen die Fremden neugierig an, doch dingen 


ie ſchweigend weiter, oder ſprachen fie, fo war es 
ein unverſtaͤndlich altgalliſcher Dialekt, der wenig 
Eingang fand. Sie prüften, ſchien es, mit waͤ⸗ 
gendem Blick das fliehende geſchlagene Volk, das 
ſeinem eee — eee e 
ſchaffte. 5 71 8 INM 


Der junge Heneich faßte. "Prinz dime 
ſeine Gedanken errathend, ſagte: wo bleibt ı nur 
Bonhamp, daß er uns hier Freunde gewinne! 
Bonchamp ? fragte Herr von Latoöcheſaguelfgl. 0 
Gott! ſo wiſſen Sie es nicht? todt li cßen wir 
ihn auf dem&chtachtfefde von Cholet, auch Elbe 
iſtt tödtlich verwundet Der Prinz ſaße bertärge 
zu Boden. Doch ſchnell reichte er dem Waffen⸗ 
gefaͤhrten die Hand, ſchuͤttelte fie zuverſichtlich, und 
ihn vom Loireufer e e ſagte er: MR 
wir Auer ſo lange wir ſteh' n! T And 


| und noch einmal RB die Sonne des 
Ruhmes dem treuen, unerſchůtterlichen Vendee, 
heere. Nichts ſchien verloren, denn fie waren 
die Alten. Ueberredend, wenn gleich nicht übers 


zeugend, hatte VDarxere in pomphafter Römer⸗ 


ſprache dem Pariſer Convente die Vernichtung 
der Vendée angekündigt. Man feuerte Kanonen 
ab in der Hauptſtadt, ſtellte Feſte an, ſang Tri⸗ 
umphlieder, und das oft verächtlich erwähnte 
Bauernheer ward ploͤtzlich eine furchtbare Macht, 
welche die Freiheit, von der ewigen Nemeſis ge⸗ 
leitet, unter ihre Fuͤße gebracht und in 0e 
liche Bande geſchmiedet hatte. 


* 


Und plötzlich fanden dieſe gefeſſelten Schaaren 
geſammelt, ſtark, unüberwindlich den Mainzern 
bei Laval entgegen! Geſchlagen flüchteten die 
gewaltigen Soͤhne der Freiheit, ihre nie fehlen⸗ 
den Bajonette ſanken zu Boden, Barrere mußte 
erklären : die Vendée ſey wieder aufgeſtanden. 


Sie ſtand, und ſahe ihre Feinde im Blute. 
Strahlend von Sie gesglanz flog der Held des 
Tages, Heinrich Larochejaguelin, die Reihen Hinz 
unter. Sein klares Auge ſagte: ſo unermeßlich 
| groß iſt Gott! er hat uns nicht verlaſſen, er hielt 

uns aufrecht auf dem fremden Boden! 


Sechstauſend eee weiße e an 
bn Suse wehend, hatten ſich den Königtis 


chen angeſchloſſen. Der Schloßhof von Laval 
wimmelte von neuen Bund'sgenoſſen. Der Prinz 
ſah frohlockend um ſich her. Habe ich es nicht 
geſagt! rief er, und fo wird es ſich überall ber 
währen, daß dem Kuͤhnen zu der That oft nur 
ein anderer Arm gebricht, der ihm den Anſtoß 
giebt. Ich bleibe, fuhr er fort, bei unſerer fruͤ⸗ 
Heften Anſicht ſteh'n: Paris ſey unſer Ziel! 

Dagegen ſtimmten gleichwohl alle Uebrigen. 
Man blieb zehn Tage, theils ſich ruhend, theils 
uͤberlegend, in Laval. So ſehr war man der 
geſchlagenen Republikaner fuͤr jetzt ſicher! Am 
Abend vor dem Aufbruch ſaßen Eliſabeth und der 
Prinz in einem Zimmer ſeines Schloſſes einſam 
und ſchweigend am Kamin. Zum erſtenmal ſtie⸗ 
gen in Eliſabeths Bruſt ihr bis dahin fremd ge— 
bliebene, verwirrende Gedanken auf. Noch war 
für fe das Naͤchſte auch das Größte geweſen. 
Die erhabene Zeit trug fie mit glänzenden Schwin⸗ 
gen über das Geheimniß der eig' nen Bruſt hin⸗ 
aus. Ihre Wünſche umfaßten in fernen kühnen 
uUmriſſen ein Leben voll Ehre und Freiheit, der 


Ruhm des einzigen n Abele ſelbſt 
das Bild ſeines Todes. Doch jetzt in der Waf⸗ 
fenſtille, in den heimiſch eig nen Mauern; des Ge⸗ 
liebten, allein mit ihm, vom ſanſten Frieden der 
Haͤuslichkeit angewehet, das eine Dach all. ihr 
Erdengluͤck umſchließend, — jetzt brach es in ihr 
2 jetzt riefen tauſend verworrene Summen 15 

: Du junges Kind! Deine Beſtimmung iſ 
2 verfehlt, bereuen darfſt Du nichts, doch 
beweinen — beweinen ‚wirft. Du's, lebenslang. 
Das Band, das Dich mit Deinem ſchönen 
Freund verbindet, iſt eigener, den Lebensformen 
fremd gebliebener Natur geworden, die Myrthe 
ward zum Lorbeer in Deiner Hand, Du wan; 
delſt ihn. nicht wieder um! Und als der Prinz 
gerade in dieſem Augenblick in ihr bandes Mage 
ſahe, und leiſe die Lippen darauf druckend, halb 
aus Gewohnheit, ‚halb aus Scherz ſagte; mein 
armer kleiner Georg, biſt Du muͤde? da zitterte 
ihr das Herz in dumpfer Beklemmung, ſie ſtreifte 
blos mit ihren Lippen die ſeinen, und ſanft aus 
ſeinen Armen losgemacht, trat ſie zum Fenſter, 
und ſtarrte in den großen leeren Schloßhof, in 

Ir Tyeil P 


dem nichts lebte als die Eulen, die ſchreiend an 
den Thurmluken hin und wieder ſchrillten. 
Der Prinz hatte es aus fruͤherer Zeit an der 
Art, die Nächte lleber zu durchwachen, als im 
Bette zu vertraumen. Seinem ſtürmiſchen Blut 
widerſtand die lange Rahe. Die kühnsten Bilder 
ſtiegen in ſolcher Stunde in ihm auf. Er rief 
dieſe auch wohl durch wunderbar phantäſtrende 
Klänge herbei, die er mit gewaltigen Griffen dem 
Klong ehe," Om Krüge wür bes mtl 
ben. Hier aber fand er ein ſchoͤnes Inſtrument, 
das er ſelbſt vor wenig Jahren aus England kom⸗ 
men ließ. Er verſüchte ſich in allen diefen Th; 
gen mit raſchen Laufen und ſchmetternden Mar- 
ſchestoͤnen darauf. Doch überaus lockend erſchien 


es ihm in dieſer Nacht. Er zog einen hohen 


Stuhl mit Hauteliſſenem Polſter belegt heran, 
und athmete die volle ſtegesdurſtige Seele in ki⸗ 
nem langen, heißen Schlachtenrufe aus, det ſich 
in unzähligen Akkorden wirbeln verschlang. e 
UN el enn 83 us) le ‚mund gige e 6) 


Eliſabeth, von den Klängen umrauſcht, war 


weinend in einen Seſſel am Fenſter hingeſunken, 
1 


— 227 > 
unb wußte ſelbſt nicht, wache oder träume fie. 
Ihr kam vor, als ſehe fie noch durch die Schei⸗ 
ben in den Hof hinunter. Der Prinz ging dort, 
und ſaß doch auch hier neben ihr, und war es, 
der fo ſtark und mächtig die Saiten ruͤhrte. Da 
unten ſahe er anders aus wie ſonſt, der Herzog, 
ſein Vater, ging von einer Seite neben ihm, von 
der andern ein Mann im blutigen Hemd. Das 
iſt Barrere, ſagte der Herzog, und wies auf jenen. 
Jetzt fiel es wie ein Schuß dicht neben ihr. Sie 
ſprang erwachend auf. Der Prinz hatte den 
Deckel des Klaviers allzuraſch niederfallen laſſen. 
Er ſahe laͤchelnd nach ihr um. Hat's Dich er⸗ 
ſchreckt, Eliſabeth ? fragte er. Ja, ja, ſette er 
hinzu, in voller Ruhe wird das Ohr ſogleich ver⸗ 
woͤhnt. So ists mit allen Sinnen und Ge⸗ 
fuͤhlen ! Ich bin gewiß, ſagte mir einer jetzt: 
Du mußt sterben das Schwerdt ſchwebt ** 
Dir, ich würde erſchrecken; und morgen . 
ſchon tummle ich mich mitten unter Todesſchauern 
ſo gleichguͤltig n 4 ſey es EN au leben 
oder zu ſterben. N 


13 Nanni u} 


P 2 


— 


— 228 — 


Er legte den Kopf auf die Stullehne zurück, 
und ſann einige Augenblicke betrachtend nach. 
Nur die eine Seite ſeines ſchoͤnen Apolloge⸗ 
ſichtes war nach Eliſabeth gewandt. Ihr Blick 
lief, gleichſam die Umriſſe zeichnend, uͤber Stirn 
und die fein gewoͤlbten Lippen, und, als drohe 
ein dunkler Schleier das liebe Bild zu verhüͤllen, 
fo prägte fie es langſam der tiefſten Seele ein. 
„Der Lorbeer war für Dich, dachte fie im 
Stillen, die Myrthe liegt nun welk 8 meinen 
dur denn er 0 ar hu 

Eliſabeth, ſagte der RR BEE 
Gedanken ploͤtzlich ergriffen, da wir eben vom 
Tode reden, — Du erſchrickſt nicht, wie andere 
Frauen, vor ſolchem Geſpraͤch — ſie raffte ſich 
N e „und ſahe ihn muthig an, — 0 
laß mich Dich um etwas bitten, fuhr er fort, 
was mir den kurzen, und leugnen wir's uns nicht, 
dennoch ſchweren Schritt in eine unbekannte Welt 
erleichtern wird. Auf ihren Lippen lag ſchon langt 
ein raſches, freudiges Ja. Sie dachte, er deute 
auf gemeinſames Sterben, was fie fett ange ſchon 
als ihres Lebens 0 betrachtet hatte. Doch er 


— 229 — 
faßte bedeutſam ihre Hand, und ſagte ernſt: ich 
errathe Dich, liebes Herz, aber ſprich Dir und 
mir Deine Gedanken nicht aus, | ich fordere Höhe: 
res Opfer als Du denkſt. Ihre Hand zitterte in 
der ſeinen, ſie ließ erbleichend die Augen an ihm 
hin, zur Erde gleiten. Du mußt mir feſt ver⸗ 
ſprechen, Eliſabeth, bat er dringend, falle ich 
auf eine oder andere Art, mein Leben ganz zu 
dem Deinigen zu machen, und wie von je ie in 
Gedanke unſere Seelen in einander ſchmolz, nun 
wie mein eigenes Ich den Weg ruhelos zu 
verfolgen, von dem ich abgerufen ward. Er hielt 
hier inne. Sie ſagte nichts, denn ſie konnte vor 
geheimer Qual nicht reden. Sieh! Liebe! fuhr 
er troͤſtend fort, Du haft Dein ſchoͤnes Daſeyn 
dem ernſten Thun und Willen Deines Freundes 
ſo innig einverleibt. Du haſt ſein ſtolzes Herz 
in das Deine aufgenommen, und Dich denſelben 
Funken, der ihn durchgluͤht, entzuͤnden laſſen, 
Du haſt es nicht umſonſt geſagt: der Himmel 
habe unsre Seelen aus gleichem Stoff geformt, 
Du wirſt es nicht ertragen, daß die unvollendete 
That ſeinen geängfteren Geiſt ruhelos auf die 


— 230 — 
Erde zuruͤckrufe. O Gott! ſlehete Eliſabeth an 
feiner Bruſt zuſammenſinkend, quale“ mich nicht 
ſo unbarmherzig. Er richtete ſie ſanft an ſich 
auf; meine hohe Gefaͤhrtin, ſagte er ernſt, wirſt 
Du's verſchmaͤh'n, Dein Vaterland in Deines 
Talmont Namen zu erretten? Sei ſtark genung 
Dir die vielleicht noch ferne Moͤglichkeit zur Ge⸗ 
genwart zu machen, denke alles was jetzt in dier 
ſer Bruſt ruhet, was zum Theil eingeleitet, zum 
Theil nur eben erſt zur Sprache kam, werde 
mit mir begraben, kannſt Du hoffen, das unge⸗ 
ſtuͤme Blut werde mir nicht den freien Blick zum 
Himmel truͤben? Darfſt Du mir den Troſt verſa⸗ 
gen, die ſtockenden Lebenskeime von Deinem ſanften 
Hauch beſeelt zu ſehen? Eliſabeth ſey der Fries 
densbote, der mir die Palme von der blutenden 
Erde hinuͤberbringt. Alles! rief ſie, ihn feſt um⸗ 
ſchlingend, alles was Du willſt geſchehe, d'rum 
ſage nur was Du jetzt zu ſagen haſt. 

Erſchuͤttert von der großen Kraft der Liebe, 
kniete jetzt der Prinz vor ihr, druckte die ſchönen, 
zarten Hände feſt an feine Bruſt / und der Thraͤ⸗ 
nen kaum noch maͤchtig flüſterte er leiſe: Meine 


ſüße liebe Seele, ich habe in England einen 
Freund, den Marquis Sombreuil, er focht un⸗ 
ter Friedrich Wilhelm von Preußen vor Mainz 
und hegte große Gedanken, die für jetzt noch ger 
hemmt wurden. Darum ging er, in England 
Huͤlfe fuͤr die er ſchoͤpfte Vendée zu ſuchen. Es 
ſind in dieſen Tagen Depeſchen von dort einge⸗ 
gangen, wir eilen uns in einer Seeſtadt zu befe⸗ 
ſtigen, um den Landungstruppen einen ſichern 
Punet zu bieten. Morgen brechen wir nach Gran⸗ 
ville auf. Gelingt es uns dies einzunehmen, ſo 
laͤuft ein wechſelnd Band zwiſchen uns und Engs 
land hin und wieder. Sehr viel iſt dann zu 
hoffen. Doch Liebe, Dir brauche ich es nicht 
erſt zu ſagen, wie leicht es anders kommen kann, 
gelobe mirs nun feſt Du treues Herz, daß im 
Fall — laß mich es ausſagen — im Falle mein 
nes Todes, Du Dich zu retten ſuchſt, und mit 
den Papieren, die ich von jetzt Dir lieber, als 
mir ſelbſt anvertraue, uͤber's Meer zu meinem 
Sombreuil ftüchten willſt . 4 Ha ya 
Eliſabeth winkte den Prinzen aufzuſtehen, 
und die naſſen Augen von ihm zum Himmel 


— 2 

richtend, ſagte ſie mit gefaltenen aufgehobenen 
Haͤnden: Gieb meiner Liebe, göttlich Weſen, Deine 
Kraft, daß ſie ſich ſelbſt beſiege! — Sie blieb ei⸗ 
nige Minuten wie im innern Beſchauen, ſchwei⸗ 
gend, dann neigte ſie den Kopf ſanft auf des 
Prinzen Schultern und flüfterte; ich lebe ja in 
Dir, wie ſollte ich anders als nach Deinem Wil⸗ 
len leben! zweifle nicht, ich erfuͤlle ſtreng was 

Du mir auſträgſt, und fo ſchuͤtte denn nur jeden 
Wunſch in. diefe, Bruſt aus, die von nun an 
ganz in dem Wehen Deiner Worte athmet! — 
Der Prinz drückte einen gluͤhenden Kuß auf ihre 
Stirn, ſahe ſie mit flammenden Blick an, und 
ſagte: wahrhaftig! Du biſt mein hoͤheres Ref 


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Zwolftes Kapitel. 


Die blutige Staͤtte von Granville dampfte noch 
vom heißen Kampfe, die Mauern bebten, doch 
trotzten ſie dem vergeblichen Angriff. An ihrem 


Fuße lagen ſterbende Vendechelden, und hoben 


das gebrochene Auge, halb eee halb fra⸗ 
gend zum Himmel. 

Zuruͤck uͤber die Loire! Zuruͤck in die er 
er. riefen wilde verzweifelnde Stimmen. Zur 
ruͤck über die Loire! ſeufzte Herr von Larocheja— 
quelin, doch ſogleich mit klarer Feſtigkeit umherſe⸗ 
hend, ſagte er: Getroſt meine Freunde, uͤbereilt 
nichts, gebt nichts unwiederbringlich auf, wir ero⸗ 
bern die Graͤnzen unſrer Provinz ſchon wieder. 
Der Prinz ſahe knirſchend auf ſein verfehltes 
Ziel. Es iſt vorbei! ſagte er leiſe zu Eliſabeth, 
die Kuͤſte ift uns verloren, das Heer hat kein Ver⸗ 


— 234 — 

trauen mehr, wir fechten mit der letzten Kraft, 
ein jeder denkt nur noch an augenblickliche Ret⸗ 
tung, in die Zukunft wagt niemand einen Blick 
zu werfen. Jetzt Eliſabeth, jetzt iſt es Zeit, daß 
du mit Dir die Ruhe Deines Freundes retteſt, 
verlaß mich jetzt. — Jetzt! rief ſie ſchaudernd, 
ſie ſchwankte auf dem Pferde. Mißbrauche Deine 
Gewalt nicht, ſagte fie ernſt. fordre nicht zu viel 
von menſchlicher Kraft, vertraue Gott! und verz 
ſtoße mich in dieſer Todesangſt nicht von Deiner 
Seite, die Erfuͤllung meines Geluͤbdes hebt von 
dem Augenblick an, wo Deine fliehende Seele 
in meine uͤbergeht; dann werden mich Engel lei⸗ 
ten, bis dahin goͤnne mir den herb' und ſuͤßen 
Wermuthstrank des Lebens bis auf den letzten 
Tropfen mit Dir zu theilen. Der Prinz wider 
ſtand ihrem Zauberblicke nicht, geruͤhrt druͤckte er 
ihr die Hand. Ihm war's im Grunde der Seele 
ein lieber Troſt, das theure Herz fo nahe an ſei⸗ 
nem zu wiſſen. So bleibe denn, ſagte er, und 
Gott mache es, wie er willl 

Und Gott ließ noch einmal die Sonnengluth 
des Sieges vor ihm aufgehen, und ſtellte ihn 


— 2 — 


mitten in den Strahlenkranz hinein, daß fein ſchö⸗ 
nes, ſtolzes Angeſicht in den Purpurlichtern die. 
truͤbe Geſchichte dieſer letzten Tage erhelle, und 
der denkenden Nachwelt ein leuchtendes Bild 
werde. \ 

Es war bei Doll, als die Blauen fie abe, 
fielen, und eine große Anzahl der Gemeinde 
Schaaren nach Lescur's und anderer Führer Tode, 
herrenlos den Stuͤtz- und Mittelpunct vermiſſend, 
auseinander liefen, und unausbleibliche Nieder⸗ 
lage zu fuͤrchten ſtand, daß auf dem rechten Flu⸗ 
gel der Prinz an der Spitze von vierhundert Reu⸗ 
tern dem fuͤrchterlichſten Andringen des Feindes 
ſo unbiegſam und drohend widerſtand, und ganz 
von dichten Morgennebeln umhüllt, wie Frank⸗ 
reichs auferſtandner Ritter geiſt zermalmend in die 
Rebellenſchaaren ſiel, und nicht eher ruhete, bis 
der Sieg ſein, und er der a * Ta⸗ 
10 War. „r f , ee er 08 

Die Straße ae. Angers blieb jetzt 0 | 
Wer ſeither verzweifelte, hoffte wieder. Der 
Prinz ſahe laͤchelnd auf Eliſabeth, die unter ſtol⸗ 
zen Thraͤnen den koͤniglich hohen Mann betrach⸗ 


— 236 — 


tete. Heri von Larochejaguelin flog, auf ihn zu, 
ſein reines Herz glaͤnzte ihm aus den Augen, er 
faßte das Prinzen Hand: Sie bereiten uns ein 
Ehrenbett! rief er begeiſtert „wir oh ſchoͤn, 
wenn wir fallen! — * ine 

So war's denn auch. Frankreichs Erde ver⸗ 
1 der Treue, ſeſten Fuß auf ihr zu faſſen. An 
Stehen und Halten war laͤnger nicht zu denken; 
Angers wieß ſeine kuͤhnen Angreifer zuruͤck, die 
Loire ſchien unwillig einen zweiten Uebergang nicht 
wieder dulden zu wollen. Hin und herziehend 
wandten ſich die Feldherren nach Le Mans. Die 
Vruͤckentöpſe wurden gewonnen. Man drang 
in die Stadt. Es war ein truͤber Einzug. Ein 
jeder wußte, daß man keinem Angriff dauernd 
Widerſtand leiſten konnte. Matt und Lebens; 
muͤde ſahe man den Feind kommen. Er kam denn 
auch. Viel Blut floß. Der Prinz ſahe einen 
Huſaren auf ſich anſprengen. Er wandte ſich 
nach ihm und hielt: Komm! rief er mit ſeiner 
Donnerſtimme, ich erwarte Dich. Der Huſar 
ſtuͤrzte den Saͤbel ſchwingend heran, der Prinz 
hob mechaniſch den Arm, und ſpaltete un den 


> ; 2377 — 

Kopf. Er ſahe den blutenden Rumpf vom Pfer⸗ 
de BER Wunderbar! 1 er, ich — es 
anders / Hai N 

Der Tag bei Le Mans loͤſte die lockert Ban 
de der zerruͤtteten Vendsearmee vollends auf. une 
zaͤhliche kamen um, viele fanden ffuͤchtend ein 
ſchimpfliches Grab auf dem Schaffot. Die armen 
Ueberreſte zerrten ſich noch eine Weile gejagt und 
verfolgt umher. Endlich hoffte Heinrich Laroche⸗ 
jaquelin mit den Seinen bei Ancenis über die 
Loire zu geh'n. Es war vergebens! Er ſchiffte 
auf leichtem Fiſcherboot hinuͤber um mehrere Fahr⸗ 
| zeuge vom jenſeitigen Ufer heruͤberzuholen. Zehn⸗ 
tauſend arme Schlachtopfer ſtarrten mit angfte 
vollem Blick auf ihren Retter; er landet, loͤſt die 
Stricke der angebundenen Kaͤhne, ſchon knuͤpft 
er fie an cinander, ſteigt hinein, faßt das Ru⸗ 
der — es iſt umſonſt! Gott hat dem reinſten Ei⸗ 
fer ein Ziel geſetzt! Eine Patrouille der Blauen 
bricht hervor, zur ſelben Zeit baricadirt eine Kar 
nonierſchaluppe den Hafen, der junge Heinrich | 
ſpringt an's Ufer, er rettet ſich den Säbel in der 
Hand, doch abgeſchnitten iſt er nun fuͤr immer 


— 238 — 
von den Waffen und Leidensgefaͤhrten, Fir die 
die Erde nichts als ein gaͤhnender Abgrund bleibt. 
Muüͤhſam ſchleppen fie ſich an deſſen Rande hin. 
Sei Savennay verkauften fie ihr Leben theu⸗ 
er, fie wollten dort den Loire Uebergang erzwin⸗ 
gen. Vergeblich Unternehmen! Frankreichs gu⸗ 
ter Stern ſenkte ſich bleich hinunter! Wer ſich in 
Waͤldern und Graͤbern, zwiſchen Moor und Klip⸗ 
pen ketten konnte, that es: Andere fielen in die 
Schwerdter ihrer Feinde! Der letzte Kampf war 
ausgefochten! Es war vorbei. 
Eliſabech lag in einem kleinen Büͤrgerhauſe 
zu Savennay; verwundet und erſchoͤpft auf ders 
ſelben Streu, welche auch ihren Vetter, den ches 
maligen Grafen Rochefoncault aufnahm. Des 
Himmels wunderbare Schickung hatte ſie ſo nahe 
gebracht. Eine leichte Stirnwunde ſtreckte ſie im 
Gefecht ohnmaͤchtig nieder. Jener Reuter, der 
fie nach Coron führte, brachte ſie menſchlich in 
dies Haus. Sie lag hier unverbunden, im hefti 
gen Fieber, von allem was ſie ſahe nur undentlich 
beruͤhrt. Der Graf war durch das Bein geſchoſ⸗ 
fen, er litt viel Schmerzen, doch gelaſſener Natur 


ertrug er's ſtill, und bewahrte ſich beſonnene Theil; 
nahme fuͤr Andere. Mit großer Ruͤhrung be⸗ 
trachtete er das junge, theure Kind an ſeiner 
Seite. Zum zweitenmale, ſagte er, ſauft die 
Locken von Eliſabeths heißen Wangen ſtreichend, 
ſoll ich Dich vielleicht retten, denn ohne mich 
warſt Du wohl auch letzt verloren. 
Die Naͤhe des reinen, ihm verwandten We⸗ 
ſens, hier in dem engen Raume, ſo abgeſchieden 
von der übrigen Welt, ſo muͤde dieſer Welt voll 
Schmerz und Taͤuſchung, der Zauber freundlicher 
Jugenderinnerungen, alles bewegte und ruͤhrte 
an des Grafen Seele. Viel Gedanken rangen 
ſich in ihm auf. Er hatte immer das Gute ge⸗ 
wollt, recht wahrhaft gewollt; hatte er's ver⸗ 
fehlt? oder war es uͤber all auf dieſer Erde nicht? 
wo war es denn? aus welcher ew'gen, Sonne 
ſtrahlte es nur herunter in die Menſchenbruſt? 
Die Natur war ſo mild und weiſe, ihr hatte 
er die gedrangte verkruͤppelte Menſchheit wie der 
gewinnen wollen. Die buͤrgerliche Verfaſſung als 
Gegenbild ſollte eingeborne Rechte wieder errin⸗ 
gen, deshalb batte er das Licht der Aufklärung 


— 240 — 

durch That und Beiſpiel alwi Was war 
gleichwohl in ihm, und außer ihm dadurch er⸗ 
reicht? — Es war ſo leer in ſeiner Bruſt, der 
Widerſpruch mit dem Leben aͤngſtete ihn oft 
bis zur Verzweiflung. Er ſchob ſich wohl das 
alte 4005 der een unter, Si 1 0 te ſch: 
derſpruch! das war ni immer nicht See drum 
laſſe man's geh'n wie's kann! denn iſt nichts 
gut als das Ideal, ſo iſt der Meuſch der Narr 
ſeiner Phantaſie, und zerarbeitet ſich umſonſt eis 
nem Schatten Weſenheit zu geben! Doch der 
Schmerz und die Wehmuth uͤber das Unerrrich⸗ 
te fragten ihn unablaͤßig, was ſind 515 
wir? und was wollen wir: 

Als es Abend war, und endlich Half füe 
die Verwundeten angeſchafft ward, nun auch die 
Reihe des Verbindens, auf des Grafen Geheiß 
an Elifaberh kam, kehrte dieſer die n 
zuruck. Sie ſahe gefammelt umher. Verw 
det alſo nur, ſeufzte fie, ich dachte todt ur 
ſiet bei ihm! — Man glaubte ſie faſele im Fies 
ber und machte nicht viel d'raus. Der leichte Vers 


— 241 — ů 


band war bald angelegt. Sie ſaß aufrecht, den 
Kopf in beide, auf den Knien geſtuͤtzte Arwe 
wiegend. Man wollte ihr die naſſen, blutigen 
Kleider ausziehen, und breitete einen Republika⸗ 
ner Mantel vor ihr aus, um ſie hineinzuwickeln. 


Schau end ſtieß fie fremde Hand zuruͤck, ſie 


ſahe mit langem, flehenden Blick auf den Gra 
fen, und ſagte: Dulden Sie, daß man mich fo 
ſehr krankt? Er betrachtete fie ſchweigend. Worte, 
die ihr im Fieber entfallen waren, gaben dem 
weltklugen Mann ſchon früher die Ahndung ihr 
res Geſchlechts, er empfand die Gruͤnde, die ſie 
in dieſe Kleider warfen, mehr als er ſie einfahe, 
und ein ruͤhrendes Geheimniß ehrend, entfernte 
er alles laͤſtige Andringen von dem armen Kinde. 
Drauf, ohne die zarte Seele zu verletzen, ſagte 
er leiſe, ich denke Sie haben dem Verwandten viel⸗ 
leicht irgend einen Wunſch, ein geheim Verlan— 
gen zu entdecken. Eliſabeth ruͤhrte der ſanfte 
Laut ſeiner Stimme unbeſchreiblich, ſie weinte 
heiß, ohne ihm antworten zu koͤnnen. Sie ſind 
frei, mein junges Kind, fuhr er fort, denn 
mein Arm ſchuͤtzt fie, wohin denken Sie Ihre 
Ir Thel. Q | 


— 242 — 
Schritte zu lenken? Nach England! rief ſie ſich 
nell beſinnend, nach England! wenn er wirk⸗ 
lich — dies letztere fuhr ihr gedankenlos über 
die Lippen, ſie hielt erſchrocken inne, und ſetzte 


drauf hinzu, nach England moͤchte ich gern, ich 
habe dort Freunde. Der Graf * 
nach. So allein, ſagte er, wollen Sie die weite 
Reiſe — allein! wiederholte Eliſabeth mit einem 
ſchneidenden Ton, ſie druckte das Geſicht in das 
Stroh ihres harten Lagers, und konnte lange 
nichts ſagen und munen Din metern 
84 med nr In IE 1.1911 5 
e Grafen Gb bebte leicht unter frem⸗ 
| RENTEN „er drang jetzt nicht weiter 
in Eliſabeth, ſondern dachte nur darauf, wie dies 
wunde Herz zu heilen, ene ein Balſam des 
ner zu Babe maten un ee rm 
Dunne e AR 
Ats es bereits ee und beide, durch 
inneres und aͤußeres Leiden wach erhalten, mit 
offenen Augen in den kleinen, flackernden Kamin 
ſahen, ward es unruhig im Haufe, Man mele 
dete auch gleich darauf dem Grafen, als aͤlteſten 


Officier im Orte, es ſey ein junger Geiſtlicher 
ſchon ſeit mehreren Stunden zwiſchen den Todten 
und Verwundeten auf dem Schlachtfelde und von 
»da an den Stadtmauern hin und wieder gegan⸗ 
gen, man vermuthe, er gehoͤre zu dem verſpreng⸗ 
ten ee und 2 ihn em und m 
N Be u ah 
Der wu Aan ach e a Son 
ae ſagte er; gewiß einer jener Fanatiker, die 
ihrem Gott nicht Opfer genug ſchlachten koͤnnen. 
Iſt mir wer verhaßt, ſo ſind ſie es gerade. Ihr 
Wahuſinn hat Rache und Wuth uͤber alles Maaß 
hinaus geſteigert. Er komme naͤher, ich will ihn 
ſelbſt ſprechen. Da thun Sie gut, ſagte Eliſa⸗ 
beth, indem fie ſich an einen niedern Schemel ge⸗ 
ſtemmt, halb aufſtehend der Thuͤre zu wandte, 
Sie laufen ſonſt Gefahr, ſehr ungerecht zu ſeyn. 
Zwei rothe Huſaren, ſchwarze Baͤrenmuͤtzen in die 
wilden Augen gedruͤckt, traten hier, die brennenden 
Kienfackeln, welche ſie durch die Nacht leuchteten, 
noch in der Hand, mit ihrem Gefangenen herein. 
Oylranus!. rief Elisabeths lentſelig ſah der 
Q 2 


Juͤngling auf fie hin. Ihr Anblick that ihm 
wohl, über fein ſtilles Geſicht zog ein fanfter 
Glanz der Freude, er ſah ſehr ſchoͤn und far ver- 
kla aus zwiſchen den rothen Fackellichtern an 
ſeiner Seite. Der Graf konnte ſogleich das Wort 
nicht finden, ihn anzureden, er ließ die ſtrafenden 
Blicke verlegen ſinken, mit einiger Anſtrengung 
ſagte er: Ihr ruhiges Aeußere paßt ſich ſehr 
ſchlecht zu ſo wildem Beruf, predigen Sie mit 
der Verſöhnung zugleich die Rache? Die Rache 
erwiederte Sylvauus mit leiſer, durch keine innere 
Bebung bewegter Stimme, iſt mir wirklich ganz 
fremd, doch verſoͤhnen laßt ſich nur das Verſoöhn⸗ 
bare, und fo paßt es denn wohl zu meinem Bez 
ruf, das Stoͤrende wegraͤumen zu helfen. Das 
that ich gern, und deshalb darf ich ruhig ſeyn. 
Sie ſind es nicht! rief der Graf auffahrend, Ihr 
ganzes Weſen iſt ſtudirt, die Pfaffenkunſtſtuͤcke 
ſind durchſchauet, ſie blenden niemand mehr. Das 
glaube ich wohl, lächelte jener, denn es iſt ganz 
finſtere Nacht geworden. In der Angſt vor dem 
Erblinden hat man alle Lichter ausgeloͤſcht. Der 
Graf fah ihn überraſcht an. Mit dem Himmel, 


fuhr Sylvanus fort, hat ſich die Menge uͤber⸗ 
worfen, ſie verſchmaͤht trotzig ſeine Strahlen, 
nun verſucht ſie's mit der Erde, und jagt nach 
kleinen Funken, die dem harten Fels durch Schlag 
und Reibung entſpringen, es bleibt indeß ein kale 
tes, dunkles Feuer! — Der Graf fuͤhlte den 
Stachel unangenehmer Wahrheit, d arum ſagte 
er härter , als es feiner Natur war: Ihre ge⸗ 
ſtohlnen und mißbrauchten Himmelslichter lodern 
nur als Aufruhrsflammen, und wollen mit Blut 
geloͤſcht werden! Sie ſind es ſchon, erwiederte 
Sylvanus truͤbe, was noch aus dieſen Blutſuͤm⸗ 
pfen aufſteigt, verglimmt, unerkannt, wie ein 
Jerlicht, und niemand erwaͤrmt ſich daran. Doch! 
doch! rief Eliſabeth, ſeine Hand faſſend, der 
ſanfte Strahl Ihres Auges beruhigt mich allein 
in dieſer Todesnacht! O Gott! nur 7 00 Fuͤh⸗ 
rer nimm mir nicht! 

Der Graf, bemuͤht ſeine Ruͤhrung zu wei 
bergen, ſah' ernſt auf Eliſabeth, und fragte faſt 
verweiſend: Sind Sie ſo vertraut mit dieſes 
Mannes Sinn, und weiß er ſo genau um Sie, 


daß Sie ſich feiner Leitung übergeben?! — Er 
weiß nichts von mir, erwiederte das bewegte 
Mädchen, ich kenne ihn nur fluͤchtig, doch Hätte 
ich ihn zum erſtenmal in dieſem Augenblick, hier, 
ſeinem hoͤhnenden Feinde gegenuͤber geſehen, ich 
wuͤßte, daß ihn 0 1 3 
geh'n! U Ir 

Der Graf war belegen. Er ele um 
ſonſt die Frage in ſich nieder; wie dann, wenn 
jener Recht hätte? Es half ihm wenig, daß « 
Sylvanus Blick vermied, er empfand dis klare 
Friedensauge, wenn er 5 auch nicht ſohe, | fe 


Eliſabeth hilt od immer des Geiſlichen 
Hand, als wolle fie ihn nicht wieder loslaſſen. 
Der Graf winkte den Huſaren abzutreten. Laßt 
Euten Gefangenen nur hier, ſagte er, er wird 
uns nicht entrinnen. Gleichgültig verließen dieſe 
das Zimmer, ſie hatten der Plackerei und des 
Blutes in dem abgehetzten Leben ſatt, zudem, 
entgehen wird der arme Burſche feinem Richter 
doch nicht, dachten fe, und auf ſich bes 


tuhen. finn a anf 


Einige Minuten blieben alle drei einander 
gegenüber ſtill. Der Graf ſah' nachdenkend vor 
ſich nieder. Es kann ſeyn, hub er endlich an, 
und Ihre Jugend läßt mich 's glauben, Sie ſind 
eher Schwaͤrmer als Heuchler, Ihre Handlungs⸗ 
weiſe entſpringt dann aus Ueberzeugung, gleich⸗ 
viel welche, die Zeit wird das ſichten, immer iſt 
Wahrheit! in Ihnen, das Streben darnach kann 

ſich vergreifen, es iſt doch Wahrheit. Ich will 
das glauben, ich will nicht richten wo ich nicht 
pruͤfen kann, die Richterwage paßt ſich uͤberall 
nicht für meine Hand, ich habe es ſtets verſchmaͤh 't. 
davon Gebrauch zn machen, und mein Geſchick 
geprieſen, wenn es mir vergoͤnnt war, ihrer 
Strenge arme Opfer zu entruͤcken. Deshalb ru⸗ 
hen Sie getroſt einige Stunden unter dieſem 
Dach. Vielleicht, daß wir uns doch verſteh'n, 
ſchon um des. zarten Kindes willen, de | 
ah ſo RR liegt. 5 N 

um wie v reiner, BR nis Pi 
as Ihr ſchoͤnes Herz, als Ihr Glaube! Sie 
find ſo innig gut, das weiß der Himmel auch 


— 248 — 


gewiß, und deshalb ſage ich weiter nichts, die 
Feinde zu beſtreiten, die zwiſchen Gott und Ih: 
nen ſteh'n. Doch zu dem lieben warmen Herzen 
muß ich reden, das mich gewiß verſteh'n wird. 
Mein theurer Anverwandter, mein edler Noche⸗ 
foucault, ein Geluͤbde zwingt mich, Sie jetzt, in 
dieſer Nacht noch zu verlaſſen. Hoͤren Sie mich 
aus, bat fie ihn dringend, ich kann, ich darf, ſo 
bald ich frei bin, keine Minute verſaͤumen, ich 
muß — ſie ſchauderte erbleichend zuſammen — 
ich muß Prinz Talmont's Leiche, oder ihn ſelbſt 
aufſuchen. Ihre Lippen zitterten, ohne Thraͤnen 
ſtarrten die Augen am Boden. Im erſten Fall 
führe mein Weg nach England, das fordert ein 
heiliges Wort — im letztern — lieber Gott! ſie 
ſah' zum Himmel auf, das wird nicht ſeyn, das 
iſt gewiß nicht, er iſt wohl zuverlaͤßig todt. — 
Mein Kind, ſagte der Graf langſam, das Herz 
verſchlang die Worte wieder, mein Kind, der 
Prinz iſt in Laval. O Jeſus! ſchrie Eliſabeth. 
Doch iſt er dort nicht frei, fuhr der beklommene 
Graf fort, ich habe vor einer Stunde erfahren, 
man halte den Prinzen auf ſeinem eigenen Schloß 


— 249 — 
gefangen. Er wird von einem Kriegsgericht ver⸗ 
urtheilt, ich zweifle nicht, das letzte ſagte er kaum 
noch hoͤrbar, man geht ihm an das Leben! — 
Eliſabeth lag wie eine gebrochene Lilie in Sylva⸗ 
nus Armen. Ach Gott! das arme Herz! es hatte 
ja noch immer ſtill gehofft. Nun war es aus, 
ihr letzter Hoffnungsſtrahl erloſchen. Du ewige 
Vorſehung! ſtammelte ſie. Auf meinen ſtolzen, 
Schönen Löwen werden fie die abgerichteten Hunde 
hetzen. Gefangen! gefangen! wiederholte ſie im⸗ 
mer vor ſich hin; ach! nicht einmal den freien 
Heldentod hat er errungen! Laſſen Sie mich noch 
einmal zu ihm, bat ſie faſt vor dem Grafen knie⸗ 
end, die Todesangſt entreißt mir, mein tiefes, un⸗ 
entweih' tes Geheimniß, ich bin ein Maͤdchen. 
Herr Graf, des Prinzen reine, angebetete Ger 
liebte, feine Waffengefaͤhrtin, das Heiligthum ſei⸗ 
ner ſtolzen Bruſt, er kann nicht ſelig ſterben, oh⸗ 
ne mich zu ſegnen; ſenden Sie mich und hier 
meinen frommen Bruder hin nach Laval, erſin⸗ 
nen Sie ein Maͤhrchen, erdenken Sie etwas, das 
uns die Thore feines Gefaͤngniſſes öffnet, laſſen Sie 
uns gleich, — Ungluͤckliche, unterbrach ſie der Graf, 


was fodern Sie! bin ich allmaͤchtig? kann ich 
Sie durch die Luͤfte tragen? Und koͤnnte ich es, — 
mein armes Mädchen, was waͤre Ihr Gewinn? 
würden Sie ihn retten? und braͤchen Sie ihm 
nicht mit Ihrem Leid das Herz? — Alles was 
ich fuͤr jetzt zu thun weiß, ſetzte er nach kurzem 
Beſinnen hinzu, iſt, dem Prinzen ein Blatt von 
Ihrer Hand zuzuſtellen. Hier, ſagte er, ihr ein 
feines Pergament und einen Griffel in die zit⸗ 
ternde Hand druͤckend, ſchreiben 0 der 2 
Wen es 8 8 W ud 
un en, . mit Sylvanus, dann 
kniete ſie, er legte ſeine Hand ſegnend auf ihre 
Stirn, beide beteten ſtill und feierlich. Sie ſeufzte 
noch einmal ſehr tief, dann trat ſie an das Feuer, 
und das Taͤfelchen auf den Kaminſims legend, 
ſchrieb ſie: ö Sam 
Sie ſagen, mein hoher Freund, Du wer⸗ 
deſt ſterben. Ich denke es nicht. Ich fuͤhle Dich 
wie ſonſt in mir, was ſoll Dich da toͤdten? wer 
iſt es denn als Du, der dieſe Worte aus mir 


— 251 — 
ſpricht. Es iſt Dein Geiſt, mein Talmont, Dein 
unſterblich Leben, das in mir lebt. Dein Wille 
trägt mich mit Adlerfluͤgeln übers Meer. Sieh! 
ſo ſind wir Eins geworden. Ich weiß nichts mehr 
von Trennung. Nur die armen, verlaſſenen Erz 
denaugen ſollen Dich nicht wieder ſehen! Ich will 
mir ſie blind weinen, damit ſie nichts, in der 
ganzen Welt nichts mehr ſehen ! Mit einem Fuße 
bin ich ſchon von der Heimath abgeloͤſt! Die 
Loire fließt Nacht und Tag in die See hinein! 
Ihr Wellenſchlag ruft mich, die feuchte Nebel⸗ 
inſel da drüben winkt, ich eile, mein Liebling! 
Denkſt Du ich laſſe Dich hier zuruͤck? — nein 
Talmont, ich nehme Dich mit hinuͤber, wer 
ſtreitet mir, daß ich Deine liebe Naͤhe fuͤhle, daß 
ich Dich umſchlinge und halte wie ſonſt! Mein 
Held, mein angebeteter Freund ſagſt Du es an⸗ 
ders?“ 7 . 
Ihr Kopf erhitzte ſich während des ee 
bens. Sie gab das Blatt mit ſonderbarem Laͤ⸗ 
cheln dem Grafen, und ſank gleich darauf in ei⸗ 
nen Schlaf, der ihr mit bleiernem Gewicht Auge 
und Sinne verſchlo ß 


— 252 


Indeſſen ſtand der Prinz in ſeinem Schloſſe 
vor teufliſchen Blutrichtern, die durch haͤmiſche 
Neckerei feinen Lebensfaden hin und her zerrten. 
Er lehnte ſchweigend an einem Wandpfeiler, und 
erwiederte auf alle ihre Fragen nichts, als: ich 
that meine Schuldigkeit, thun fie die ihrige! — 


In der letzten Lebensnacht erhielt er Eliſa⸗ 
beths Zeilen, von einem ruhig freundlichen Be; 
richt des Graſen begleitet. Er ſaß am Clavier, 
die niederfallende Hand ließ chen noch den letz⸗ 
ten Ton verhallen. Eliſaberh! rief er entzuͤckt! 
Er las, und uͤberlas immer wieder die lieben 
Worte! Sein dankend Auge hob ſich zum Him— 
mel auf. Du biſt gerettet, ſagte er, Gott will 
uns noch nicht ganz verderben! Er druͤckte das 
kleine liebe Blatt auf ſeine Bruſt. Er ſaß noch 
einige Minuten ſinnend, darauf ſchrieb er. * 


„Mein Herz! ich reiſſe mich blutend von 
Dir los. Warum muß ich Dich hier zuruͤcklaf⸗ 
ſen! — So ſey Du denn der Heerd und Umtrieb 
neuer Lebenskeime. Raͤche Deinen Freund, Elifas 


— 253 — 
beth! Du biſt zu hoch fuͤr die Klage. Dich fo⸗ 
dert die That. Laß allen Stolz meiner Bruſt in 
Deine uͤbergeh'n. Wende dieſem Frankreich den 
NMuͤcken, bis Du es wiedererobern kannſt. Eliſa⸗ 

beth, mein ſtarkes Heldenmaͤdchen, es 1 vorbei! 
Gott ruft! Ich verſtumme! 


Der Tag brach an. Die Trommel ward im 
Schloßhofe geruͤhrt. Truppenabtheilungen mar⸗ 
ſchierten hinein. Der Prinz ſahe ſie muſternd 
vor ſeinem Fenſter, als ſolle er mit ihnen ins 
Feld ruͤcken. Ein junger Officier der bei ihm die 
Wache hatte, trat herein. Prinz Talmont ‚fabe 
ihn ernſt und pruͤfend an. Hoͤren Sie, junger 
Menſch, ſagte er, Ihr Ehrenwort, daß Sie die⸗ 
ſen Brief, die Schaͤrpe und den Saͤbel den ich 
trug, ſogleich nach meinem Tode zu dem Oberſt 
Larochefoucault nach Savennay beſorgen. Der 
Jüngling von ſeinem Blick und Ton erſchuͤttert, 
entgegnete in großer Ruͤhrung: mein General, 
Ihre Befehle ſollen ſtreng erfuͤllt werden. f 


Noch einmal wandte ſich der Prinz zu Gott 
zuruck, dann ſchritt er ſehr ruhig in den Schloß⸗ 


— 25641 — 


hof. Bei ſeinem Erſcheinen traten die Sri 
unters Gewehr. Er ging bis mitten auf den 
Platz, ſah' ſich befehlend um, winkte und kom⸗ 
mandirte dann mit ſtarker Stimme die Gvena; 
diere, welche auf ihn anſchlugen. Ein Augen⸗ 
blick vollendete dies Heldenleben! Er ſiel ohne 
Schmerzenszuckungen rt und unentſtellt. 


Des Schiffes Wimpel wehete ſchon. Eliſa⸗ 
beth, den letzten Gruß des ſterbenden Freundes 
in der Hand, ſein Heldenſchwerdt um ihre Huͤfte, 
gruͤßte mit ſcheidendem Blick den edlen Grafen, 
der liebend ihre Flucht bereitete, und ſegelte an 
Sylvanus Seite hinein in die wogende Soe. 


Ende des erſten Theils. 


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Auguste von Briest, Freiin 


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